Tirana im Frühjahr 1999: Die Stadt schwappt über von ausländischen Hilfswerken. Hunderte von Geländewagen mit Hilfe versprechenden Aufschriften quetschen sich durch den mörderischen Verkehr der Stadt. Die Hotels sind belegt von JournalistInnen und HilfswerkvertreterInnen.
In der allgemein unübersichtlichen Lage gibt es viel zu koordinieren. An der Rezeption des "Tirana-International" liegen Termine für Sitzungen, "Meetings", aus. Es gibt sehr viele Meetings. Was dort nicht aufliegt, wird per Mundpropaganda weitergegeben, oder eben an den zahlreichen Meetings selbst. In der "Pyramide", einem grossen pyramidenförmigen Gebäude in einem parkähnlichen Gelände mitten in der Stadt, finden regelmässige Treffen aller ausländischen Hilfswerke statt, doch die VertreterInnen der "locals", der lokalen Organisationen, fehlen. Dabei gäbe es für sie hier, wo Dutzende von Hilfswerken und auch NATO-VertreterInnen teilnehmen, wichtige Informationen.
Es ist, als existierten zwei verschiedene Welten. Die Welt der ausländischen Hilfswerke einerseits, die in das Land ebenso unvermittelt eingefallen sind wie die Flüchtlinge. Dann die Welt der albanischen NGO, die oft von den ausländischen Aktivitäten ausgeschlossen sind, manchmal auch dann, wenn sie offiziell als Partner der "foreigners", der ausländischen Organisationen, auftreten.
ÜbersetzerInnen VermittlerInnen zwischen den Welten werden zu hochentlöhnten Mangelarbeitskräften. Gute Leute der "Locals" aus allen Sparten werden abgeworben, die ausländischen NGO können Löhne bezahlen, die ein Vielfaches über den einheimischen Ansätzen liegen. Die albanischen NGO beginnen jedoch das Abwandern der eigenen Kader empfindlich zu spüren. Ausländische Organisationen, die mit Einheimischen zusammenarbeiten, bewahren sich durch Finanzhoheit ihre Macht- und Steuerposition. Und fliegen am liebsten ihre eigenen ExpertInnen ein.
Im Flüchtlingslager Piscina, dem Schwimmbad von Tirana, ist so heisst es die Organisation Medair für die Aufrechterhaltung und Organisation des Lagerbetriebs verantwortlich. Im Lager treten sich die Hilfswerke und die JournalistInnen gegenseitig auf die Füsse, das ständige Kommen und Gehen von Print-, Bild- und Ton-MedienvertreterInnen erlaubt Medienpräsenz, bedeutet damit Gratiswerbung und sichert wieder Spendengelder. Doch nimmt von den ausländischen HelferInnen lange Zeit niemand zur Kenntnis, dass eigentlich Arben Gugushka, ein Dozent aus Tirana, der Leiter des Lagers ist. Dieser beruft, um endlich Ordnung zu schaffen, schliesslich eine Sitzung für alle anwesenden HilfswerkvertreterInnen ein. Dort wählt er aus, wen er im Lager haben will.
Und dann sind plötzlich alle weg. Als die Flüchtlinge gleich nach dem deklarierten Friedensschluss am 10. Juni in Massen das Land verlassen, folgen ihnen auch JournalistInnen und Hilfswerkleute diesmal die Trecks in umgekehrter Richtung nach Kosov@ begleitend. Es konnten keine fernsehtauglichen Bilder vom Flüchtlingselend in den albanischen Lagern mehr eingefangen werden. Und auch der "Markt" der Hilfswerke, sprich die Einsatzgebiete in den Flüchtlingslagern, verlagert sich mit rapider Geschwindigkeit nach Kosov@.
Dort jedoch, so beschreibt Thomas Buomberger, Geschäftsführer der Organisation "Gemeinden gemeinsam" Ende September im "Tagesanzeiger", scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Nach drei Monaten, so Buomberger, haben sich "weit über hundert NGO in ihren Büros eingerichtet, ihre Vertreter fahren in Geländefahrzeugen von Sitzung zu Sitzung. Es wird fleissig koordiniert, es wollen Tages-, Wochen- und Monatsrapporte geschrieben sein. Der Markt für Übersetzer ist ausgetrocknet, und diejenigen Kosovaren, die für internationale Organisationen arbeiten können, haben ein gutes Einkommen."
Buomberger beschreibt weiter: "Drei Monate, nachdem die internationale Helfergemeinschaft Kosovo friedlich besetzt hat, fehlt es noch immer an allen Ecken und Enden. Zwar sind die Mitarbeitenden der NGO schon frühzeitig ausgeschwärmt und haben Spitäler, Schulen, Heime und so weiter mit ihren Stickern bepflastert, um so ihr Terrain abzustecken, ihre Präsenz zu markieren. Doch nach einem kurzen Augenschein und grossen Versprechen haben sie sich meist rar gemacht zum Beispiel im 450-Betten-Spital in Pec." Er zitiert Isa Qaligani, den Direktor des Spitals: "Wir haben die Nase voll von den internationalen Organisationen. Die geben sich die Klinke in die Hand, machen grosse Versprechungen. Aber ausser dass sie uns von der Arbeit abhalten, ist gar nichts passiert." Dabei fehle es im Krankenhaus an allem, Hilfe wird dringend benötigt. Agim Shala, der Cheftechniker des Spitals: "Ich habe verschiedene Hilfsorganisationen gefragt, ob sie mir Werkzeug geben könnten. Am Schluss musste ich mein eigenes von zu Hause mitnehmen, weil ich keines bekommen habe." Als rühmliche Ausnahmen nennt Buomberger "médecins sans frontières" und das Schweizerische Arbeiterhilfswerk SAH, die nicht nur Hilfe zusagten, sondern diese auch leisteten.
Aus der Sicht von Nena Skopljanac, einer Mitarbeiterin der Aktion Medienhilfe Ex-Jugoslawien, läuft auch das ausländische Engagement im Medienbereich nicht optimal. Das geplante Radioprojekt, das von der UNO mit Unterstützung der Schweiz nach dem Vorbild des bosnischen Radio Fern in Kosov@ starten soll, hat ihrer Ansicht nach nicht den besten Zugang zum Geschehen. "Es dürfte", so Skopljanac, "eines der teuersten Radioprogramme der Welt werden." Eine halbe Stunde Programm wird von ausländischen JournalistInnen und RedaktorInnen produziert, dann von heimischen ÜbersetzerInnen und SprecherInnen ins Albanische übertragen und schliesslich von lokalen Stationen verbreitet. Das ganze Projekt inklusive Produktionsstudio hat ein Jahresbudget von etwa zwei Millionen Franken.
"Ich verstehe, dass die UNO ein Radio oder Medien überhaupt braucht, doch eine bessere Alternative wäre die rigorose Unterstützung bereits vorhandener lokaler Strukturen", so die Mitarbeiterin der Medienhilfe. "Statt von aussen Programme aufzuoktroyieren, sollte man die kompetenten einheimischen Fachleute unterstützen!"
Zurück nach Albanien. Die Leiterin einer albanischen NGO beschreibt die schwierigen Erfahrungen während der Krisenmonate als Koordinatorin eines zuerst vielversprechend anmutenden deutsch-albanischen Kooperationsprojekts im Bereich psychosozialer Hilfe für traumatisierte Flüchtlingsfrauen in Lagern rund um Tirana: "Zuerst bombardierten sie uns mit E-mails und Telefonaten, hielten uns von unserer Arbeit ab. Es machte den Eindruck, als nähmen sie ausschliesslich sich selbst wichtig. Dass in unserem Zentrum hier verschiedene Projekte zusammenliefen, schienen sie gar nicht wahrzunehmen." Nach dem eigentlichen Start der Arbeit gab es keine Budgetfreiheit, und vor allem keine Transparenz. "Wir wussten nicht, woher sie eigentlich ihre Gelder beziehen, das wäre für uns aber wichtig gewesen."
Dann tauchten persönliche Probleme auf. Der albanischen wurde eine deutsche Koordinatorin beigestellt, die beiden konnten aber nicht miteinander. Doch die albanische Koordinatorin wagte es aufgrund des tatsächlichen oder so wahrgenommenen Machtgefälles nicht, sich zu beschweren.
Als schliesslich die deutsche Organisation die Zusammenarbeit mit einer albanischen NGO aufkündigte, mit der Begründung schon seit geraumer Zeit mit der Zusammenarbeit unzufrieden zu sein, fielen die albanischen Partnerorganisationen wie auch die übrigen Partnerorganisationen in Tirana aus allen Wolken. "Darüber wurde zuvor nie ein Wort verloren, das lief ohne jegliche Transparenz", klagt eine der Mitarbeiterinnen aus Tirana.
Tirana, Mitte September 1999. In der "Pyramide" findet eine Tagung statt, die vom UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR mitorganisiert ist. Das Thema: Das Verhältnis der lokalen Hilfsorganisationen zu den ausländischen NGO. Ziel des Forums war es, eine Bilanz der Krisensituation in den Frühjahrsmonaten zu ziehen und zu ermitteln, weshalb die "Partnerschaften" häufig nicht funktionierten.
Die einheimischen NGO waren in ihrer Kritik an den ausländischen PartnerInnen nicht gerade zurückhaltend: Die "foreigners" hätten nicht wirklich mit den einheimischen Organisationen zusammengearbeitet und hätten sie nicht wirklich als PartnerInnen ernst genommen. Stattdessen hätten sie den Einheimischen teilweise noch geschadet, da viele gute einheimische Fachkräfte von den ausländischen NGO abgeworben wurden.
Aber auch an Selbstkritik wird nicht gespart. So habe beispielsweise das Geld der ausländischen HelferInnen einige Einheimische dazu verlockt, fingierte Hilfswerke zu gründen, oder ihr Hilfsangebot mit fingierten Leistungen zu ergänzen, um dafür Geld zu kassieren.
Als Ergebnis der Tagung wurden unter anderem folgende Empfehlungen verabschiedet: Ausländische Organisationen sollen verstärkt darauf achten, dass partnerschaftlich gearbeitet werde. Das heisst, lokale PartnerInnen brauchen den vollen Einblick in Budgets und Projektpläne, andernfalls werden sie zu ausführenden Organen degradiert. Oder zu ebenfalls passiven GeldempfängerInnen. Stattdessen wäre es wichtig, lokale Kräfte zu stärken, in dem man ihnen die Möglichkeiten zur Weiterbildung anbietet und sie in die Lage versetzt, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Ausserdem und das steht damit in engem Zusammenhang sei vermehrt darauf zu achten, den einheimischen NGO nicht qualifizierte Leute sprich menschliche Ressourcen abzuziehen.
*Barbara Hofmann ist Journalistin und führt im Tessin das Pressebüro movimenti. Sie besuchte mehrfach Albanien, wo sie auch in Projekten mitarbeitete.Inhaltsübersicht | nächster Artikel |