"Ohne öffentliche Reue gibt es keine Zukunft in Jugoslawien"

Ein Gespräch mit Svetlana Slapsak, der Chefredaktorin der feministischen Zeitschrift "ProFemina" in Belgrad, die ebenfalls Opfer der serbischen Reaktion auf die Nato-Luftangriffe wurde.

ProFemina gilt auch in serbischen Oppositionskreisen als "zu radikal" – weshalb?

Svetlana Slapsak: Für feministische Organisationen gab es vor der Nato-Intervention in Serbien zwei grundlegende Möglichkeiten: Die eine hiess Isolierung und war die Variante, die "Women’s Studies" und viele andere Frauenorganisationen in Belgrad und Jugoslawien wählten. Sie konnten zwar frei ihre Anliegen verfolgen, fanden aber auch kaum Gehör in der Öffentlichkeit. Die zweite Möglichkeit war das Engagement im oppositionellen Mainstream Serbiens, wofür sich unter den feministischen Organisationen einzig ProFemina entschied. In der Folge wurden wir nicht nur von den offiziellen, staatlichen Organen, sondern auch von den unabhängigen, nicht-nationalistischen Medien angegriffen. "Vreme" zum Beispiel, bezeichnete uns als "schlimmer als die Kommunisten", da wir zu einem Zeitpunkt auf die Rechte der Frauen pochten, in dem wichtigere Themen anstehen würden.

Ich selbst wurde 1995 in einem vom serbischen SchriftstellerInnenverband herausgegebenen Dokument öffentlich als "Verräterin" an der serbischen Nation bezichtigt, weil ich die Bücher von Dobrica Cosic, des serbischen Autors, verrissen hatte. Tatsächlich haben viele serbische SchriftstellerInnen nie in ihrem Leben öffentlich den Nationalismus verurteilt und trotzdem den Weg in die unabhängigen Medien gefunden. Heute beunruhigt es sie natürlich, wenn jemand sich an ihr Schweigen und ihre kompromisslerische Haltung vor und während des Krieges erinnert, und darüber nicht höflich schweigt. Es ist wichtig zu verstehen, dass die jugoslawische Gesellschaft früher genau diese Haltung – ja keine Wellen schlagen – belohnte und dass heute viele Leute sich weiter so verhalten.

Welche Haltung vertritt ProFemina gegenüber dem Krieg, den die Nato gegen Serbien führte? Und wie steht Ihr zum Krieg Milosevics gegen Kosov@?

Svetlana Slapsak: ProFemina ist heute gegen jede Art von Gewalt, wie wir es während des gesamten Jugoslawienkrieges waren. Wir verfügen über ausgezeichnete Beziehungen zu unseren albanischen Schwestern, ganz besonders zu "Sfinga", der albanischsprachigen feministischen Zeitschrift, die in Kosov@ entstanden ist.

Die Haltung von Pro Femina war und ist, dass die Verantwortung des serbischen Regimes für den grössten Teil des Jugoslawien-Kriegsdesasters bis heute nie wirklich offengelegt und diskutiert worden ist in der sogenannten "Oppositions- kultur". Die serbische Gesellschaft braucht jetzt zwingend eine "Entnazifizierung", die Kriegsverbrecherprozesse vor dem Haager Tribunal und volle Kenntnis über die massiven serbischen Verbrechen an den AlbanerInnen. Ohne diese öffentliche Katharsis gibt es keine Zukunft. Darauf müssen gerade Frauen bestehen, weil ihre Rechte und ihre Position nur mit diesem moralischen Kapital gefestigt werden können.

Welche Repressalien haben Sie selbst von den Behörden erfahren?

Svetlana Slapsak: Es begann mit den Studentenunruhen 1968. Mein Pass wurde bis 1989 dreimal wegen meinen politischen Aktivitäten beschlagnahmt. 1969 gab ich zusammen mit zwei Kollegen eine satirische Zeitschrift heraus, deren Druck von den Behörden eingestellt wurde. Ich wurde von der Polizei verprügelt, verfolgt und belästigt, genauso wie viele meiner KollegInnen von der Belgrader PhilosophInnen-Schule in den Jahren 1968–1976.

Nach 1983 veröffentlichte ich wieder einige meiner politischen Kommentare. 1987 publizierte ich dann als Präsidentin des Ausschusses zur Verteidigung der Meinungsfreiheit des Schriftstellerverbandes einen Aufruf zur Freilassung des Albaners Adem Demaqi, des am längsten gefangen gehaltenen politischen Häftlings Jugoslawiens (während 29 Jahren, länger als Nelson Mandela); ich wurde deshalb sowohl von den staatlichen Medien wie auch von meinen nationalistischen SchriftstellerkollegInnen angegriffen. Im selben Jahr wurde ich aufgrund einer falschen Anklage der Schwester des damaligen Vorsitzenden des jugoslawischen Präsidiums verhaftet; das Verfahren endete mit einem kompletten Desaster meiner AnklägerInnen – aber ich war meinen Job am Institut für Literatur in Belgrad los. Das war nicht so schlimm, konnte ich doch danach in Ljubljana (Slowenien) und in Zagreb (Kroatien) unterrichten. Aber für mich war spätestens jetzt offensichtlich, dass die alten 68er DissidentInnen in Serbien immer mehr an Boden verloren gegenüber der neuen nationalistischen Mehrheit der Intellektuellen, welche die Sprache des Hasses schmiedeten und den Krieg schürten. Als der Krieg 1991 ausbrach, zog ich zu meinem Ehemann nach Ljubljana. Aber dort war ich "die Serbin", die dann 1992 zum zweiten Mal von ihren nationalistischen – diesmal slowenischen – KollegInnen von der Universität gejagt wurde.

1993 erhielt ich im dritten Anlauf endlich die slowenische Staatsangehörigkeit, dank diplomatischer Interventionen von seiten Frankreichs. Heute unterrichte ich an der unabhängigen Nachdiplomschule für Geisteswissenschafften in Ljubljana (Institutum Studiorum Humanitatis, ISH) und gebe gleichzeitig "ProFemina" in Belgrad heraus.

Wie sieht die gegenwärtige Situation von ProFemina aus?

Svetlana Slapsak: Kurz nach dem Beginn der NATO-Bombardements hat die serbische Polizei den ganzen Besitz von ProFemina – darunter sämtliche früheren Ausgaben und unseren PC – beschlagnahmt, weil wir Bestandteil von Radio B 92 sind. Radio B92 ist das einzige wirklich "unabhängige" Medienunternehmen Serbiens, das nicht-sexistisch und objektiv über Kosov@ berichtet. Sämtliche Anlagen und Einrichtungen von B 92 wurden geschlossen, anschliessend setzten die serbischen Behörden einige MarionettenredaktorInnen aus der Partei von Frau Milosevic ein, die das Radio weiterbetrieben. Die Verantwortlichen von Radio B 92 und ProFemina aber gingen in den Untergrund – wo wir jetzt die nächsten Ausgaben vorbereiten.

Welche Unterstützung wünschen Sie sich von aussen?

Svetlana Slapsak: Von Slowenien aus sind die Verbindungen nach Serbien nach wie vor offen, so dass ich den ProFemina-Frauen in Belgrad Geld schicken kann für die Produktion der nächsten Ausgaben. Allerdings ist unser Bankkonto gesperrt, weshalb wir das Geld den Leuten dort persönlich überbringen müssen. Ausserdem bereiten wir zurzeit die Internetversion von ProFemina vor sowie eine Spezialnummer über "Frauen und Krieg". E-mail funktioniert noch immer, auch wenn in Serbien wegen der Polizeikontrolle E-Mail-Adressen häufig gewechselt werden müssen.

Jede Geldspende ist selbstverständlich willkommen – aber bitte versucht zuerst unseren albanischen Freundinnen von Sfinga zu helfen, deren Situation sehr viel schlechter ist!

Das Interview führte Bianca Miglioretto für Radio LoRa; es wurde am 5. Juli 1999 im Fraueninfo ausgestrahlt. Übersetzung für die FriZ: db.

ProFemina

ProFemina ist eine Literatur- und Kultur-Zeitschrift für Frauen, die vierteljährlich in serbokroatischer Sprache erscheint. Den Inhalt bilden feministische Texte und Texte über Feminismus. Zur Redaktion in Belgrad gehören u.a. Ljiljana Djurdjic, Dubravka Djuric, Meredith Tax, Ljiljana Sop und Divna Vuksanovic. Chefredaktorin ist die in Slowenien lebende Schriftstellerin Svetlana Slapsak (s. Interview).

Kontaktadresse Media Center (for ProFemina), Knez Mihailova 25/I, 11000 Belgrad, Jugoslawien.

E-Mail p-femina@opennet.org

Internet http://www.siicom.com/profemina/

Sfinga

Sfinga heisst die albanischsprachige feministische Zeitschrift in Kosov@, die ihr Erscheinen wegen des Krieges – zumindest vorübergehend – einstellen musste. Sazana Capriqi, die Herausgeberin von Sfinga, hält sich zurzeit in Montenegro auf.

E-mail: capriqi@cg.yu


Aus B 92 wird B2-92

Das Team des unabhängigen Radios B 92 hat Ende Juli nach vier Monaten Unterbruch sein Programm unter neuem Namen wieder aufgenommen. Der Sender nennt sich jetzt "B2-92" und strahlt sein Programm auf einer Frequenz der Belgrader Fernseh- und Radiostation "Studio B" aus. Studio B steht dem serbischen Wendehals und Nationalisten Vuk Draskovic nahe. Trotzdem sind die Verantwortlichen von B92 überzeugt, mit dem neuen Sender auch in Zukunft unabhängig berichten zu können: "Sonst hören wir sofort auf!" Zunächst ist der Sender in Belgrad täglich von 8–20 Uhr auf 99,1 MHz (UKW) zu hören, soll aber in den kommenden Wochen via ANEM Radio Network in ganz Serbien verbreitet werden.

Wenige Stunden nach dem Beginn der Nato-Luftangriffe auf Serbien hatten die serbischen Behörden am 24. März den regimekritischen Sender geschlossen und versucht, der Redaktion eine neue Führung aufzuzwingen. Alle JournalistInnen, TechnikerInnen und übrigen MitarbeiterInnen von Radio B 92 weigerten sich jedoch, unter staatlicher Kontrolle weiterzuarbeiten.

Infos http://www.freeb92.net


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