Wer aus Afrika nach Europa und in die Schweiz migriert — und aus welchen Gründen

Eine 1997 veröffentlichte Studie zum "Ausländerbild" der Schweizer Bevölkerung präsentiert eine ziemlich negative Einstellung gegenüber Menschen afrikanischer Herkunft, wobei stellvertretend für alle AfrikanerInnen die Akzeptanz gegenüber ZairerInnen erfragt worden ist: Doch wer sind diese Menschen eigentlich, die vom afrikanischen Kontinent in die Schweiz kommen? Warum kommen sie? Und wie ergeht es den Flüchtlingen unter ihnen?

Von Anni Lanz*

Menschen aus Zaire sind für 25% der von UNIVOX1 Befragten in der Schweiz eigentlich "fehl am Platz". Gemäss dieser Untersuchung ist die Schweizer Bevölkerung nur noch gegenüber AusländerInnen aus der Türkei und aus dem ehemaligen Jugoslawien negativer eingestellt. Etwas besser schneiden TamilInnen und ChilenInnen ab. Immerhin 41% der Befragten waren 1997 gegenüber Menschen aus Zaire positiv eingestellt. Allerdings könnte eine heutige Untersuchung angesichts der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit ein etwas ungünstigeres Bild abgeben.

In alle Winde zerstreut

Menschen aus afrikanischen Länder sind in der Schweiz eine kleinere Bevölkerungsgruppe, als uns von einigen PolitikerInnen weisgemacht wird. Bewusst wird uns dies erst, wenn wir in die Grossstädte unserer Nachbarländer reisen und dort auf der Strasse viel mehr AfrikanerInnen entdecken (oder als AfrikanerInnen zu erkennen glauben). Statistisch betrachtet, waren im August 1998 bloss 2% der registrierten ständigen ausländischen Bevölkerung (Niedergelassene und JahresaufenthalterInnen) "afrikanischer" Herkunft, nämlich 27 199 Personen.2 Nicht berücksichtigt sind in dieser Statistik Afrikanerinnen, die durch Heirat mit einem Schweizer die schweizerische Staatsbürgerschaft erworben haben, und deren Kinder. Auch Asylsuchende und andere Personen mit nur vorläufigem Aufenthaltsrecht gehören nicht zu den 2% AfrikanerInnen mit ‘geregeltem’ Aufenthaltsstatus.

1998 stellten 4525 Personen aus Afrika ein Asylgesuch in der Schweiz; weitere 2807 Gesuche waren noch hängig. "AfrikanerInnen" figurieren in den hiesigen Ausländer-Statistiken3 meist unter "Rest der Welt", einer Sammelkategorie für alle, die nicht zu den EU/EFTA-Ländern und dem "übrigen Europa" gehören.

Für Menschen aus kleinen Exilgruppen ist es sehr schwierig, sich zu vernetzen, leben sie doch oft weit zerstreut im Land — die Verteilung der Asylbewerber auf die Gemeinden durch das Bundesamt für Flüchtlinge nimmt auf Zusammenhörigkeitsgefühle und Isolationsängste wenig Rücksicht. Für gegenseitige Besuche oder Vereinsveranstaltungen müssen grosse Distanzen zurückgelegt werden, was nicht gerade billig ist.

Dennoch gibt es auch bei uns zahlreiche Zusammenschlüsse von Menschen afrikanischer Herkunft, vor allem in der Romandie, wo die afrikanische Bevölkerungsdichte etwas grösser ist als in der Deutschschweiz. 1996 hielten sich 16 603 sogenannte AufenthalterInnen afrikanischer Herkunft (d.h. mit fester Aufenthaltsbewilligung "B" oder "C") in der Romandie auf, davon 5829 in Genf und 4938 in der Waadt. In der Deutschschweiz lebten dagegen nur 8746 afrikanische ‘AufenthalterInnen’, 2720 in Zürich. Während die AfrikanerInnen aus frankophonen Ländern bevorzugt in die Romandie ziehen, lassen sich "anglophone" AfrikanerInnen (z.B. NigerianerInnen, KenyanerInnen) gerne in Zürich nieder. Die grössten afrikanischen Exilgruppen stammen aus Marokko, Tunesien, Kongo/Zaire und Algerien (seit 1990). Der Anteil der Frauen und Mädchen an der afrikanischen Bevölkerung in der Schweiz hat in den letzten Jahren stark zugenommen: Betrug er 1990 bloss 30%, so ist er bis 1996 auf 42,1% angewachsen.4

Zielländer und deren Anerkennungsbereitschaft

Die Anzahl der Zufluchtsuchenden aus einem Land und die Art, wie diese in den Aufnahmestaaten empfangen werden, hängen nicht monokausal zusammen. Die unzähligen Faktoren, die bei der Flucht eine Rolle spielen, verunmöglichen es, allgemeingültige Aussagen zu machen. Wieso Menschen die Flucht ergreifen und in welchem Land sie Zuflucht suchen, hängt einerseits von den sozialen und politischen Verhältnissen in den Herkunftsländern ab. Andererseits bestimmen die Bindung zu Verwandten, Bekannten oder Gleichsprachigen im Ausland und die Reisemöglichkeiten über die Wahl einer bestimmten Fluchtoption. Die Chance, Asyl oder Fürsorgeleistungen zu erhalten, scheint jedoch kein wesentlicher Faktor dabei zu sein. Die Anerkennungsquoten in den europäischen Ländern fallen je nach Flüchtlingsgruppe sehr unterschiedlich aus und decken sich nicht mit deren Verteilung in Europa. So sind beispielsweise 1997 viele Flüchtlinge aus Zaire nach Deutschland und Frankreich geflohen, wiewohl ihre Chancen auf Asyl dort, ähnlich wie in der Schweiz, gering und die Lebensbedingungen für Asylsuchende in unseren zwei Nachbarländern eher prekär sind.

Flüchtlinge verteilen sich nie gleichmässig auf die europäischen Länder. Koloniale sowie vergangene und gegenwärtige wirtschaftliche, entwicklungspolitische und zwischenstaatliche Beziehungen haben in den Aufnahmeländern oft eine "Exilgemeinschaft" entstehen lassen, von der sich neue Flüchtlinge "Integrationshilfe" erhoffen.

Fluchtursachen

In Afrika fanden und finden seit Ende der Kolonialzeit zahlreiche bürgerkriegsähnliche Konflikte statt. Seit 1970 sind auf dem Kontinent ungefähr 30 Kriege ausgebrochen, und zwischen 1952 und 1989 wurden etwa 60 Staatsputsche unternommen5. Allgemein herrscht in den Ländern des Nordens jedoch die falsche Meinung vor, mit den Konflikten in Afrika nichts mehr zu tun zu haben; die Konflikte seien vielmehr auf eine unverbesserliche Kriegsmentalität der im Stammesdenken gefangenen AfrikanerInnen verankert. Vorgänge in Afrika erhalten in den Deutschschweizer Medien wenig Publizität, weshalb sich hier diffuse Erklärungsmuster für die Immigration und Zuflucht von AfrikanerInnen eingebürgert haben.

Die UNO-Kommissarin für Menschenrechte stellte angesichts der in der Weltöffentlichkeit kaum wahrgenommenen Grausamkeiten in afrikanischen Konflikten im Juni dieses Jahres öffentlich die Frage, ob die Welt Menschenrechtsverletzungen mit unterschiedlichen Ellen messe.

Kürzlich begründete ein Kantonsbeamter in der Deutschschweiz die Verweigerung einer Arbeitsbewilligung für einen lang anwesenden Flüchtling aus dem Sudan damit, dass Leute aus solchen Ländern bei uns nicht arbeiten sollten. Von dem seit 15 Jahren dauernden sudanesischen Bürgerkrieg, bei welchem bis heute etwa 2 Millionen Menschen ums Leben gekommen sind, hatte er keine Ahnung.

Aufschlussreiche Berichte über die mörderischen Konflikte sind in der Deutschschweizer Tagespresse spärlich zu finden; so ist die deutschschweizerische Bevölkerung kaum über die politische, kulturelle, wirtschaftliche und soziale Vielfalt auf dem afrikanischen Kontinent unterrichtet. Flüchtlinge aus Afrika haben Mühe, das Interesse von SchweizerInnen für die Menschenrechtssituation in ihrer Heimat zu wecken und haben entsprechend keine "Lobby". Die Schweizer Asylbehörden tun sich bei Flüchtlingen aus Afrika mit der Asylgewährung schwer, wie der Ländervergleich (S. 15 "Flüchtlinge aus Afrika in Europa") sowie der Vergleich von Anerkennungsquoten (S. 15 "Flüchtlinge in der Schweiz") zeigen.6 Die in der Schweiz weit unter dem Durchschnitt liegende Anerkennungsquote für afrikanische Flüchtlinge provoziert die Frage, ob wir Menschen aus Afrika eine stärkere Dosis an Menschenrechtsverletzungen zumuten als anderen.

Frauenflüchtlinge

Unterdrückte Oppositionelle in afrikanischen Länder sind nicht ausschliesslich männlichen Geschlechts. In Togo beispielsweise bildeten neben Studenten und Intellektuellen die Marktfrauen eine starke Kraft bei den Massenprotesten. Die 1997 aus Togo geflohenen Menschen sind denn auch zu 54,4% weiblichen Geschlechts (UNHCR-Statistik). Ingesamt betrug 1997 der Anteil der weiblichen afrikanischen Flüchtlinge 50,2%.

Der Anteil von weiblichen Flüchtlingen an den afrikanischen Asylsuchenden in der Schweiz beträgt ungefähr die Hälfte, wie nebenstehende Tabelle zeigt (wobei insbesondere Togo, Algerien und Liberia durch einen niedrigen Frauenanteil auffallen). Allerdings wird auch das Bild, dass der afrikanische Flüchtling in der Regel männlich sei, durch die Statistiken korrigiert.

1 Rolf Nef: ‘Die Ausländer’ im Bild der schweizerischen Bevölkerung, UNIVOX-Studie, Teil I E Kultur 1997, Oktober 1997
2 Die AusländerInnen in der Schweiz, Statistischer Bericht des Bundesamtes für Ausländerfragen, August 1998
3 Die Ausländerstatistik des Bundes schliesst die AsylbewerberInnen nicht ein; für diese gibt es separate Statistiken, in welchen AfrikanerInnen unter "Rest der Welt" vorkommen.
4 Regards africains, c.p. 46, 1211 Genève 24, Tel. 022 343 87 93, Nr. 41/42, Winter 97/98,
5 Philippe Leymaire: Neue Kriege bedrohen die Perspektiven des Kontinents, Le Monde diplomatique/WoZ Mai 1999
6 Siehe dazu auch: Mobutismus — Kalter Krieg und Plünder-Kumpanei, Kapitel: Kein Asyl für die Opfer der Schreckensherrschaft von Freund Mobutu, KEM, März 1998
* Anni Lanz ist Geschäftsführerin der Bewegung für eine offene und demokratische Schweiz (BODS), welche sich menschenrechts-, migrations- und asylpolitisch engagiert.


Flüchtlinge aus Afrika in Europa

Flüchtlinge aus Afrika — Vergleichszahlen einiger europäischer Länder: Anzahl Asylgesuche sowie Anerkennungsquote* (gewährte Aufnahmen) in den Jahren 1995 bis 1997 gemäss UNHCR-Statistik

Jahr

BRD

 

Belgien

 

Frankreich

 

Holland

 

Schweiz

 

 

1995

19 880

11,9%

3 940

34,5%

6 340

31,4%

8 930

30,5%

2 440

14,3%

 

1996

20 540

27,0%

3 450

13,8%

4 260

24,5%

5 620

24,6%

3 790

21,3%

 

1997

20 090

33,3%

3 920

13,2%

4 970

22,0%

5 730

16,6%

3 230

13,3%

 

Total

60 510

12,9%

11 310

31,4%

15 570

25,9%

20 280

23,4%

9 460

16,0%

 

*Das UNHCR berücksichtigt in seiner Anerkennungsquote alle Formen von gewährter Aufnahmen (Quelle: Refugees and Others of Concern to UNHCR: 1997 Statistical Overview, Genf 1998


Flüchtlinge in der Schweiz

Anzahl und Anerkennungsquoten* der Flüchtlinge aus Afrika in der Schweiz seit 1981

Jahr

Asylgesuche total

Anerkennungsquote total

Afrikanische Asylgesuche

Anerkennungsquote Afrika

1981

4 226

30,4%

627

4,6%

1982

7 135

9,2%

1 090

1,1%

1983

7 886

5,4%

1 793

1,1%

1984

7 435

8,6%

1 208

2,8%

1985

9 703

9,7%

1 132

7,2%

1986

8 546

9,6%

684

8,9%

1987

10 913

7,6%

751

7,2%

1988

16 726

4,1%

823

3,5%

1989

24 425

2,7%

1 933

2,1%

1990

35 836

1,6%

3 596

0,8%

1991

41 629

2,1%

5 728

0,3%

1992

17 960

7,8%

2 915

1,3%

1993

24 739

15,5%

4 977

1,4%

1994

16 134

18,2%

3 556

4,5%

1995

17 021

15,6%

2 977

5,7%

1996

18 001

12,6%

3 794

3,6%

*Anerkennungsquote: Anteil der positiven Entscheide am Total der eingegangenen Asylgesuche (offizieller Flüchtlingsstatus)


Frauenflüchtlinge

Anteil Frauen und Mädchen an den afrikanischen Asylsuchenden in der Schweiz (gemäss BFF-Statistik)

Herkunftsland

1995

1996

1997

1998

1999*

Total

Algerien

10%

8,4%

7,8%

9,3%

13%

9,5%

Tunesien

4,6%

15,1%

25,3%

28,8%

30,5%

23,6%

Sudan

28%

19,4%

11,6%

24,4%

21.4%

21%

Somalia

51%

47,1%

44,8%

42,3%

48,5%

46,4%

Ruanda

46,1%

42,9%

46,8%

35,1%

36,5%

42,2%

Zaire

35,5%

40%

41,4%

42%

43,4%

40,6%

Togo

7,7%

15%

11,9%

15,9%

34,1%

16,9%

Liberia

1%

14,6%

4,3%

8%

8,7%

5,6%

Angola

32,5%

38,2%

34,5%

38,1%

36,6%

36%

 

 

 

 

 

 

 

Afrika

26,7%

30%

28,4%

25,6%

25,2%

27,2%

*Stichdatum 15. Oktober 1999


Literatur zum Thema

 

Afrika (CH), in: FRAZ — Frauenzeitung, Nr. 98/2. Zürich, 1998. Schwerpunktthema mit verschiedenen feministischen Beiträgen.

Franz Ansprenger: Politische Geschichte Afrikas im 20. Jahrhundert München: Verlag C.H. Beck, 1997. 240 Seiten, ca. Fr. 22.—

Marion Kraft/Rukhsana Shamim Ashraf-Khan (Hrsg.): Schwarze Frauen der Welt. Europa und Migration Berlin: Orlanda Frauenverlag, 1994. 215 Seiten, Fr. 31.—

Beat Leuthardt: An den Rändern Europas. Berichte von den Grenzen Zürich: Rotpunktverlag, 1999. 354 Seiten, Fr. 36.—.

Beat Leuthardt: Festung Europa Zürich: Rotpunktverlag, 1994.

Peter J. Opitz (Hrsg.): Der globale Marsch. Flucht und Migration als Weltproblem München: Verlag C.H. Beck (Beck‘sche Reihe 1210), 1997. 345 Seiten, ca Fr. 24.—. Überblick über die weltweite Migration mit historischem Hintergrund; enthält zwei Kapitel zu Afrika ("Nordafrika" und "Subsaharisches Afrika")

Saskia Sassen: Migranten, Siedler, Flüchtlinge. Von der Massenauswanderung zur Festung Europa Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag, 1996. 216 Seiten, ca Fr. 18.—. Überblick über die Aus- und Einwanderung von und nach Europa in den letzten Jahrhunderten.

Koen Vidal: Ces réfugiés aux portes de l‘europe. Voyage au bout de l‘errance Brüssel: GRIP (Group de recherche et information sur la paix et la sécurité), 1999. 144 Seiten, FF 85.—. In Zusammenarbeit mit "Médecins sans frontières" entstanden, befasst sich das Buch mit der Einwanderung nach Europa via Gibraltar und Italien.

 

 

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