Es sei daran erinnert, dass das Desaster des Bombenkriegs der "Allied Force" Mitte Mai seinem Höhepunkt entgegentrieb: Die Luftschläge der Nato hatten die hunderttausendfache Vertreibung der kosov@-albanischen Bevölkerung aus ihren Lebensgebieten in die Wälder oder über die Grenzen, die Massaker und Plünderungen durch die serbischen Polizei- und Armeeeinheiten nicht verhindern können oder hatten sie, je nach Sichtweise, gar herausgefordert. Die grosse Vertreibung war bereits zu Beginn des (nicht erklärten) Krieges erfolgt, den die Nato innert Tagen zu gewinnen hoffte. Auch nach wochenlangem Beschuss zeigte die serbische Armee keinerlei Bereitschaft zum Rückzug, gleichzeitig häuften sich die "Kollateralschäden" an zivilen Einrichtungen und führten zu internationaler Kritik, immer offensichtlicher wurden die Grenzen des ferngelenkten Bombenkriegs.
Die Forderungen nach einem Bodentruppeneinsatz gegen den "neuen Hitler" in Belgrad häuften sich; je länger der Krieg andauerte, desto unabsehbarer wurden dessen Auswirkungen. Dann gab Slobodan Milosevic nach, akzeptierte ein UNO-Protektorat in Kosov@ unter faktischer Nato-Führung und musste die Machtübernahme der UCK in Kauf nehmen. Eine trotz Risiken erfolgreiche Aktion des Westens zur Durchsetzung der Menschenrechte im Osten Europas?
Die erste Frage stellte der SFR zur Legitimation einer militärischen Intervention überhaupt, auch durch die Uno, und wies auf eine Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen in verschiedensten Ländern hin, deren Regierungen wenn es nach der Argumentation der Nato ginge eine ebensolche Behandlung wie Milosevic "verdient" hätten. Auch wenn eine völkerrechtlich abgesicherte Militäraktion nicht kategorisch ausgeschlossen wurde, so folgte doch die Befürchtung, dass sich durch eine solche "Friedenserzwingung" die Bemühungen um internationale Stabilität der letzten 50 Jahre in ihr bares Gegenteil, in einen Kampf aller gegen alle, verwandeln könnten.
Dies bleibt hoffentlich mehr Warnung als Voraussage. Die Intervention der Nato konnte ja nur politisch durchgesetzt werden, weil sie versprach, mit dem "smarten" Einsatz der Bomben keine eigenen Verluste zu riskieren (was ihr sogar gelang). Die äusserst fragile öffentliche Meinung, in Europa wie in den USA eher skeptisch als überzeugt von der Intervention, wenn auch nicht durchwegs aus pazifistischen Gründen (Clinton verlor wegen dem Bombenkrieg gar erstmals erheblich an Popularität), hätte sich unzweifelhaft gegen das Abenteuer gewendet, wenn die ersten Särge der eigenen Soldaten zurückgekommen wären. Natürlich interpretiert die Nato das Zurückkrebsen Milosevics als grossen Sieg, aber das verdeckt nicht, wie stark ihr Rückhalt während des Krieges schwankte, welche politischen Risiken Regierungen wie diejenige Deutschlands und Italiens eingingen, welches Ende der Krieg, je länger er noch gedauert hätte, auch hätte nehmen können.
Die Kosov@-Intervention kann zwar als Beispiel dafür dienen, wie mit einer High-Tech-Kriegführung eine politische Abstützung durch die Bevölkerung leichter erlangt werden kann. Es ist aber nicht zwingend, dass für solche Interventionen jetzt der Damm gebrochen wäre, dazu hing der "positive" Ausgang in Kosov@ zu sehr an einem seidenen Faden. Die vom damaligen Präsidenten Bush proklamierte "neue Weltordnung" mit der befürchteten Polizistenrolle der USA fand in Somalia schnell, wenn nicht ein Ende, so doch ihre Beschränkung. Solange die USA nicht ihre eigenen Interessen vital bedroht sehen, werden sie und auch die europäischen Verbündeten ihr Blut und Gut nicht inflationär riskieren.
In einem weiteren Punkt bestritt der SFR, dass die Intervention gegen die Bundesrepublik Serbien völkerrechtlich legitimiert war eine nicht einmal von der Nato selbst gross kaschierte Tatsache. Die Nato, welche die UNO beim Interventionsentscheid mit aller Arroganz übergangen hatte, benötigte die Vereinten Nationen jedoch auf einmal dringend, als sich kein schneller Sieg und immer weitere Verschlechterungen in den Beziehungen zu Russland und China abzeichneten. Bei aller Kritik an der UNO, ob nun an ihrer Bürokratie, an ihrem staatlichen Souveränitätsschutz oder auch daran, dass ihre Kfor-Mission der Nato zum Feigenblatt verhalf, ist zu hoffen, dass ihre Vermittlerinnen-Rolle unter den Nationen wieder als alles andere als überflüssig erkannt und sie durch Reformen gestärkt statt ausmanövriert und geschwächt wird.
Die Frage bleibt allerdings bestehen, "wo, wie und durch wen die Grenzen einer gerechtfertigten Militärintervention gesetzt werden". Gerade auch im Hinblick darauf, dass es nicht viele Länder gibt, die punkto Wahrung der Menschenrechte über jeden Zweifel erhaben sind auch unter den Nato-Mitgliedstaaten nicht.
Zum dritten Kritikpunkt, der sich gegen einen Vergleich Milosevics mit dem Hitler-Regime stellte, bleibt am wenigsten nachzutragen. Hitler hätte niemals nachgegeben, sondern sein Volk bis zum totalen Ende geopfert. Als Milosevic nachgab, verschwand die entsprechende Propaganda. Ebenfalls weniger relevant ist die Frage nach dem Bodentruppeneinsatz, die sich nach dem Waffenstillstand erübrigt hat und auch wie oben ausgeführt in ihrer Verneinung die knapp durchgehaltene Voraussetzung der Intervention war.
Die fünfte Frage, ob sich eine solche Militäraktion tatsächlich unter Kontrolle halten lässt, wurde schon während des Krieges beantwortet, erlitt doch während all dieser Wochen weniger das serbische Militär Verluste als die Zivilbevölkerung, sowohl in Serbien und Montenegro wie auch im Kosov@. Seien dies direkte Opfer der Beschiessungen, angeblich nicht gewollte, aber in Kauf genommene Kollateralschäden oder die starke Zerstörung der industriellen Infrastruktur mit ihren verheerenden wirtschaftlichen und ökologischen Folgen. Es ist müssig, darüber zu spekulieren, was passiert wäre, wenn Milosevic noch weitere Wochen durchgehalten hätte. Die Behauptung ein Krieg lasse sich unter Kontrolle halten, d.h. die deklarierten Ziele könnten nach Programm erreicht werden, wenn politischer Wille und absolut überlegene Militärkraft vorhanden sind, bestreiten wir nach wie vor.
In der sechsten Frage ging es darum, ob Serbien allein am neuen Nationalismus im Osten Schuld sei. Wer die hasserfüllte Reaktion eines Teils der vormals vertriebenen Kosov@-AlbanerInnen an den jetzt machtlosen SerbInnen und Roma zur Kenntnis nimmt, muss spätestens jetzt daran zweifeln. Wenn er nicht schon vorher Skepsis gegenüber der ethnischen Politik der UCK oder deren Grossalbanien-Träumen hatte. Mit "verständlicher" Rache nach den Massakern durch die SerbInnen ist diese Umkehrung des Verhaltens jedenfalls nicht allein zu erklären. Zwar darf der Nato durchaus zugestanden werden, dass sie sich mehr oder weniger an die seinerzeitigen Rambouillet-Postulate hält und auf einer multikulturellen Entwicklung in Kosov@ wie auch in Bosnien besteht. Die ethnische Reinheit in Kosov@ ist allerdings bald erreicht, der Ruf nach einem nicht nur de facto, sondern auch de jure eigenen Staat Kosov@ wird nicht lange auf sich warten lassen. Vielleicht war diese ethnische Zementierung nicht das Ziel, aber gewiss die Folge der Nato-Intervention.
Im siebten Punkt beschäftigte sich das SFR-Papier mit der Frage, ob es Alternativen zum Gewalteinsatz der Nato gegeben hätte. Mit dem Stabilitätspakt zur wirtschaftlichen Aufbauhilfe im Osten scheint Europa mindestens heute eine zu verfolgen, allerdings erst nach dem Versagen der Politik und auf dem kriegerischen Scherbenhaufen. Und mit grossen Fragezeichen: Die serbische Bevölkerung darf auf keinen Fall davon ausgeschlossen werden. Der jetzige Waffenstillstand in Kosov@ hat aber noch nichts mit Frieden zu tun, er ist höchstens Voraussetzung für den langen Weg zu tragfähigen politischen Lösungen.
Die letzte Frage widmete das Papier der Konsequenzen der neuerprobten Nato-Doktrin der Out-of-Area-Einsätze. Hier nur eine Randbemerkung: Das SFR-Papier übte zwar Kritik an der Nato und damit an ihrer Führungsmacht USA, verzichtete aber auf platten Anti-Amerikanismus, wie er von rechts bis links zu hören war. Aus guten Gründen: Erstens war der Kosov@-Krieg nicht einfach ein Krieg der USA, und Europa hing alles andere als am Gängelband des grossen Bruders (Blair drängte Clinton vehement zum Bodentruppeneinsatz). Zweitens ist leider absehbar, dass die euronationalistischen Forderungen nach einer eigenständigen Rolle Europas gegenüber den USA nicht etwa in eine friedenspolitische Alternative zur Grossmachtpolitik der USA, sondern eher in einen gigantischen High-tech-Rüstungswettlauf mit ihr münden könnten.
1 Schweizerischen Friedensrat: "Gerechter Krieg um Kosova? Acht Fragen zur humanitären Intervention der Nato in Serbien. Ein Diskussionsbeitrag", Zürich, Mai 1999, 8 Seiten. Das Dokument kann bestellt werden bei: Schweizerischer Friedensrat, Postfach 6386, 8023 Zürich. Tel. 01/242 93 21, Fax 01/241 29 26. E-Mail: friedensrat@dplanet.ch * Peter Weishaupt ist Sekretär des Schweizerischen FriedensratesInhaltsübersicht | nächster Artikel |