Wassernutzungskonflikt am Nil: Ein "Angsthasen-Spiel"?

Von Simon Mason*

Das "Angsthasen-Spiel" (englisch: chicken game) veranschaulicht die Konfliktdynamik, die aus der Wassernutzungsfrage im Nilbecken entsteht. Beim "Angsthasen-Spiel" kommt es zum Zusammenstoss der beteiligten Parteien, sofern nicht eine Partei etwas unternimmt um die Kollision zu vermeiden. Verlierer ist, wer nachgibt. Eine Form des "Angsthasen-Spiels" wird beispielsweise von AutofahrerInnen gespielt, die mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zufahren. Weicht keiner der Beiden aus, stossen sie zusammen und kommen um. Weicht einE FahrerIn aus, vermeidet er oder sie zwar den Unfall, gilt aber als VerliererIn und wird als "Angsthase" betitelt, weil ihre/seine Angst umzukommen grösser war als das Bedürfnis das Spiel zu gewinnen.

Das Nilbecken ist die Heimat von etwa 250 Millionen Menschen. Das Einzugsgebiet des längsten Flusses der Welt erstreckt sich über zehn Länder (Ägypten, Sudan, Äthiopien, Demokratische Republik Kongo, Burundi, Ruanda, Uganda, Kenia, Tansania und Eritrea). Viele dieser Länder haben ein Wüsten- oder Halbwüstenklima, was die grosse Abhängigkeit vom Nil als Wasserquelle erklärt. 97% von Ägyptens Wasserbedarf wird vom Nil gedeckt, also von Regen, der jenseits seiner Grenzen niederfällt. 86% des Nilwassers stammt aus der äthiopischen Hochebene, der Rest aus den Seen am Äquator. Das Konfliktpotential, das die ungleiche geographische Verteilung von Wasserquelle und Verbrauch beinhaltet, wird durch die zeitlich grossen Schwankungen der Regenmenge verschlimmert. Staudämme, die diese natürlichen Schwankungen ausgleichen sollen, können jedoch als politisches Instrument missbraucht werden, um flussabwärtsliegenden Ländern den "Hahn" zuzudrehen.

Auf dem Hintergrund dieser Umweltbedingungen ist der Mangel an internationalen Abkommen über die Verteilung von Wassermengen zwischen den verschiedenen Länder auffallend. Das Abkommen zwischen Sudan und Ägypten von 1959 teilte das Nilwasser zwischen diesen Ländern auf, ohne die anderen Nil-Anrainerstaaten einzubeziehen (66% erhält Ägypten, 22% Sudan und 12% verdunsten und versickern im Assuan Reservoir). Die flussaufwärts liegenden Länder, allen voran Äthiopien, haben diesen Vertrag nie akzeptiert. Aufgrund von Bürgerkriegen und ihrer schwachen wirtschaftlichen Lage waren diese Länder aber nie im Stande ihre Rechte durchzusetzen – obwohl sie sich geographisch letztlich in der stärkeren Position befinden. Die Weltbank macht die Finanzierung von Wasserprojekten von der Zustimmung aller Anrainerstaaten abhängig – mit dem Ziel, Konflikte zwischen Anrainerstaaten zu vermeiden. Die fehlende Finanzierung seitens der Weltbank hat Äthiopien zum Teil mit seiner Mikrodamm-Strategie umgehen können. Solche kleine Staudämme sind mit lokalen Mitteln einfach zu errichten. Zusätzlich hat die äthiopische Regierung 1997 am Tekeze, der in den Nil mündet, den Bau eines selbstfinanzierten Wasserkraftwerks (200 MW) in die Wege geleitet. Diese Projekte werden von Ägypten mit grösstem Argwohn betrachtet. Ägypten seinerseits treibt das "New Valley Projekt" voran, bei dem Wasser vom Assuan Reservoir in ein Tal westlich vom Nil gepumpt werden soll. Voraussichtlich werden hier in 25 Jahren etwa 250 000 zusätzliche Hektaren bewässert.

Solange Ägypten und Äthiopien auf beiden Seiten mit ihren Projekten fortfahren, spitzt sich die Situation des "Angsthasen-Spiels" zu. Die Wassernutzungsprojekte beider Länder basieren auf einem steigenden Verbrauch der endlichen Wasserressourcen des Nils. Dies wird früher oder später unausweichlich zur Konfrontation führen, sofern die beiden Staaten nicht zuvor nach gemeinsamen Lösungen suchen. Das Bevölkerungswachstum auch in den anderen Ländern des Beckens verstärkt diese Tendenz. Vollendete Tatsachen (z.B. Staudämme), vor welche die anderen Anrainerstaaten gestellt werden, verstärken das Misstrauen zwischen den Ländern und verschlechtern die Chancen für ein dringend nötiges neues Nilwasser-Abkommen. Bisher blieb es bei Drohungen auf verbaler Ebene. Doch bereits der ehemalige ägyptische Präsident Sadat sagte im Hinblick auf äthiopische Staudammprojekte: "Wer mit dem Nilwasser spielt, erklärt uns den Krieg!"

Im Gegenzug existieren mittlerweile jedoch auch Übergangsinstitutionen, welche die Kommunikation bezüglich der gemeinsamen Beckenweiterentwicklung fördern: der Nile-COM (Council of Ministries) und das Nile-TAC (Technical Advisory Committee). Der vermehrte Austausch und das Kennenlernen der Sichtweisen und Bedürfnisse der anderen Seite bilden den ersten Schritt, um zu kooperativen Lösungen und somit zum Ausstieg aus dem "Angsthasen-Spiel" zu gelangen.

*Simon Mason ist freiwilliger Mitarbeiter der Schweizerischen Friedensstiftung in Bern. Der Artikel basiert unter anderem auf den Artikel "Playing the Chicken on the Nile? The implications of microdam development in the Ethiopian highlands and Egypt’s New Valley Projekt" John Waterbury & Dale Whittington. Natural Resources Forum, Vol. 22, No. 3, 1998.

Graues Wasser

Wie kann ich als SchweizerIn zur Verminderung der globalen Wasserknappheit beitragen?

Die Schweiz versorgt sich mit Nahrungsmitteln aus aller Welt. Sie "importiert" damit den entsprechenden Wasserverbrauch, der zur Erzeugung dieser Güter in den Herkunftsländern notwendig ist. Fleisch ist in seiner Herstellung besonders wasserintensiv. Für ein Ei werden beispielsweise etwa 250 Liter Wasser benötigt, für ein Steak 3500 Liter. Wir können die weltweite Wasserknappheit beeinflussen, indem wir weniger tierische Produkte essen.


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