Frauenbeschneidung ist eine Menschenrechtsverletzung

Von Charlotte Beck-Karrer*

Eine vor allem in Afrika weitverbreitete Menschenrechtsverletzung — aus unserer Sicht — ist die genitale Verstümmelung von Mädchen und Frauen. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind weltweit ca. 130 Millionen afrikanische Mädchen und Frauen betroffen. Jährlich kommen weitere zwei Millionen Mädchen zwischen Geburt und Pubertät dazu. Der rituelle Eingriff wird von den praktizierenden Gesellschaften routinemässig an praktisch allen Mädchen vorgenommen und gilt als unumgängliche Voraussetzung für die Heirat, weshalb afrikanische Mütter und Väter glauben, eine wichtige Elternpflicht zu erfüllen, wenn sie ihre Tochter beschneiden lassen. Die zahlreichen gynäkologischen Folgeschäden der weiblichen Genitalverstümmelung1 werden im allgemeinen nicht als solche wahrgenommen, bedeuten aber für viele Frauen "lebenslange Folter", wie es amnesty international treffend ausdrückt.

Nicht nur in Afrika ein Thema

Durch die Migration aus Afrika beschäftigt die weibliche Genitalverstümmelung auch Behörden und Gesundheitswesen in Europa, Nordamerika und Australien. Allein in Deutschland leben nach Schätzungen von Terre des femmes mehr als 20 000 verstümmelte Afrikanerinnen, die spezielle medizinische Betreuung brauchen. Zudem müssen die Aufnahmeländer verhindern bzw. zu verhindern suchen, dass auf ihrem Hoheitsgebiet kleine Mädchen genital verstümmelt werden. In der Schweiz gilt der Eingriff gemäss Artikel 122 des Strafgesetzbuches als "vorsätzliche schwere Körperverletzung" und ist damit ein Offizialdelikt.

Die WHO hat mit Rücksicht auf die afrikanischen Mitgliedstaaten die weibliche Genitalverstümmelung lange Zeit als "kulturelle Angelegenheit" behandelt und eine "Politik der Nichteinmischung" verfolgt. Erst 1994 bezeichnet die WHO sie als Menschenrechtsverletzung und bekämpft sie aktiv.

In der Schweiz: Offizialdelikt, aber kein expliziter Asylgrund

In allen Aufnahmeländern wird die Frage diskutiert, ob weiblichen Flüchtlingen Asyl zu gewähren sei, wenn ihnen bzw. ihren Kindern im Herkunftsland Beschneidung droht. Im neuen Schweizer Asylgesetz (seit Juni 1999 in Kraft) ist die weibliche Genitalverstümmelung nicht explizit als Asylgrund aufgeführt. Immerhin aber hat sich das Konzept der "frauenspezifischen Fluchtgründe" (neben Vergewaltigung, Zwangsprostitution und Kinderehe auch Frauenbeschneidung) nach harten Debatten in den Räten durchsetzen können, wobei die Gegner Ströme asylsuchender Afrikanerinnen an die Wand malten… Der Bundesrat verspricht vorerst nur die "vorläufige Aufnahme", wie er in der Beantwortung zweier parlamentarischer Vorstösse ausgeführt hat2. Die Probe aufs Exempel steht noch aus.

Die schweizerische Justiz hat sich bisher auch noch nicht mit einer in der Schweiz vorgenommenen Genitalverstümmelung eines afrikanischen Kindes beschäftigen müssen. ExpertInnen gehen jedoch davon aus, dass auch in der Schweiz AuftraggeberInnen, Ausführende und Opfer von weiblicher Genitalverstümmelung leben. Wie in anderen Aufnahmeländern, die allesamt erst aktiv werden, wenn Menschenrechtsaktivistinnen massiv Druck machen, verhält sich die offizielle Schweiz bisher weitgehend passiv. Es geht ja bloss um kleine Mädchen…

1  Aufgrund der Forderungen von Feministinnen und Menschenrechtlerinnen hat sich in den 80er Jahren der Begriff "weibliche Genitalverstümmelung" (Female Genital Mutilation, FGM) anstelle von "weiblicher Beschneidung" (Female Circumcision) etabliert, der 1990 auch von den Vereinten Nationen übernommen wurde.
2  Interpellation Caspar-Hutter vom 7. Oktober 1992 (Nr. 92.3422) und Postulat Ziegler vom 21. Juni 1996 (Nr. 96.3356).
*Charlotte Beck-Karrer ist Ethnologin und Gründungsmitglied von antagem (Anthropologists Against Genital Mutilations) in Bern.


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