Ob Konfliktlösung möglich ist, hängt im Wesentlichen von den politischen Umständen ab, von den bestimmenden AkteurInnen sowie davon, ob die Lehren aus vergangenen, beziehungsweise vorliegenden Erfahrungen mit Lösungsversuchen gezogen worden sind.
Es scheint jedoch sehr leicht zu sein, die falschen Lehren aus Konflikten zu ziehen. Ich spiele hier auf das Dogma an, dass die Luftbombardierungspolitik der Nato den Bosnienkrieg beendet hätte. Nach einem Anschlag auf dem Markt in Sarajewo hatte sich die Nato schliesslich zu Luftschlägen entschlossen. Kurz darauf kam es zu Verhandlungen, die zum Friedensvertrag von Dayton führten. Mir scheint es eher plausibel, dass sich die Konfliktkonstellation bis zum Frühsommer 1995 dahingehend entwickelt hatte, dass es auch ohne die Luftschläge zu Friedensverhandlungen gekommen wäre, wie Heiner Mutz ein deutscher Wissenschaftler am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg nachgewiesen hat.
Meine Hauptthese, dass die Nato kaum zur Konfliktlösung im 21. Jahrhundert wird beitragen können, möchte ich mit drei Ereignissen begründen, die für die aktuelle Analyse der Nato-Politik relevant sind: die Nato-Osterweiterung, das neue strategische Konzept der Nato sowie die Rolle der Nato im Kosov@-Krieg.
Fairerweise ist aber auch zuzugeben, dass die Lösung von Konflikten generell eine überaus komplexe und schwierige Aufgabe darstellt, wenn massgebliche AkteurInnen der Konfliktparteien selbst eine Konfliktlösung überhaupt ablehnen oder hintertreiben. Eine von aussen angestrengte Konfliktlösung wird damit praktisch zur unmöglichen Aufgabe.
Auf der Ebene rationaler Argumentation sprach in den Jahren 1994 bis 1997 alles gegen eine Osterweiterung der westlichen Verteidigungsallianz. Die Ausdehnung des Militärbündnisses wurde zunächst praktisch ausschliesslich in den USA diskutiert, in den europäischen Nato-Staaten jedoch kaum. Die aufkeimende Debatte wurde in Deutschland mit den möglichen Kosten, die die Erweiterung bringe, tabuisiert. Die verschiedenen Kostenschätzungen beliefen sich auf bis zu 150 Milliarden US-Dollar. Die Argumente gegen die Osterweiterung bezogen sich in erster Linie auf das "Warum" und das "Wohin": Die strategische und die politische Begründung für eine Erweiterung über die bestehenden 16 Mitgliedsländer hinaus fehle völlig, hiess es etwa. Bei den ersten potentiellen Neumitgliedern würden mit Polen, Tschechien und Ungarn die Falschen bevorzugt, nämlich diejenigen, welche am wenigsten bedroht seien. Wenn schon, dann müssten die baltischen Staaten und die Ukraine aufgenommen werden. Ausserdem gab es den Einwand, dass die Zielperspektive einer Osterweiterung unklar und deswegen gefährlich sei und eine unkontrollierbare Eigendynamik zur Folge haben könne. Die russischen Eliten würden zudem noch tiefer entfremdet und brüskiert. Und schliesslich würde damit nur eine neue Grenze durch Europa gezogen.
Die BefürworterInnen der Osterweiterung fanden sich insbesondere in Nato-Kreisen, allen voran der damalige deutsche Verteidigungsminister Rühe. Sein Totschlagargument lautete: Wer gegen die Erweiterung ist, tritt für den Fortbestand der stalinistischen Teilung Europas ein.
Die US-Regierung war in dieser Frage zunächst lange Zeit gespalten. Während sich das Aussenministerium für die Osterweiterung aussprach, waren das Pentagon und die vereinigten Stabschefs dagegen bis Präsident Clinton im Januar 1994 öffentlich erklärte, es gehe nicht mehr darum, ob es eine Erweiterung gäbe, sondern nur noch wann und mit wem.
Mit der Zeit fügte sich die Argumentation für die Osterweiterung nahtlos in die aussenpolitische Rhetorik der amerikanischen Regierung ein. Die Stichworte dazu heissen: Demokratisierung, Stabilisierung und demokratische Erweiterung. Das Ziel dieser Politik ist es, Demokratie und Marktwirtschaft in alle Welt zu tragen. Die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges formten sich in den USA zur Lehre, dass Deutschland mit Hilfe der Aufnahme in die Nato erfolgreich wieder in die internationale Gemeinschaft eingegliedert worden war. Die Integration in ein Militärbündnis also als Garant dafür, dass jemand wieder in den Kreis der demokratischen Staaten zurückkehrt.
Die Kernargumentation läuft somit darauf hinaus, dass die Nato die Sicherheit in Europa als Basis für Versöhnung und Angleichung und zur Aufhebung der historischen Trennungen garantiert. Die Nato wird damit gleichermassen als eine überhistorische Grösse in der europäischen Geschichte etabliert. Das bedeutet, dass man auf rationale Argumente unterhalb dieser historischen Ebene gar nicht mehr einzugehen bereit ist.
Aus der Sicht der Nato war schlussendlich die Osterweiterung unausweichlich, oder: "a bad idea, whose time had come" (eine schlechte Idee, deren Zeit gekommen sei). Die Alternative, die Nato so zu belassen wie sie war, hätte die Fragen nach dem Nutzen nicht verstummen lassen, da die Beschränkung auf kollektive Verteidigung gegen Russland stetig an Überzeugungskraft verlor. Die Konsequenz kann damit mit US-Senator Richard Lugar zusammengefasst werden: "Out of area or out of business" (etwa: "Ausweiten oder aufgeben").
Im neuen Grundsatz-Dokument der Nato von Ende April 1999 werden die wichtigsten umstrittenen Fragen nach den Kernfunktionen der Allianz nicht entschieden. Die Ausrichtung und Politik der nun 19 Mitgliedstaaten bleibt in den strittigen Punkten so unklar wie bisher:
Die geographische Reichweite von Nato-Einsätzen: Die USA befürworten einen globalen Zugriff, die meisten europäischen Staaten bestehen auf einer Beschränkung auf Europa.
Auch die Frage nach der völkerrechtlichen Mandatierung von Nato-Einsätzen wurde nicht definitiv festgelegt. Es heisst lediglich, die Mandatierung durch die Vereinten Nationen oder die OSZE sei zu bevorzugen das schliesst weitere Einsätze wie denjenigen in Kosov@ ohne eine solche Mandatierung nicht aus.
Die Rolle der Nato-Atomwaffen wird ebenfalls sehr zurückhaltend dargestellt, Abrüstungs- und Kontrollfragen werden nicht konkret angesprochen.
Kurz: Es handelt sich bei diesem Konzept um eine Wunschliste der Nato-Mitglieder mit unverkennbarem Kompromisscharakter. Es beantwortet die Frage, wohin sich die Nato militärpolitisch hinbewegen will, überhaupt nicht.
Im offiziellen Abschlussbericht der Nato heisst es zusammengefasst, die Nato habe gesiegt, denn sie habe ihre politischen Bedingungen durchgesetzt. Schliesslich habe man ein hohes politisches Ziel erreicht: die Rückkehr der jahrelang drangsalierten und von der serbischen Regierung unterdrückten Kosov@-AlbanerInnen. Es habe nicht zuletzt einen erstaunlichen Zusammenhalt im Bündnis während des Krieges gegeben trotz griechischer, italienischer und leiser deutscher Kritik.
Die inoffizielle, vertrauliche Version lautet gemäss der deutschen Nachrichtensendung "Tagesthemen" etwas anders: Die Nato sei überaus schlecht auf diese Kriegsführung vorbereitet gewesen und die Militärs hätten politische Vorgaben erhalten, die nicht einzulösen waren. Ausserdem wurde kaum serbisches Kriegspotential zerstört; unter anderem habe eine kluge serbische Taktik, die sich auf Tarnung und Täuschung stützte, die Nato um ein Haar um ihre militärische Glaubwürdigkeit gebracht.
Alle anderen Faktoren signalisieren die Erfolglosigkeit der Nato-Strategie insbesondere aus mittlerer und langfristiger Sicht: Der Krieg hat in Kosov@ verbrannte Erde hinterlassen, es gab während der ganzen Kriegswochen keinerlei Schutz der Kosov@-AlbanerInnen vor Vertreibungen. Die Mehrheit der Fachleute bezeichnen diese Kriegsführung als völkerrechtswidrig, die Aushöhlung des Völkerrechts und der Autorität der Vereinten Nationen wurde weitherum kritisiert. Auch die Art, wie die Vereinten Nationen nach Abschluss des Krieges ins Spiel gebracht wurden und nun aufräumen sollen, spricht nicht gerade für eine erfolgsversprechende Bewältigung der Krise.
Als Kriterium für Erfolglosigkeit würde ich zudem gelten lassen, dass es keine erkennbaren politischen Perspektiven dafür gab, wie die Nato Milosevic behandelt sehen wollte: Als Kriegsverbrecher oder als Regierungschef? Akzentuiert wird die fehlende Perspektive für die Befriedung der Region durch den Umgang des westlichen Militärbündnisses mit der UCK, welche für Kosov@ ein ganz anderes Ziel als die Nato deklariert.
Abschliessend lässt sich also sagen, dass die Lehren aus dem Bosnien-Krieg auch hier nicht gezogen wurden: Die Missionen der KFOR, der UNMIK und der OSZE sind schlecht aufeinander abgestimmt, die Einsatzbedingungen wurden von der Nato vorgespurt. In dieser Situation können die Vereinten Nationen und die OSZE in der Befriedung der Region nur scheitern, die Protektoratspolitik kann so nicht funktionieren und wird Unsummen kosten.
Der Kosov@-Krieg wurde in der westlichen Rhetorik als neuer Typus der Kriegsführung dargestellt. Als "humanitäre Intervention". Hier wird ein höchst problematisches Argumentationsgerüst für künftige Einsätze zur Lösung neuer Konflikte entwickelt.
Diese drei Ereignisse und Entwicklungen die Osterweiterung, das neue strategische Konzept und der Kosov@-Krieg machen deutlich, dass die bisherige Rollenverteilung in der Allianz bestätigt wurde. Die USA beherrschen weiterhin das Bündnis, auch wenn die europäischen Nato-Staaten dies nicht gerne sehen. Die Kritik am Dominanzverhalten der Supermacht bleibt politisch folgenlos, da sich die europäischen Partnerstaaten untereinander nicht einig sind.
Es zeichnet sich innerhalb der Nato also keine gangbare Alternative ab zu dieser von den USA vorgespurten Politik. Die Nato-internen Kompetenz- und Machtstrukturen wurden durch die Veränderungen seit dem Ende des Kalten Krieges im Wesentlichen nicht tangiert.
Was lernen wir also aus dem Kosov@-Krieg und den anderen Interventions-Erfahrungen in bezug auf die Rolle, die das Militär spielen sollte? Dass sich die Nato-Staaten auf die Wahrung der Menschenrechte beriefen, hat eher verdeckt, dass es sich um willkürliche und einseitige Entscheidungen handelte und dahinter auch jeweils Interessengesteuertheit steckte. Bei den Konflikten in Afghanis-tan, Türkei, Pakistan, Ruanda und Somalia berief man sich sowohl beim Entscheid zu intervenieren wie auch beim Entscheid nicht zu intervenieren auf die Menschenrechtslage. Diese Politik war aber nicht sichtbar regelgeleitet und hat nirgends zu einer dauerhaften Lösung massgeblich beigetragen.
Militärintervention durch die Nato kann also im besten Fall dazu beitragen, die Kriegshandlungen zu stoppen, mit ihnen ist aber kein Menschenrechtsschutz etablierbar. Das hat etwas mit dem Hauptcharakteristikum westlicher Kriegsführung zu tun: Der vorrangige Imperativ der "no-casualty-doctrine" (also Opfer innerhalb der eigenen Reihen zu vermeiden) führt zu einer Zwei-Klassen-Opferideologie. Das Vermeiden von Opfern unter den eigenen SoldatInnen nicht von Opfern überhaupt erleichtert die Akzeptanz eines Kriegseintrittes bei der eigenen Bevölkerung. Die Art und die Mittel der Kriegsführung werden damit zweitrangig; damit bleibt auch die Kritik am Krieg viel leiser.
Dies führt vereinfacht gesagt dazu, dass die Kriegseintrittsschwelle für die Nato auch bei unsicherer oder fehlender Legitimation niedriger wird.
Vor diesem Hintergrund ist der Krieg in Kosov@ zu kritisieren: Wenn Demokratien Luftkriege führen und keine eigenen Bodentruppen einsetzen, dann können sie erstens den Zielen dieser Politik nicht gerecht werden und zweitens halten sie die Konsequenzen der Kriegsführung aus der eigenen Gesellschaft heraus.
Alle rationale Kritik an der Nato-Politik scheint zu verpuffen, solange die Nato als Garant für die Eckpfeiler einer internationalen politischen Ordnung angesehen wird, welche Stabilität und Frieden gewährleisten soll. Vor dieser ewigen Bestandsgarantie der Nato verblasst jegliche Kritik, die Arbeit an politischen Alternativen wird damit schwieriger.
* Jutta Koch ist Mitarbeiterin des wissenschaftlichen Dienstes des deutschen Bundestages. Es handelt sich hier um das gekürzte und überarbeitete Referat von Jutta Koch an der Tagung der friedenspolitischen Initiativen "Weichen stellen in der Friedens- und Sicherheitspolitik".Inhaltsübersicht | nächster Artikel |