"Da unten hat eine Allianz des Satans gewütet", sagte ein Mitglied des "Nationalen Rats des timoresischen Widerstandes" (der die Regierung in Ost-Timor übernehmen soll), als er nach dem Einmarsch der UN-Truppen mit einem Reporter in den Bergen über Dili zusammentraf. Die Stadt ist niedergebrannt, es wurde geplündert und alles zerstört, was für einen in den Geburtswehen steckenden Staat von Bedeutung sein könnte. Innert weniger Tage haben die Milizen, dem schon vor den Wahlen bekannten "Plan B" folgend, die östliche Inselhälfte in einen rauchenden Trümmerhaufen verwandelt und wurden dabei durch die indonesische Armee logistisch und materiell unterstützt.
Der Status des 1976 durch Indonesien annektierten Ost-Timor als Provinz Indonesiens wurde von den Vereinten Nationen nie anerkannt (vergl. FriZ 2/97). Ost-Timor figuriert auf der UNO-Agenda immer noch als zu entkolonialisierendes Territorium. Der einzige westliche Staat, der diese widerrechtliche Einverleibung eines fremden Gebietes sanktionierte, war Australien. Trotz oder vielmehr wegen der latenten Bedrohung durch den überbevölkerten und inhomogenen Multikulturstaat Indonesien an seiner Nordgrenze, übernahm Australien zusammen mit den USA seit langem eine Vorreiterrolle bei der Anbindung des Inselreiches an die westliche Ideologie und Wirtschaft.
Ein erst kürzlich durch den "Act of free Information" frei gegebenes Dokument der US-Regierung belegt, dass die amerikanische CIA bereits beim Sturz Präsident Sukarnos 1965 ihre Hände im Spiel hatte. Das Abschlachten von über einer halben Million meist chinesischstämmiger LadenbesitzerInnen und vermeintlichen RegimegegnerInnen zwischen Oktober 1965 und März 1966, wurde durch die USA mit der Lieferung von Geheimdienstinformationen über "RegimegegnerInnen" gefördert.
Die Tausenden von Leichen, die damals den Weg von der Hauptstadt Jakarta zum Flughafen gesäumt hatten, wurden schnell vergessen. Der jahrzehntelange Krieg in West Papua, die Auseinandersetzungen auf den Molukken, die Unterdrückung in Borneo und Aceh, die schamlose Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung und die gleichzeitige masslose Bereicherung durch die herrschende nepotische Schicht, all diese Umstände wurden und werden durch die westliche Welt geduldet und zum Teil unterstützt.
Indonesien wurde mit Waffen aus Deutschland, Frankreich und vor allem auch aus England und den USA aufgerüstet. Die hochtechnisierte Armee verfügt über europäische Schnellfeuergewehre, deutsche und französiche Helikopter, deutsche U-Boote und Fregatten sowie über moderne englische Kampfflugzeuge. Ausgebildet wurden die Kader in den Lieferländern. Vor rund zehn Jahren fanden die ersten australisch-indonesischen Militärmanöver im Norden Australiens statt. Geübt wurde der Kampf gegen Milizionäre im unwegsamen Gelände, auch auf Ost-Timor. Zahlreiche führende indonesische Offiziere der Armee wurden in der australischen Militärakademie ausgebildet. Fast zur gleichen Zeit wurde auch das "Timor-Gap-Abkommen" zur gemeinsamen Ausbeutung der reichen Öl- und Gasvorkommen in der Timorsee unterzeichnet.
Mit dem riesigen Umsiedlungsprogramm "Transmigrasi" versuchte Suharto das Problem der Überbevölkerung auf den zentralen Inseln zu lösen und gleichzeitig die unruhigen, annektierten Ausseninseln wie Ost-Timor, West Papua oder die Molukken unter Kontrolle zu bekommen. Oft wurden die neuen Siedlungen für die "Transmigrasi" wie Wehrdörfer entlang von Grenzen (West Papua) oder rund um Bergwerksgebiete (Borneo, West Papua) angelegt. Dieses Programm wurde am Anfang sogar noch durch die Weltbank mitfinanziert; auch die deutsche Armee unterstützte diese Umsiedlungsaktionen nach Kräften. In über 1000 Flügen beförderte die deutsche Luftwaffe in den Jahren 1981 und 1982 38 000 AussiedlerInnen von Jakarta auf die Ausseninseln. Diese Form der "Assimilierung" der Randgebiete hat die Konflikte vorprogrammiert. Es können damit nicht einfach die unterschiedlichen ethnischen Abstammungen für Spannungen zwischen den Bevölkerungen verantwortlich gemacht werden. Vielmehr spielt hier auch die unterschiedliche koloniale "Erfahrung" eine Rolle.
Indonesien ist der grösste muslimische Staat der Welt, über zwei Drittel der 210 Millionen Einwohner bekennen sich zum Islam. Doch in den wenig bevölkerten Aussengebieten waren die Angehörigen christlicher Religionen bis in die siebziger Jahre in der Mehrheit. Dies ist ein Resultat der unermüdlichen Missionsarbeit durch die holländischen, portugiesischen, deutschen und englischen Kolonialherren, die im Gebiet des heutigen Indonesien geherrscht haben. Holland musste sich nach dem zweiten Weltkrieg zuerst von den Zentralinseln zurückziehen, dann in den sechziger Jahren schliesslich auch aus West Papua, das von Indonesien zuerst besetzt und Jahre später förmlich einverleibt wurde.
Als sich Portugal nach der Nelken-Revolution 1975 von seinen Kolonien trennte und auch Ost-Timor vor seiner Unabhängigkeit stand, marschierte Suharto mit Truppen in der ehemaligen Kolonie ein. Im darauf einsetzenden Kleinkrieg zwischen der indonesischen Armee und der timoresischen Bevölkerung verlor rund ein Viertel der Einwohner ihr Leben. Seit der Besetzung Ost-Timors 1975 sind laut Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen mindestens 200 000 Tote zu beklagen. Und dabei sind die Opfer der jüngsten Gewaltwelle noch nicht mitgezählt.
Die letzten Berichte aus Ost-Timor besagen alle eines: Die von der indonesischen Armee während Jahren ausgebildeten und bewaffneten Milizen haben in ein paar Tagen die gesamte Infrastruktur des Landes zerstört. Selbst ihre eigenen Häuser und Kasernen hat die Armee angezündet. Die Politik der "verbrannten Erde" wurde in Ost-Timor auf Geheiss des Generalstabes in Jakarta bedingungslos ausgeführt.
Wer glaubt, dass 1998 mit den ersten freien Wahlen seit über 40 Jahren in Indonesien die Demokratie Einzug gehalten hat, täuscht sich. Denn bis heute hat sich nichts Grundlegendes am herrschenden System in Indonesien geändert. Der jetzige Präsident B.J. Habibi ist kein von der Bevölkerung gewählter Repräsentant, sondern eine Schachfigur von General Suhartos Gnaden, der ausserdem die Unterstützung des Verteidigungsministers und starken Mannes im Lande, General Wiranto, geniesst.
In Anbetracht der wirtschaftlichen Interessen des Suharto-Clans und der Militärs in Ost-Timor sieht die Zukunft düster aus. Allein die Familie des Ex-Diktators besitzt über eine halbe Million Hektar Land im Ostteil der Insel. Im Süden bauen die Suharto-Kinder Zuckerrohr an, Tutut, die älteste Tochter, ist zudem Besitzerin der schönsten Hotels und die Familie kontrolliert auch die drei Ölfirmen, welche in Ost-Timor fördern. Jetzt hat die Familie auch eine Firma in Perth (Australien) gegründet, die "PT Genindo Western Petroleum Propriety Ltd.", mit welcher sie hofft, auch weiterhin von den reichen Ölvorkommen in der Timor-See profitieren zu können.
In den vier unmittelbar an West-Timor angrenzenden Provinzen Ost-Timors haben vor allem hohe Armeeoffiziere ihre Pfründe. Die grossen Kaffeplantagen und der Sandelholzexport sind fest in den Händen von "PT Batara Indra", einem Konglomerat im Besitz der Militärs. Aber auch die meisten Hotels und das einzige Kino in Dili gehören dazu oder was noch davon übrig ist.
Die kürzliche Abstimmung in Ost-Timor über dessen Unabhängigkeit wurde durch die UNO organisiert und überwacht. Der überwältigende Entscheid für die Unabhängigkeit war voraussehbar. Aber auch der sogenannte "Plan B" des indonesischen Militärs war bereits vor dem Urnengang bekannt. Kofi Annan selbst musste den Termin für die Abstimmung mehrmals aus Sicherheitsgründen verschieben. Die Drohungen der Milizen und die Haltung des Militärs gefährdeten ernsthaft die Sicherheit.
Verteidigungsminister General Wiranto rechtfertigte die Passivität des Militärs mit dem Argument: "Wenn die Soldaten auf die Milizen schiessen, haben wir einen Bürgerkrieg." Die UNO glaubte ihm, dass er gleichzeitig auch die timoresische Bevölkerung vor den Milizen schützen werde. Als Kontrast zur Gutgläubigkeit der UNO sah man zur gleichen Zeit die Fernsehbilder der letzten ReporterInnen in Dili, in welchen sich indonesische Soldaten mit dem für die Armee typischen Kurzhaarschnitt Langhaar-Perücken überziehen und zu zweit oder zu dritt, auf dem Motorrad schiessend durch die Strassen fahren.
Hunderttausende ZivilistInnen flohen in die Berge. Das IKRK glaubt, dass rund 200 000 Ost-TimoresInnen in Lager nach West-Timor gebracht wurden, zu denen es noch keinen Zugang gibt. Die UN-Truppen stellten nach ihrem Einmarsch mit Schrecken fest, dass die Städte praktisch menschenleer sind.
In Den Haag wirkt nun Carla Del Ponte als Chef-Anklägerin des UN-Tribunals. Doch geahndet wird nur selektiv. Kriegsverbrechen in Kosov@ oder ein Völkermord in Ruanda werden durch die Völkergemeinschaft anders gewichtet als ein geplanter Genozid im strategisch und wirtschaftlich wichtigen Indonesien. Will die UNO den Rest ihrer Glaubwürdigkeit retten, dann muss sie ein Tribunal für die Verbrechen auf Ost-Timor einberufen.
Jahrelang weigerte sich übrigens auch die schweizerische Regierung, die Waffenexporte in die Kriesenregion zu stoppen, unterstützte jedoch gleichzeitig die Arbeit des IKRK in der Region und anerkannte damit auch die bewaffneten Konflikte in Indonesien.
*Theo Frey hat in den 80er Jahren in Indonesien gelebt und gearbeitet.Inhaltsübersicht | nächster Artikel |