Am 8. April sagte Nato-Sprecher Wilby am täglichen Presse-Briefing zum Krieg gegen Jugoslawien, die Nato werde serbische Fernsehsendeanlagen bombardieren, wenn sich das Staatsfernsehen nicht bereit erkläre, täglich drei Stunden unzensiert Sendungen von westlichen TV-Stationen zu übernehmen. Die Nato mag sich vorgestellt haben, die jugoslawischen BürgerInnen würden sofort begreifen, dass das serbische Fernsehen reine Propaganda sei, während sie gleichzeitig glauben würden, dass die westlichen Sender die objektive Wahrheit berichten. Diese Vorstellung ist reichlich naiv und arrogant. Einheimische Medien, die das Land mit professioneller, unabhängiger Information versorgten und bei der Bevölkerung eine hohe Glaubwürdigkeit genossen, haben existiert bis zum Beginn der Nato-Bombardierungen. Seither sind sie verstummt.
Die Unterdrückung unabhängiger Medien in Jugoslawien hat nicht Ende März begonnen, sondern hat eine jahrelange Tradition. Nach der Eskalation des Kosov@-Konflikts im Februar 1998 erreichte sie ein neues Niveau. Bei der Frequenzvergabe im Frühjahr 1998 blieben unabhängige Rundfunkstationen unberücksichtigt. Am 20. Oktober 1998 verabschiedete das serbische Parlament ein Gesetz, das es den Behörden ermöglicht, praktisch willkürlich astronomische Bussen gegen missliebige Medientitel oder JournalistInnen auszusprechen. Als erste traf es die Belgrader Illustrierte "Evropljanin", die 326 000 Franken bezahlen musste. Weitere Opfer folgten; einige Titel retteten sich, indem sie die Redaktion und Produktion nach Montenegro verlegten. Die in Jugoslawien und weltweit bekannteste Quelle unabhängiger Informationen, das Belgrader Radio B92, konnte trotzdem weiter senden. Eine Redaktorin erklärte diesen Umstand damit, dass B92 zu bekannt sei, als dass Milosevic sich seine Schliessung erlauben könnte. Die "internationale Gemeinschaft" hatte Belgrad für seine Medienpolitik scharf kritisiert mit B92 hatte das Regime ein Alibi. Seit Jugoslawien mit der Nato im offenen Krieg steht, ist dieses Argument hinfällig geworden. Am 23. und 24. März wurden die noch bestehenden unabhängigen Medien in Serbien und im Kosov@ zwangsweise geschlossen. Im Kosov@ traf es als bekannteste Opfer die Tageszeitung Koha Ditore (die vehement ein Eingreifen der Nato gefordert hatte), die Wochenzeitung Zëri oder das Radio 21. Radio B92 konnte nicht mehr mit eigenem Transmitter senden, arbeitete aber weiter und verbreitete seine Sendungen über Internet und über Satellit. Informationen aus dem Kosov@ selber waren aber auch für B92 unzugänglich. Die (albanische) B92-Korrespondentin in Pristina konnte ihre Wohnung nicht mehr verlassen; am 2. April wurde sie von Mitarbeitern nach Belgrad evakuiert. Am 2. April wurden auch die letzten Aktivitäten von Radio B92 abgestellt. Der Direktor wurde abgesetzt und durch einen Parteigenossen von Milosevic ersetzt. "Der Westen" hat dazu geschwiegen es scheint, dass er Radio B92 fallengelassen hat, nachdem Chefredaktor Veran Matic am 30. März die Nato-Politik scharf verurteilt hat. Seither wird die Internetseite von B92 von den Niederlanden aus betreut. Unabhängige journalistische Arbeit ist praktisch unmöglich geworden. Einige B92-JournalistInnen getrauen sich nicht mehr, zu Hause zu übernachten. Am 11. April wurde der regimekritische Verleger Slavko Curuvija in Belgrad ermordet. Die staatlichen Medien haben Curuvija praktisch zum Abschuss freigegeben. Die Schweizer "Medienhilfe Ex-Jugoslawien", die unabhängige Medien unterstützt, forderte vom Bundesrat deshalb bereits am 3. April, oppositionellen Medienschaffenden diplomatischen Schutz zu gewähren.
In den ersten Tagen der Bombardierungen verbreitete die Nato Informationen, wonach im Kosov@ gezielt oppositionelle JournalistInnen und PolitikerInnen ermordet würden. Namentlich wurden genannt Baton Haxhiu, Chefredaktor von Koha Ditore, deren Herausgeber Veton Surroi oder Blerim Shala, Chefredaktor der Wochenzeitung Zëri. Die Informationen waren glück licherweise falsch, alle drei leben. Das Beispiel illustriert die schwierige Informationslage aber auch den unsorgfältigen Umgang mit Informationen seitens der Nato und einiger westlicher Medien. Über Ereignisse im Kosov@ selber kann zur Zeit fast nur im Konjunktiv gesprochen werden.
Man kann sich darüber streiten, ob die Massenvertreibung der albanischen Bevölkerung aus dem Kosov@ ohne Bombardierungen genau gleich ausgefallen wären oder nicht. Sicher ist, dass die Bomben alle Ansätze demokratischer Opposition in Serbien praktisch zerstört haben und auch unter den Kosov@-AlbanerInnen die nationalistischen Kräfte stärken. Es ist zu kurz geschlossen, dass sich nun alle ehemaligen Oppositionellen hinter Milosevic scharten aber es ist für sie lebensgefährlich geworden, ihre Meinung zu äussern. Die Menschen in Serbien werden nur noch mit staatlicher Propaganda versorgt, die eine Vertreibung der AlbanerInnen leugnet. Gäbe es nach wie vor unabhängige journalistische Information, wäre es schwer vorstellbar, dass ein kritischer Intellektueller wie der Schriftsteller Aleksandar Tisma gegenüber dem Spiegel sagt, er glaube nicht an Massaker und Gräueltaten; die Flüchtlinge seien instruiert worden, so zu reden. Die MitarbeiterInnen der unabhängigen Medien aus dem Kosov@ arbeiten zur Zeit daran, aus dem Exil ihre Arbeit wiederaufzunehmen. Koha Ditore ist nach eigenen Angaben technisch startbereit, doch fehlen die Bewilligungen der makedonischen Regierung. Das Medienprojekt und Zëri wollen ebenfalls wieder starten; ein Internetradio wäre ohne Bewilligungen machbar. Die Medienhilfe sammelt Geld für dieses Projekte. Dabei geht es um Beträge, die im Vergleich der Kosten der militärischen Operation vernachlässigbar sind. Wären die Nato-Staaten bei der Unterstützung der demokratischen Strukturen nur halb so entschlossen wie bei der Bombardierung Jugoslawiens, die Finanzierung wäre eine Kleinigkeit.
*Marcel Hänggi schreibt für die Aktion Medienhilfe Ex-JugoslawienInhaltsübersicht | nächster Artikel |