Die europäische Flüchtlingspolitik und die Rolle der Schweiz

Dass sich die Schweiz der justiz- und polizeipolitischen Kooperation der EU annähern müsse, gehört seit Anfang des Jahrzehnts zum Credo des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements. Unter Arnold Koller erwies sich das EJPD als das europäischste der eidgenössischen Departemente und auch Kollers Nachfolgerin Ruth Metzler scheint sich dieser Politik verschrieben zu haben.

Von Heiner Busch*

Dabei ist kaum auszumachen, wer Vorreiter und wer Nachzügler ist. Die Schweiz gehörte zu den ersten Staaten Europas, die das Konzept des "Sicheren Drittstaates" anwandte. 1990 schlossen die EU-Staaten das Dubliner Abkommen zur Bestimmung des für ein Asylgesuch zuständigen EU-Staates. Das sog. Erstasylabkommen etablierte die one-chance-only-Regel: Nur ein asyl-Gesuch sollte in der EU möglich sein und das sollte mit Ausnahmen in dem Land gestellt werden, das der Flüchtling als erstes betritt.

Schweizer Lösungen für Europa

Bereits 1992 offerierte Bundesrat Koller, die technische Lücke dieses Abkommens zu schliessen. Die Schweiz bot ihren EU-Partnern an, ein europaweites Fingerabdruck-Erkennungssystem einzuführen, mit dem erkennbar würde, ob eine Person schon in einem anderen Land – eventuell unter anderem Namen – ein Asylgesuch gestellt hatte. Aus Eurasyl wurde nichts, die EU-Staaten wollten ihr eigenes System: EURODAC. Seine rechtliche Grundlage, eine EG-Verordnung, soll noch in diesem Jahr verabschiedet werden. Die Totalrevision des helvetischen Asylgesetzes, die im Juni 1999 das Referendum überstand, hat die innenpolitischen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Schweiz bei EURODAC mitmischen kann. Das Placet der EU dürfte nach Inkrafttreten der bilateralen Abkommen kein Problem mehr sein.

Wer war zuerst?

Wer war zuerst? Diese Frage stellt sich auch für den Umgang mit Kriegs- und Gewaltflüchtlingen. Ende vergangenen Jahres präsentierte die österreichische Präsidentschaft der EU ein Papier, mit dem die zukünftige Strategie der EU in Sachen Migration und Asyl bestimmt werden sollte. Darin hiess es: "Während in früheren Zeiten die Unterdrückung durch autoritäre Regime (der kommunistischen Welt oder der unterentwickelten Staaten) Hauptfluchtursache für die in Westeuropa ankommenden Asylbewerber war, ist nunmehr der grösste einzelne Faktor die interethnische Verfolgung und Vertreibung durch nicht-staatliche Gewaltapparate. Entsprechend hat die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) aus dem Jahre 1951 teilweise ihre Anwendbarkeit verloren." Der Schutz von Flüchtlinge sollte deshalb nicht mehr "als subjektives Individualrecht, sondern als politisches Angebot des Aufnahmelandes" begriffen werden. Der österreichische Vorschlag, die GFK auf den Müll zu werfen, erwies sich als zu peinlich. Das Papier verschwand in der Versenkung, um kleingehackt in öffentlich durchsetzbare Brocken wieder aufzutauchen. Im herbst dieses Jahres erklärten die Staats- und Regierungschefs der EU in Tampere, dass sie an der "uneingeschränkten und allumfassenden Anwendung" der GFK festhalten wollen. Gleichzeitig soll die EU-Kommission aber Formen des "subsidiären Schutzes" erarbeiten. Gnadenbrot – vorübergehender Schutz aufgrund administrativer Entscheidung – statt Recht, so lautet die Devise für die Flüchtlinge zweiter Klasse, jene die keine individuelle Verfolgung durch eine klar erkennbare staatliche Autorität vorweisen können, sondern "nur" vor (Bürger-)Kriegen oder (staatlich geduldeten) Privatarmeen fliehen.

Die Schweiz hat für diese Variante vorgesorgt: Die juristisch zu "Schutzbedürftigen" mutierten Gewaltflüchtlinge, so will es das zurechtgestutzte schweizerische Asylrecht, dürfen nicht ins Asylverfahren. Sie werden aufgenommen nach Beschluss des Bundesrates und haben auch wieder zu verschwinden, wenn der Bundesrat das Ende des Krieges dekretiert. Schweizer Lösungen für Europa?

Gemeinsame Ausschaffung – grenzüberschreitendes Understanding

Damit Flüchtlinge erst gar nicht die Chance erhalten, in der Schweiz ein Asylgesuch zu stellen, bemühen sich die Schweizerischen Behörden nicht nur die Grenzen abzudichten, sondern haben nun mit allen Nachbarstaaten Rückübernahmeabkommen abgeschlossen, zuletzt 1998 mit Italien und Frankreich. Die Verträge sollen nicht nur für eine unbürokratische Zurückschaffung in die Nachbarstaaten sorgen, sondern auch für einen Transit der besonderen Art. Um sich den langen Weg nach Kloten oder Cointrin und die immerhin noch präsente inländische Öffentlichkeit zu ersparen, können die Fremdenpolizeien nun auch Ausschaffungen über Flughäfen der Nachbarstaaten, z.B. den in Milano, vornehmen. Dasselbe gilt natürlich umgekehrt. Deutsche Bundesgrenzschutz-Beamte dürften sich inzwischen in Kloten auskennen. Mit Deutschland hat die Schweiz im Dezember 1997 bereits ein Memorandum of Understanding geschlossen, das die Zusammenlegung von "Repatriierungskontingenten" beider Staaten ermöglicht.

*Heiner Busch ist Mitherausgeber der in Berlin erscheinenden Zeitschrift "Bürgerrechte und Polizei/CILIP".

Über die Hintertür ins Europäische Polizeihaus

Die Stiftung Archiv Schnüffelstaat Schweiz (ASS) hat eine 47seitige Studie über die Polizeiverträge zwischen der Schweiz und ihren Nachbarstaaten – allesamt Mitglieder der Schengen-Gruppe – vorgelegt. Die im April unterschriebenen Abkommen mit Deutschland und Österreich sehen nicht nur einen automatisierten Datenaustausch vor, sondern auch grenzüberschreitende verdeckte Ermittlungen, die weit über das Schengener Mass hinausgehen.

Gegen Fr. 25.– erhältlich bei: Stiftung ASS, Postfach 6948, 3001 Bern.


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