Die NATO und Kosov@

Von David McReynolds*

In dem Augenblick, als die ersten Bomben auf Jugoslawien fielen, hatten die USA und ihre Verbündeten in der NATO einen souveränen Staat angegriffen. Zwar wird gesagt, sie hätten so lange mit einer Bombardierung gedroht, dass ihnen gar keine andere Wahl mehr geblieben sei. Es tut mir leid, aber dieses Argument zieht nicht: Krieg ist Krieg, und etwas ganz anderes als die Drohung mit dem Krieg.Ich weiss zwar nicht, aus welchen Gründen die USA dies tun, aber ich weiss sehr wohl, aus welchen Gründen nicht. Bestimmt nicht aus irgendwelchen humanitären Anliegen. Wären sie von solchen Anliegen getrieben, so hätten sie die Sanktionen gegen den Irak aufgehoben. Und sie hätten auch in den letzten fünfundzwanzig Jahren eine völlig andere Politik verfolgt. Es sei daran erinnert, dass vor nicht all zu langer Zeit die USA bei ihrer Invasion in Indochina über zwei Millionen VietnamesInnen umgebracht haben. Die USA haben die Massaker Indonesiens in Osttimor zugelassen. Mit der CIA haben sie eine Schlüsselrolle beim Sturz der gewählten Regierung Allende in Chile gespielt. Die USA haben beim Iran-Contra Skandal mit Heroin- und Kokainhändler zusammengearbeitet und waren direkt an Mordtaten in Nicaragua beteiligt. Und schliesslich haben sie aktiv an den Massakern in Guatemala teilgenommen, indem sie guatemaltekische Militärs in Fort Benning, Georgia, trainierten und der guatemaltekischen Regierung finanzielle und militärische Hilfe gewährten. Dasselbe gilt für El Salvador. Und für Honduras.

Die Liste liesse sich weiter führen. Belassen wir es dabei. Keine Regierung verfolgt mit ihrer Aussenpolitik "moralische Interessen". Weder die USA, noch Vietnam, noch Israel, noch Kuba. Jede Regierung versucht ihren Handlungen das Deckmäntelchen der Moral umzuhängen. Weil wir, in den USA, in einem demokratischen Land mit einer weitestgehend freien Presse leben, gibt es für uns auch keine stichhaltige Entschuldigung, wenn wir Clinton ernst nehmen. Als Person mag er moralisch sein oder auch nicht. Genauso wie Milosevic. Die Regierungen jedoch – in Jugoslawien wie in Deutschland, in Grossbritannien, in den USA, usw. – sind nicht moralisch. Sie sind auch nicht besonders unmoralisch: sie versuchen lediglich die eigenen Interessen zu fördern.

Unter den Angriffskriegen der letzten fünfzig Jahre zeichnen sich zudem die Angriffe der USA, Grossbritanniens und Deutschlands durch ihre zynische Verwendung der "Opfer" aus. Die Bedrohung albanischer Dissidenten in Kosov@ ist jetzt, unter der fortgesetzten Bombardierung, grösser denn je. Das Töten wird sich weiter beschleunigen. Mir fällt kein einziger Krieg ein, der aus tiefer moralischer Sorge um die leidende Bevölkerung unternommen wurde.

Ein Blick zurück in die Geschichte zeigt es. Wer die Ereignisse in Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg verfolgte wusste, dass die Jüdinnen und Juden ein äusserst unheilvolles Schicksal erlitten – und doch unternahm kein einziges Land etwas dagegen. Erst als Hitler Polen angriff, traten die Alliierten in den Krieg ein. Und auch dann ging es nicht um die Jüdinnen und Juden. Genau so wenig, wie es im Sezessionskrieg der USA um die Befreiung der schwarzen SklavInnen ging. Das zentrale Anliegen war vielmehr Lincolns (ähnlich wie Milosevics) Entschlossenheit, die Einheit seines Landes, um jeden Preis zu bewahren. Erst als der Krieg schon weit fortgeschritten war, als er darin ein Mittel sah, ihn zu gewinnen, erklärte Lincoln die SklavInnen für frei – und auch das nur in den aufständischen Staaten. Im Falle Iraks unterstützte Washington Saddam Hussein während des langen Krieges gegen Iran, der einer halben Million Jugendlicher auf beiden Seiten das Leben kostete. Ist das moralisch?

Als gute Menschen, die wir ja als Einzelne alle sind, möchten wir gerne glauben, was Clinton sagt. Auch ich neige dazu. Meine erste Reaktion ist, zu denken: "Wie können wir gegen irgend etwas sein, was den armen Menschen in Kosov@ hilft? Es muss doch gute Gründe geben für das, was Clinton da tut." Wer möchte schon wahrhaben, dass die eigene Regierung fürchterliche Verbrechen begeht?

Es ist gar nicht nötig, all zu weit zurück zu schauen. Ich kann mich daran erinnern, wie während der Invasion in Somalia gute, anständige PazifistInnen im Zentralbüro des Versöhnungsbundes in Nyack mir überzeugt erklärten, dass Bushs Truppen nötig seien, um Blutvergiessen und Hungersnot zu vermeiden. Und was war das Ergebnis? Die USA mussten die Szene fluchtartig verlassen, als sie sich mit dem allgemeinen Hass aller SomalierInnen auf ihre Truppen konfrontiert sahen. Und wie war es in Irak, wo wir es angeblich richtig machen wollten? Nicht nur starben an die hunderttausend Menschen als Opfer der Operation "Desert Storm", sondern wir nährten auch die Hoffnungen religiöser Minderheiten, die einen Aufstand riskierten und dann keine Unterstützung erhielten, als Saddam sie abschlachtete. Danach setzten wir Wirtschaftssanktionen durch, die den Tod von mindestens einer halben Million Menschen bewirkten.

Wenn die USA das Recht haben, Jugoslawien vorzuschreiben, wie es mit einem ganz klar innerstaatlichen Problem umzugehen hat – hat dann die NATO das Recht, Tel Aviv zu bombardieren, weil Israel sich weigert, längst verabschiedete UN-Resolutionen Folge zu leisten? Sollte Spanien bombardiert werden, wenn es den baskischen Forderungen nicht nachkommt? Sollte Tony Blair verhaftet werden, weil englische Truppen in Nordirland stationiert sind? Sollten wir China wegen Tibet bombardieren? Gibt es überhaupt, wenn wir so überlegen, ein einziges Land, dass nicht um der Menschlichkeit und des Friedens Willen bombardierte werden sollte?

Ich wiederhole es: ich kann mir nicht vernünftig erklären, warum die USA und die NATO eingegriffen haben. Ich weiss nur, dass es hier wirklich nicht um Moral geht. Und wenn ich wieder einmal hören muss, wie eine zartbesaitete Seele fragt: "Ja, heisst das denn, dass du nichts für diese arme Menschen tun wirst?", könnte ich schreien. Auf der ganzen Welt werden Menschen geschlachtet, gemordet und vergewaltigt, und mit graust davor. Gegen all diese Greueltaten im Sudan, in Kongo, Indonesien, Indien, usw. kann ich fast nichts tun. Wenn aber mein eigenes Land sich daran beteiligt – wie in Vietnam –, muss ich in erster Linie mein Land davon abhalten, diese sehr schlechte Welt noch viel schlechter zu machen.

Wenn wir weiterhin militärischen Interventionen zustimmen, schaffen wir nie die Welt, die wir wollen: eine Welt mit immer weniger Blutvergiessen. Haben wir denn nichts gelernt? Wie viele Hunderttausende müssen noch sterben, bis wir unsere eigene Regierung daran hindern "den armen Menschen dieser Welt etwas Gutes zu tun"? Ich weiss, dass in Kosov@ schlimme Sachen passieren. Seit Clinton angefangen hat sie zu "verbessern", sind sie noch schlimmer geworden.

*David McReynolds ist ehemaliger Vorsitzender der War Resisters International (WIR) und ehemaliger Co-Präsident der Socialist Party USA.

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