Stille umhüllt den Palazzo unweit des Zentrums von Bellinzona. Nur unvollständig verschleiern die abendlichen Schatten der Bäume die verblichene Fassade. Hinter der Türe im Erdgeschoss Familienalltag, Feierabend. Doch aus dem Zeitungsberg auf dem Wohnzimmertisch schauen überall die Blätter schweizerischer und italienischer Friedensorganisationen hervor. Mit seiner Frau und drei Kindern lebt hier der Physiklehrer Luca Buzzi. Der Sitzungsraum der von ihm geprägten Tessiner Gruppe für Zivildienst befindet sich gleich unten, im Keller.
Als 1977 auch im Tessin Sammelaktionen für die Tatbeweisinitiative vorbereitet wurden, ging er an eine Sitzung und machte mit. Nach der Einreichung des Volksbegehrens drohte das Engagement zu erlahmen. Da übernahm er die Koordination der Gruppe, zog eine Beratungsstelle für Militärverweigerer auf und organisierte jedes Jahr einen kantonalen Zivildiensttag, damit das Anliegen nicht in Vergessenheit gerate.
Zu Beginn der 80er Jahre brachten Aktionen gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa der Gruppe neuen Zulauf. An einem Schweigemarsch in Bellinzona nahmen gar 2000 Menschen teil. Eine Kerngruppe verdaute die Abstimmungsniederlage von 1984. Sie unterstützte den Hungerstreik vierer in Lugano inhaftierter Militärverweigerer, mit dem Erfolg, dass sich einige in anderen Knästen Sitzende dem Streik anschlossen und dass Amnesty International die vier adoptierte.
1990/91 trug die Gruppe das Referendum gegen die Barras-Reform des Militärstrafrechts mit und veröffentlichte im April 1991 anfangs nur als Medium für diese Kampagne gedacht erstmals die Zeitschrift "OBIEZIONE!", was soviel wie Einspruch heisst, aber auch Militärverweigerung bedeutet. Die Verfassungsrevision im Folgejahr und dann die Vernehmlassungen zu Gesetz und Verordnung bescherten viel Arbeit und gute Gründe, das Blatt weiterzuführen. Es berichtet bis heute vierteljährlich über Zivildienst, Gewaltfreiheit und friedenspolitische Aktivitäten, wie die 1998 gemeinsam mit anderen Tessiner Organisationen anlässlich des 50sten Todestag des berühmten Pazifisten durchgeführte Veranstaltungsreihe "Gandhi Heute".
Die jüngste Ausgabe ist eine Co-Produktion mit der Tessiner GSoA. Läuft Luca jetzt zu den ArmeeabschafferInnen über? Sofort würde er auf die Armee verzichten, doch will er sich für etwas realitätsnähere Anliegen einsetzen. Ein echter friedensfördernder Zivildienst, meint er auch, könnte mit der Zeit stärker bewusstseinsbildend wirken, als ein weiteres Abschaffungsbegehren. Er ist Erstunterzeichner der GSoA-Initiative für einen zivilen Friedensdienst.
Luca war stets bemüht, die Kontakte über die Kantonsgrenze hinweg aufrechtzuhalten und vertritt die Tessiner Gruppe im Schweizerischen Komitee für Zivildienst. Ist seine Arbeit in einer Randregion nicht besonders mühsam? Luca stimmt zu, nennt aber gleich auch einen Vorteil: In der kleinen italienischen Schweiz reiche oft schon eine bescheidene Aktion für ein Echo in der Zeitung oder gar im Fernsehen. Empört erwähnt er Widrigkeiten ganz anderer Art: Als Einstieg in ein Zivildienst-Podium an der Schule zeigte er einmal, in Absprache mit dem teilnehmenden Vertreter der Offiziersgesellschaft, die Dias des Zivildienstkomitees. Ein anderer Offizier schrieb darauf der Erziehungsdirektion, er brauche solch tendenziöses Material im Unterricht, was eine langwierige Administrativuntersuchung auslöste.
Kaum weniger beachtlich ist Lucas zweites grosses Engagement, jenes in der Weltladen-Bewegung, die er in seinem Kanton aufbauen half und dann 15 Jahre lang präsidierte. Als ich dieses Thema anspreche, beginnt auch seine Frau Silvana, lebhaft mitzureden, etwa über die zunehmende Kommerzialisierung des Solidaritätsgedankens. Luca stieg vor drei Jahren aus, sie blieb. Eigentlich passt dieses Gebiet noch besser zur Vergangenheit der beiden, die eine gemeinsame dreieinhalbjährige Erfahrung in Peru zusammenschweisst, von wo sie einen eigenen Sohn und eine Adoptivtochter mitbrachten, sowie den Willen, sich auch hierzulande zu engagieren.
Wie aber war so viel Arbeit neben Familie und Beruf möglich? Luca hat eben immer nur Teilpensen unterrichtet und betont, dass gerade die gemeinsame Überzeugung immer wieder half.
Andere kommen und gehen. Luca ist es, der sie zusammenhält. Doch bei der Produktion des Blattes ist er oft allein. Aber er ist überzeugt, dass nur der lange Atem Veränderungen bewirken kann. So toll seien diese während der letzten 20 Jahre aber auch nicht gewesen: Vor allem für Solidaritätsanliegen sei der Boden steiniger geworden. Immerhin: ein Ansporn für seine Engagement war auch, dass seine Söhne einmal nicht zwischen Militärdienst oder Gefängnis wählen müssen sollten. Am 4. Oktober beginnt der Älteste seinen Zivildienst beim WWF.
(pida)
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