Von der feuchten Hitze in Port Sudan am Roten Meer, zur Wüste an den Grenzen zu Libyen, Ägypten und dem Tschad, durch die endlose Savanne zu den ausgedehnten Sümpfen des Sudd in den dichten Regenwald an der Grenze zu Uganda und Kongo all das ist der Sudan, das grösste Land Afrikas mit dem inzwischen ältesten Konflikt des Kontinents. Sudan. Schon im Namen, der soviel bedeutet wie das "Land der Schwarzen" und eigentlich die ganze Region südlich der Sahara bezeichnete, ist ein uralter Konflikt enthalten.
Wenn heute überhaupt vom Krieg im Sudan berichtet wird, dann vom Konflikt zwischen dem (arabisch-islamischen) Norden gegen den (animistisch-christlichen) Süden. Das ist nicht falsch, aber es ist nur ein Teil der Wahrheit. Der Sudan wurde schon im 7. Jahrhundert von arabischen Händlern islamisiert, welche ihre Waren seit Jahrhunderten in den Süden brachten aber auch und besonders transportierten sie Güter vom Süden in den Norden und weiter in den Nahen Osten. Zu den Handelswaren gehörten nicht nur Gum Arabicum und Elfenbein, sondern auch SklavInnen. Auch das war nichts Ausserordentliches, denn der SklavInnenhandel blühte damals überall. Davon blieb bei den damals versklavten Stämmen im Süden allerdings ein Misstrauen gegenüber den Händlern aus dem Norden übrig.
Mit dem Niedergang des Ottomanischen Reiches, das bis in den Sudan reichte, griffen anfangs dieses Jahrhunderts auch die Kolonialmächte in die Geschichte des Sudans ein. Konfrontiert mit der technischen Überlegenheit des Westens, stürzte die islamische Welt in eine tiefe Krise. 1885 gelang im Sudan dem Mahdi (oder Messiahs) die Vertreter der Neuzeit (Engländer und Ägypter) zu schlagen, um einen Gottesstaat auf der Grundlage des Staates von Medina zur Zeit Muhammads zu errichten. Doch schon vierzehn Jahre später wurde dieser Versuch zur Rückkehr ins 7. Jahrhundert durch die Moderne zerschlagen.
Solche Erneuerungsbewegungen innerhalb des Islams bestehen jedoch nach wie vor. Es gibt weiterhin TraditionalistInnen, welche die Gesellschaft auf Grund des Modells von Medina ordnen wollen; dann gibt es die ModernistInnen, säkulare MuslimInnen, welche die Moderne in den Islam integrieren und Religion und Staat trennen möchten. Diese Konflikte, die zum Teil mit Gewalt ausgetragen werden, finden heute auch im Sudan statt. Somit werden auch Menschen aus dem Norden zur Flucht gezwungen, weshalb auch in der Schweiz Flüchtlinge aus beiden Teilen des Sudans leben.
Im Süden ist die Lage nicht weniger komplex. Einerseits wird hier nach wie vor ein biblischer Konflikt zwischen Bauern und Nomaden ausgetragen, ausserdem finden seit je Streitigkeiten über Wasser- und Weiderechte statt. Jünglinge glauben in Männlichkeits-Ritualen ihre Kühnheit und Schläue dadurch unter Beweis zu stellen, dass sie vom Nachbarstamm Rinder stehlen. Insbesondere wenn es sich um mit modernen Waffen ausgerüstete Rinderdiebe handelt, gibt es immer wieder eine hohe Zahl von Getöteten.
Auch im Süden fehlt der religiöse Aspekt in den Konflikten nicht. Im 19. Jahrhundert erlaubte die Kolonialregierung den Missionaren, den Süden des Sudan zu christianisieren. Dadurch erhofften sich die Engländer, der Ausdehnung des Islams Einhalt gebieten zu können. Sie glaubten zusätzliche religiöse Konflikte vermeiden zu können, indem im Norden keine Missionen eingerichtet werden durften. Nicht, dass es keine ChristInnen oder JüdInnen im Norden gegeben hätte; die KoptInnen lebten seit jeher im Sudan.
Im Süden führte die Christianisierung allerdings bald zu Auseinandersetzungen zwischen den Stammesreligionen mit ihren Ritualen und Traditionen und den Kirchen. Besonders die von den Kirchen aufgebauten Schulen brachten Veränderungen ins traditionelle Denken. Gerade die Erziehung ausserhalb des Stammes, an Universitäten im nahen Ausland oder gar in Übersee, führte zu Säkularisierung und einer kritischen Haltung gegenüber alten Stammesbräuchen.
Die unterschiedliche Entwicklung des Nordens und Südens unter der Kolonialmacht England, führte schon bei der Unabhängigkeit am 1. Januar 1956 zum ersten Bürgerkrieg, der bis zum Abkom men von Addis Abeba im Jahre 1972 dauerte. Wirtschaftlich und strukturell unterentwickelt, einem Islamisierungsdruck ausgesetzt, von Beamten des Nordens verwaltet und in der Regierung Khartums untervertreten, meuterten Südsudanesen in der Armee und begannen den Kampf gegen den Norden.
Dieser erste Bürgerkrieg war in erster Linie ein Kampf für die Unabhängigkeit des Südens, unter anderem auch als Folge der früheren Selbstverwaltung des Südens unter den Engländern und der politischen Orientierung an Kenia und Uganda.
Im Friedensvertrag von 1972 in Addis Abeba wurde dem Süden dann auch eine Teilautonomie zugestanden. Es wurde vorgesehen, dass der unterentwickelte Süden an den vorhandenen Naturschätzen ökonomisch mitbeteiligt würde ein Versprechen, das nie eingelöst wurde. Als 1983 Präsident Numeiri wieder die islamische Gesetzgebung für den gesamten Sudan einführte, nahm die südsudanesische "Sudan Peoples Liberation Army SPLA" unter John Garang den Kampf wieder auf.
Doch der Krieg im Sudan kann und darf nicht isoliert von den übrigen weltpolitischen Entwicklungen und deren Auswirkungen in Afrika und im Horn betrachtet werden. Die Zusammenführung des bisher faktisch getrennten Nordens mit dem Süden zu einem einzigen Land anlässlich der Unabhängigkeit durch die Engländer, statt einer Integration in eine ostafrikanische Föderation, kann nur mit den Interessen Englands erklärt werden.
Die Machtentfaltung der beiden Supermächte USA und UdSSR führten auch in Afrika zu verschiedenen Stellvertreterkriegen. Der arabisch-israelische Krieg und das Ölembargo in den 70er Jahren hatten dem Horn von Afrika eine grosse strategische Bedeutung beschert.
Mit der neuen marxistischen Regierung Äthiopiens nach dem Sturz Hailes 1974 verloren die USA einen wichtigen Stützpunkt, den sie während Jahren mit viel Geld aufgebaut hatten. Auch Somalia mit dem wichtigen Hafen in Berbera ging ins sozialistische Lager über. Äthiopien geriet durch die Befreiungsbewegungen in Eritrea und im somalischen Ogaden unter Druck; die UdSSR stellte sich hinter Äthiopien, was den USA wiederum die Möglichkeit gab, Somalia erneut in ihr Lager zu ziehen und auch die Befreiungsbewegung in Eritrea zu unterstützen. Welche Bedeutung hatten all diese Veränderungen für den Sudan?
Als Gegengewicht dazu, dass in Äthiopien, vorübergehend in Somalia und in den 80er Jahren auch in Uganda marxistische Regierungen an der Macht waren, unterstützten die USA die sudanesische Regierung. Diese wiederum unter stützte die Freiheitsbewegungen in Eritrea und Tigrai gegen Äthiopien, welches seinerseits die südsudanesische SPLA ausrüstete. Aber auch Libyens Rolle darf nicht vernachlässigt werden, welches bis zur Machtübernahme Muammar Ghaddafis ebenfalls ein wichtiger Stützpunkt der USA war. Obschon Ghaddafi sich für einen Pan-Arabismus stark machte, unterstützte er zuerst die SPLA, weil er gegen den sudanesischen Präsidenten Numeiri persönliche Animositäten hegte. Erst mit dem Wechsel von Numeiri zu Sadiq el Mahdi, der lange in Libyen im Exil lebte, wandte sich auch Ghaddafi von der SPLA ab und unterstützte fortan Khartum. Dies brachte die USA derart in Verlegenheit, dass sie schliesslich die Unterstützung Khartums einstellten.
Bis zum Ende des Kalten Krieges können Allianzen und deren Wechsel im Licht der politischen Grosswetterlage betrachtet werden. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion verschoben sich die Schwergewichte wieder. Wirtschaftliche Interessen und der Kampf um Ressourcen, die schon immer Gegenstand des Konfliktes waren, traten wieder in den Vordergrund.
Gerade in Ländern mit prekären klimatischen Bedingungen können massive Eingriffe in die Natur zu schweren Konflikten führen. Im Norden bewirkt die Ausdehnung der Wüste, das Abholzen der letzten Wälder, die Versalzung der grossen Bewässerungssysteme und die damit verbundenen Ernteeinbussen massive Mindereinnahmen. Dazu kommt die Migration in die wenigen Städte, hervorgerufen durch die klimatischen Veränderungen und die Vertreibung der indigenen Bevölkerung. Grossgrundbesitzer eigneten sich für die Produktionssteigerung mittels einer Mechanisierung der Landwirtschaft immer mehr Boden an. Dies trug wiederum zur schnelleren Verwüstung bei und dehnte die Landenteignungen immer weiter in den Süden aus. Dies sind nur Stichworte eines komplexen Problems mit ökologischen und demographischen Dimensionen, die schon lange das NordSüd Schema gesprengt haben.
Das Wasser des Nils ist nicht nur für den Sudan von grösster Bedeutung; noch wichtiger ist es für 95 Prozent der ÄgypterInnen, deren Wasserversorgung direkt vom Nil abhängt. Doch auch für den Süd Sudan ist das riesige Sumpfgebiet des Sudd von existenzieller Bedeutung. Somit ist es nicht verwunderlich, dass 1983 die SPLA als erstes gleich den im Bau befindlichen Longlei Kanal angegriffen und damit eine teilweise Trockenlegung des Sudd verhindert hat.
Als ob all dies nicht schon genügte, kompliziert nun auch noch Erdöl als heiss umkämpfte Geldquelle den Konflikt. Damit die Ölfelder in Bentiu nicht geteilt werden mussten, wurden unter Numeiri kurzerhand die Karten neu gezeichnet und seither gehören die Ölquellen zum Norden. Trotz des Krieges und der wirtschaftlichen Schwäche des Sudans wurde ständig an den Förderanlagen und einer Pipeline nach Port Sudan gebaut. Finanzen erhielten die Regierung von Malaysia und China, das auch einen Grossteil der Waffen liefert.
Seit Mitte dieses Jahres sollte nun das Öl fliessen und damit wird der Sudan auch für den Westen plötzlich wieder interessant. Doch bevor wieder ungehindert mit Öl gehandelt werden kann, sind akrobatische Verrenkungen notwendig, um die von der National Islamic Front (NIF) praktizierte menschenrechtsverachtende Diktatur schön zu reden.
Nach dem Zusammenbruch des Sowjetblocks und in Ermangelung eines neuen Feindbildes, wurde der Islam, speziell in seiner ideologischen Form des Islamismus, vom Westen als neues Feindbild aufgebaut. Radikale islamistische Gruppierungen stören sich nicht daran, sehen sie sich doch als anti-westliche Vertreter der Unterdrückten gegen die von den Amerikanern ausgerufene neue Weltordnung. Sie erhalten gerade unter den Ärmsten grossen Zulauf.
Das durch einen Militärputsch an die Macht gekommenen Regime unter Omar el Bashir hatte aber keineswegs die Verbesserung der Lage der Massen zum Ziel. Unter dem Mantel der religiösen Erneuerung wurde eine radikale Säuberung in Armee und Verwaltung durchgeführt und jegliche Opposition zerschlagen. Die allgemeine Verschlechterung der Lebensgrundlagen und die damit verbundenen Entbehrungen wurden durch das Ausrufen des Heiligen Kriegs gegen die Ungläubigen, d.h. gegen alle, welche die Interpretationen der Ideologen nicht teilen, auf eine religiöse Ebene verlegt.
An der islamistischen Politik hat sich in all den Jahren des Krieges nicht viel geändert. Nur wird das Regime in Khartum mit dem Ende des Kalten Krieges mit anderen Ellen gemessen. Nun plötzlich reichen die Verstrickungen mit internationalen islamistischen Terroristengruppen und die massiven Menschenrechtsverletzungen aus, um das Land auf die Liste terroristischer Regimes zu setzen und um Weltbank-Kredite zu sperren. Dass seit kurzem Frankreich, Italien und Deutschland alles unternehmen, um den Sudan wieder zurück in die internationale Staatengemeinschaft zu führen, ist wohl kaum mit den kosmetischen demokratischen Verbesserungen in Khartum zu erklären.
Bis 1991 kämpfte die SPLA geschlossen gegen den Norden. Doch dann kam es zu einer Spaltung entlang von Stammeslinien, eine Spaltung, die von Khartum nach Kräften unterstützt wurde. Die Aufrüstung und die Tribalisierung des Kampfes im Süden führten zu unendlich vielen Opfern, entweder direkt durch Kampfhandlungen oder durch Hunger, und bewirkten eine nochmalige Steigerung des Flüchtlingselends. Es wird angenommen, dass mehr Menschen und für Nomaden das wichtigste Gut Kühe durch interne Stammeskämpfe umkamen, als im direkten Kampf gegen die Regierungstruppen im Norden.
Der jahrelange Krieg führte zudem zu einer tiefgreifenden Veränderung der traditionellen Gesellschaft. Stammesstrukturen und traditionelle Werte gingen ebenso verloren wie Mechanismen zur Konfliktlösung. Sie wurden ersetzt durch Militärstrukturen und Ideologien, die sich den Gegebenheiten anzupassen wussten. War früher der Marxismus der Schlüssel zu Waffenlieferungen, so ist es heute ein Bekenntnis zur Demokratie die Segnungen der humanitären Hilfe kamen so oder so, es mussten nur die entsprechenden Bilder geliefert werden.
Doch nun scheint sich erstmals seit acht Jahren, seit der Spaltung der SPLA im Süden, ein Schimmer von Hoffnung für eine Lösung der Stammeskonflikte abzuzeichnen. Nicht internationale VermittlerInnen oder militärische Führer, sondern die direkt Betroffenen und ihre traditionellen Chefs suchen Wege zur Versöhnung. Durch die Vermittlung des südsudanesischen Kirchenbundes trafen sich wichtige Grenzchefs der zwei grössten verfeindeten Stämme, der Dinka und Nuer, auf neutralem Grund im Norden Kenias. Die Geschichten von erlittenem Schmerz, Leid und Zerstörung durch den Anderen öffnete den Führern die Augen wie sie, von Fremdinteressen missbraucht, sich gegenseitig zerstörten. Dieser Einsicht folgte eine grosse Friedenskonferenz östlich des Nils. Seit März 1999 hält dieser Frieden. Trotzdem, ein umfassender Frieden im Süden ist noch weit weg. Khartum, alarmiert durch die Annäherung der verfeindeten Stämme, versucht alles, um den Prozess rückgängig zu machen. Milizen, aufgerüstet durch den Norden, brandschatzen und morden, um die Ansätze von Frieden zu zerstören und gleichzeitig sind intensive Bemühungen im Gange den Friedensprozess weiterzuführen. Der Ausgang dieser Jahrzehntealten Tragödie ist ungewiss.
*Urs Tobler ist Koordinator des Sudan Forums, das von der Basler Mission, der Caritas Schweiz, von HEKS, dem SRK und CVJF/CVJM getragen wird.Der Sudan besitzt eine Fläche von 2,5 Mio Quadratkilometern und ist damit der grösste Staat Afrikas. Er grenzt an: Ägypten, Äthiopien, Eritrea, Kenia, Libyen, Uganda, Kongo (Zaire), die Zentralafrikanische Republik und Tschad. Er zählt eine Bevölkerung von rund 20 Mio EinwohnerInnen. Auf Grund des Krieges ist die genaue Zahl und Aufteilung kaum eruierbar, nach Schätzungen leben heute ca. 14 Mio MuslimInnen, 4 Mio AnimistInnen und rund 2 Mio ChristInnen im Sudan.
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