Gelungene Integration des Gender-Ansatzes

Die meisten friedenspolitischen Organisationen haben durchaus Probleme mit der Integration der Gender-Thematik, oder konkreter ausgedrückt: Sie haben ein Frauenproblem. Nicht so der cfd.

Von Manuela Reimann

Die bisherigen Beiträge der FriZ-Gender-Reihe haben gezeigt, dass Diskussionen rund um Sicherheit und Frieden die Frauenperspektive oft vernachlässigen und gemischte Friedens-Organisationen nur wenig Frauen zur Mitarbeit zu motivieren vermögen.1 Diese Probleme hat der cfd, der Christliche Friedensdienst, heute nicht mehr: Er ist seit über fünf Jahren eine explizit feministische Entwicklungs- und Friedensorganisation. Dieser Ansatz schliesst Männer keineswegs aus. Was dies konkret bedeutet, dem gingen wir beim cfd nach.

Nicht nur Frauen sind gefragt

Momentan arbeiten beim cfd 15 Frauen. Dies ist aber kein Dogma, sondern recht pragmatisch, erklärt Carmen Jud, Geschäftsleiterin des cfd: "Einerseits sind unsere Löhne eher niedrig, was Männer tendenziell abschreckt. Andererseits bringen vor allem Frauen die Qualifikation für feministische Arbeit und einen transparenten Umgang mit Macht mit." Grundvoraussetzung für jeden sich bewerbenden Mann ist das Interesse an feministischen Fragestellungen. Für den Vorstand gibt es eine Männerquote von 30%. Die drei Vorstandsmänner sehen sich jedoch keineswegs nur als Alibimänner: "Hingegen finde ich es witzig, ein Quotenmann zu sein", lacht Vorstandsmitglied Alex von Sinner. "Was mir am cfd gefällt, ist sein undogmatisches feministisches Engagement. Als Mann in feministischen Zusammenhängen mitzuarbeiten, hat freilich immer etwas Paradoxes. Ich finde es aber sinnvoll, wenn Frauen sich formieren, um gesellschaftliche Veränderungen hin zu mehr Gleichberechtigung und einem Abbau von Machtkonzentrationen durchzusetzen. Im cfd-Vorstand heisst dies für mich als Mann konkret, günstige Rahmenbedingungen für dieses Engagement herstellen zu helfen und es damit zu unterstützen."

Der cfd ist also eine gemischte Organisation geblieben, "aber eben mit einem feministischen Gender-Ansatz", wie Carmen Jud präzisiert. Angefangen hatte diese Entwicklung vor knapp zwanzig Jahren in Diskussionen zum Thema "Militarismus und Abrüstung". Dabei wurde deutlich, dass die Frauen andere Vorstellungen zu Sicherheit hatten als die cfd-Männer. Als Resultat wurde die Frauenstelle für Friedensarbeit als spezialisierte Abteilung in Zürich gegründet. Diese konnte sich mit feministischen Ansätzen in der Friedenspolitik rasch etablieren. Der Einbezug des Gender-Ansatzes und später des Feminismus in der Entwicklungszusammenarbeit des cfd ergab sich aufgrund dieser Vorarbeit. "Hier spielte das ständige Nachfragen der Mitarbeiterinnen der Frauenstelle nach der Gewichtung der Frauenaspekte in unseren Projekten eine wesentliche Rolle", erzählt Carmen Jud. "Aber auch unsere Partnerinnen in den Migrantinnenprojekten des cfd erkundigten sich immer wieder nach dem Patriarchat hier in der Schweiz, thematisierten den westlichen Feminismus und fragten nach Ansätzen für eine Ermächtigung der Frauen auch hierzulande, dem sogenannten Empowerment von Frauen." (siehe Interview)

Der Bruch fand anderswo statt

Der cfd durchlief am Anfang der 90er Jahre eine Krise, die Arbeit in der direkten Flüchtlingsbetreuung begann die kleine Organisation zu überlasten. Aber auch politisch konnte sich der cfd nicht mehr hinter die Asyl-Politik der Schweizer Behörden stellen. Dazu kamen Finanzprobleme.

Nach längeren Diskussionen und Umstrukturierungen entschloss sich der cfd 1993 zum Austritt aus der Flüchtlingshilfe und zur Konzentration der gesamten Tätigkeit. "Die Diskussionen rund um Hierarchisierung und Mitbestimmungsmodelle waren für viele unserer Mitglieder und SpenderInnen weit irritierender als die Orientierung hin zum Feminismus," erinnert sich Carmen Jud. "Damals führten wir intensive Debatten um ein neues Leitbild und dort wurde schliesslich die feministische Ausrichtung manifest."2

Entscheidend für die Akzeptanz des feministischen Gender-Ansatzes war zudem, dass dieser beim cfd stets differenziert analysiert wurde, weshalb eine Integration der Geschlechterfrage nicht nur möglich war, sondern sich geradezu aufdrängte. Der cfd als Hilfswerk und Friedensorganisation analysierte von Anfang an Migration und die Nord-Süd-Themen so, dass die Frage nach den Machtverhältnissen in Gesellschaften im Mittelpunkt stand – eben auch als Macht zwischen den Geschlechtern. "Natürlich gab es nach dem definitiven Wechsel zu einem feministischen Leitbild einige Männer – aber auch Frauen – , die deswegen aus dem cfd austraten", erklärt Carmen Jud, "aber es traten auch neue Leute gerade deshalb bei." Die meisten Mitglieder hatten die ganze Debatte rund um den Ausstieg aus der Flüchtlingsarbeit mitverfolgt und unterstützt. "Sie akzeptierten problemlos, dass wir nun stattdessen MigrantInnen-Basisprojekte planten. Angesichts des offensichtlichen Mangels an Projekten für Migrantinnen fiel dann der Wechsel vom grossen I zum kleinen i den meisten leicht." Besonders freut es Carmen Jud, dass auch einige langjährige, männliche Mitglieder der älteren Generation begannen, feministische Inhalte in ihren Alltag zu übertragen und Machtstrukturen zwischen Frauen und Männern zu erkennen.

Feminismus durchs Hintertürchen?

In der Zusammenarbeit mit PartnerInnen-Organisationen wird der feministische Ansatz meist problemlos aufgenommen und verstanden. Nur für wenige ist Feminismus noch immer ein abschreckendes Wort. In der Zusammenarbeit mit dem cfd erwarten zum Beispiel gerade Kirchgemeinden Erklärung und Vermittlung. "Wenn wir in einem traditionellen, kirchlichen Rahmen über unsere Arbeit sprechen, dann benutzen wir den Begriff ‘feministisch’ zunächst nicht, sondern berichten von unseren ‘Frauenprojekten’," schildert Carmen Jud. "Für uns ist nicht der Begriff an sich wichtig, sondern feministische Inhalte. Deshalb gehen wir von konkreten Beispielen aus, und erklären dann, was dies strukurell bedeutet." Also eine Einführung des Feminismus durchs Hintertürchen? Diese Auslegung lässt Carmen Jud nicht gelten: "Diese Vermittlung geschieht nicht hintenherum. Wir versuchen, die Leute dort abzuholen, wo sie sind, und gleichzeitig politische Hintergründe aufzuzeigen und unsere Prioritäten und Schwerpunkte zu begründen. Es gibt viele Frauen und Männer, die sich durch unsere Arbeit gestärkt fühlen."

1 Siehe dazu die bisher in der Serie "Gender in friedenspolitischen Organisationen" erschienenen Texte (Schweiz. Friedensrat 2/99, Friedensfonds 3/99 und GsoA 4/99).
2 Weitere Infos zum cfd aus der Zeit der Umstrukturierungen waren zu lesen in der friedens-zeitung vom April 1995. Dieser Text kann bei der FriZ nachbestellt werden.

Die Machtfrage stellen

Welche Fragestellungen ergeben sich durch den feministischen Gender-Ansatz für eine Entwicklungs- und Friedensorgani-sation? Ein Gespräch mit cfd-Geschäftsleiterin Carmen Jud und der Projektkoordinatorin Maya Tissafi.

Zuerst eine grundsätzliche Frage: Wo macht ihr beim cfd den Unterschied zwischen einer Organisation mit einer Gender-Perspektive und einer femi-nistischen Organisation?

Carmen Jud: Beim Gender-Ansatz geht es nicht automatisch um die Machtfrage. Die Geschlechterrollen können sehr neutral reflektiert werden, ohne dass damit strukturelle Veränderungen beabsichtigt werden. Ich kann beispielsweise den besseren Zugang von Frauen zu Wasser einfordern und hierfür die Frauenrolle in einem bestimmten Sektor stärken – ohne die Auswirkungen auf die Frauen-biografien zu analysieren, ohne eine Veränderung der Geschlechterrollen und der Machtstrukturen anzustreben.

Ein feministischer Gender-Ansatz fragt in erster Linie: Wem nützen welche Mass-nahmen? Was muss getan werden, damit die Frauen mehr Einfluss und Zugang zu Ressourcen erhalten? Dies muss in jedem Kontext neu diskutiert werden. Frauen sollen nicht einfach als allgemeine "Kategorie Frau" behandelt werden.

Das heisst zum Beispiel auch, dass in der Öffentlichkeitsarbeit hier in der Schweiz Frauen nicht nur als Opfer dargestellt werden. Statt dessen müssen wir die bereits existierenden Strategien der Frauen beachten, die diese entwickelt haben, um im System zurecht zu kommen. Diese können wir unterstützen, damit sie zu einem Machtgewinn führen. Dieser "Empowerment-Ansatz" ist für uns zentral.

Geht ihr bei der Auswahl der Projekte im Ausland nach diesen Kriterien vor? Konzentriert ihr euch da auch auf die Verbesserung der Position der Frauen in ihrer jeweiligen Gesellschaft, auf den soeben genannten Machtgewinn, oder, wie es in der Entwicklungsarbeit heisst, auf die ‘strategischen Bedürfnisse’? Oder seid ihr mit der alltäglichen Über-Lebenshilfe, den ‘praktischen Bedürfnissen’ voll ausgelastet?

Maya Tissafi: Sowohl als auch – es handelt sich ja nicht um einen Gegensatz. Die Projektarbeit bewegt sich einerseits auf einer sehr praktischen Ebene. Unsere Projektpartnerinnen vor Ort wollen die Frauen im Alltag unterstützen. Andererseits geht es um die Verbesserung der gesellschaftlichen Position der Frauen. Hier setzt der cfd Schwerpunkte und unterstützt insbesondere Projekte, die die Rolle der Frauen im lokalen Kontext reflektieren und ihren Zugang zu verschiedensten Ressourcen verbessern wollen. Dazu gehört auch, dass sich die Organisationen die Frage nach der Machtverteilung zwischen Frauen und Männern in ihrer eigenen Struktur stellen.

Eine häufige feministische Kritik an der Befriedigung der praktischen Bedürfnisse lautet, dass damit das Hilfswerk Aufgaben übernimmt, die eigentlich der Staat abdecken müsste, so dass dieser dann weiterhin die Frauen in ihren Grundbedürfnissen vernachlässigen kann und weniger sozialer Druck entsteht.

Maya Tissafi: Natürlich muss es ein Ziel sein, dass der Staat frauengerechte Strukturen aufbaut und den Frauen den Zugang zu den gesellschaftlichen Institutionen ermöglicht. Die gesellschaftlichen Bedingungen lassen das aber nicht immer zu. Es geht darum, gemeinsam mit den Projektpartnerinnen die Möglichkeiten jedes Mal zu diskutieren und gemeinsam Strategien auszuarbeiten. Zudem gibt es Bereiche, zum Beispiel Menschenrechtsfragen, die eher in den Händen der NGO bleiben sollten, weil diese eine kritische Haltung gegenüber dem Staat einnehmen können.

Auf der anderen Seite wird immer wieder kritisiert, dass der Empowerment-Ansatz einer westlich-feministischen Sicht entspreche und damit erneut Kulturimperialismus betrieben werde.

Maya Tissafi: Wichtig ist, dass wir unsere eigenen Positionen immer wieder hinterfragen und auch zu revidieren bereit sind. Ich lasse mich zum Beispiel abhängig vom Kontext durchaus vom Sinn eines Häkelkurses für Frauen überzeugen. Die meisten unserer Kolleginnen in den Projektländern kennen die Debatte um den westlichen Feminismus sehr gut und wissen genau, welche Unterstützung sie von uns wollen. Sie lassen sich heute kaum mehr von westlichen Hilfswerken irgendwelche Projektziele diktieren. Wichtig für uns ist der Prozess des Aushandelns von Zielen. Dabei haben wir je unterschiedliche Rollen, d.h. wir sind keine Expertinnen des lokalen Kontexts, können aber sehr wohl von aussen aus unserer Perspektive und aufgrund der Erfahrungen mit anderen Frauenprojekten Fragen stellen. Dieser Prozess braucht viel Zeit und geht nicht ohne Missverständnisse ab.

Zurück zum Empowerment von Frauen in der Schweiz: Wie sieht es damit in der Friedensarbeit des cfd aus? Sind solche Fragestellungen in der Friedenspolitik eures Erachtens schwieriger aufzuzeigen, auch weil hier die Diskussionen um Gewalt und Macht immer noch sehr männerdominiert ablaufen?

Carmen Jud: Die Frauenstelle für Friedensarbeit des cfd in Zürich setzt sich explizit mit feministischen Fragestellungen auseinander. Sie arbeitet dabei auch in gemischten Gremien mit, und dort werden noch immer feministische Anliegen oft durch scheinbare realpolitische Prioritäten verdrängt. Das hängt auch zusammen mit den Ressourcen der Frauenbewegung. Es müsste dringendst mehr investiert werden in die feministischen Friedensforschung. Wenn kein starker feministischer Theorie-Kern erarbeitet werden kann – eben durch eine Forschungsstelle –, dann haben wir wenig Chancen unsere Erkenntnisse bezüglich Gender und Frieden in der Friedensforschung und Friedensarbeit breit zu etablieren. Und damit sind wir wieder bei der Machtfrage angelangt. Es wird noch immer hauptsächlich in kriegerische Konfliktbewältigung investiert statt in Friedensforschung. Wenn Friedensforschung in grösserem Stil unterstützt wird, dann oft anhand von Themen, die der Konfliktlogik sehr nahe sind oder die die Machtverhältnisse und die gesellschaftlichen Machtträger kaum antasten, wie z.B. Mediation. Ich träume von einer parteilichen feministischen Forschung, die die lokalen und internationalen Handlungsperspektiven von Frauen analysiert und erweitert, einem Frauen-Friedensforschungsinstitut, innerhalb eines grösseren Bündnisses, in welchem der cfd eine wichtige Rolle spielt, verbunden mit der universitäten Forschung.

Die Fragen stellte Manuela Reimann

 


cfd-Projekte, Texte, Infos

Die Auslands-Projektabteilung des cfd unterstützt Projekte in Palästina/Israel, im ehemaligen Jugoslawien (Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Kosov@) und im Maghreb (Marokko und Westsahara).

In der Schweiz engagiert sich der cfd in den Projekten für Migrantinnen wisdonna, der ressourcenorientierten Bildungswerkstatt, und wisniña, wo junge Frauen und Mädchen Informationen zum Berufseinstieg, Weiterbildungsangebote und eine Plattform für politische Diskussionen erhalten.

Die cfd-Zeitung erscheint viermal jährlich, zweimal im Jahr erscheint zudem das cfd-Dossier mit ausführlichen Berichten, Kommentaren und Hintergründen zu Themen im Zusammenhang mit den Projekten und/oder feministischen Fragestellungen. Das Dossier 2/98 war dem Thema "Frauen, Gender und Empowerment" gewidmet.

Informationen über den cfd und seine Projekte sind erhältlich unter:

cfd, Postfach, 3001 Bern Telefon 031 301 60 06 E-mail cfd@dial.eunet.ch

Die cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit in Zürich ist erreichbar unter:

cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit, Postfach 9621, 8036 ZürichTelefon 01 242 93 07E-mail frieda@swix.ch

Wisdonna und wisniña: Mattenhofstrasse 28, 3008 BernTelefon 031 381 80 28


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