Ein "stummer Giftgaskrieg" in Jugoslawien

Die Nato wendet durch gezielte Bombardierungen Methoden und Techniken der ökologischen Kriegsführung an.

Von Knut Krusewitz*

Der Kosov@-Krieg ist, wie der Verlauf in den ersten Wochen zeigt, wie vorher bereits der Vietnam- und der Golfkrieg auch ein Krieg gegen die Umwelt geworden. Dahinter steht die Logik der Nato-Militärs, dass die Umwelt des Gegners - also unausweichlich auch die der Zivilbevölkerung -zerstört oder schwer geschädigt werden darf, wenn dieser vernichtend geschlagen werden soll. Fast unglaublich scheint es da, dass die Nato tatsächlich die erste Organisation im internationalen Politikmanagement war, die versuchte, einen Handlungsrahmen zur Bewältigung der "weltumspannenden ökologischen Krise" zu entwickeln. Bereits 1969, anlässlich seines 20jährigen Bestehens, beschloss das Bündnis, "dass die Nato bei der Schaffung einer menschenwürdigen Umwelt" einen "bedeutsamen Beitrag" leisten werde. Einen Monat nach Beginn des Kosovo-Krieges ist allerdings offensichtlich, dass die Nato den Naturhaushalt Jugoslawiens zur Erreichung ihrer Kriegsziele missbraucht. 1975, nach Beendigung des Vietnamkrieges, in dessen Verlauf die US-Streitkräfte die "ökologische Kriegsführung" zum ersten Mal in der Kriegsgeschichte zum integralen Bestandteil einer Militärstrategie gemacht hatten, verabschiedeten die Vereinten Nationen zwei Völkerrechtsgesetze, die diese Art der Kriegsführung und die Umweltzerstörung durch Kriegshandlungen verbieten. Der bewusste Verstoss gegen Kriegsrechtsnormen wird darin zum "Kriegsverbrechen" erklärt. Die Frage ist damit, ob sich die Alliierten im Rahmen ihrer Operation "Allied Force" humanitärer und ökologischer Verbrechen schuldig machen.

Ökologische Kriegsführung der Nato

"Öko-Krieg" und "Umweltkrieg" charakterisieren unterschiedliche ökologische, militärische und kriegsrechtliche Realitäten. Um "ökologische Kriegsführung" handelt es sich, wenn kriegführende Parteien die Natur zu "militärischen oder sonstigen feindseligen Zwecken als Mittel der Zerstörung, Schädigung oder Verletzung eines anderen Vertragsstaates nutzen" (Artikel 1 des Umweltkriegsverbots-Vertrags). Beispiele sind etwa die gezielte Zerstörung von Staudämmen oder die Entlaubung von Bäumen wie im Vietnam-Krieg. Von einem "Umweltkrieg" spricht man, wenn nicht nur die Umwelt-Medien wie Wasser, Boden oder Vegetation, sondern auch die Zivilbevölkerung, ihre Volkswirtschaft und ihre Kulturgüter angegriffen werden. Im ersten Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen von 1977 wird der sachliche und kriegsrechtliche Zusammenhang zwischen Öko-Krieg und Umweltkrieg hergestellt.

Eine vorläufige Bilanz des Balkankrieges ergibt, dass Methoden und Techniken der ökologischen Kriegsführung bislang nur von der Nato angewendet werden. Direkte Schäden hat die Nato durch Bomben- und Raketenangriffe auf Anlagen verursacht, die gefährliche Stoffe enthalten: Erdölraffinerien, Pipelines, Tanklager, Verladestationen, Werke der chemischen und pharmazeutischen Industrie, Ammoniak-, Düngemittel- und Pflanzenschutzfabriken, Sprengstoffabriken und Munitionsdepots. Umweltschäden können aber auch durch den Einsatz bestimmter Waffen, etwa des US-Kampfflugzeugs vom Typ A-10 und des Kampfhubschraubers vom Typ Apache entstehen, die ihre Ziele mit Munition beschiessen, die abgereichertes Uran enthält (DU-Munition). Trifft ein DU-Geschoss das Ziel, wird ein grosser Teil der kinetischen Energie als Hitze abgeleitet. Daraus ergibt sich Rauch, der eine hohe Konzentration von Uranteilchen enthält, die giftig sind. Nach der Explosion binden sich die Uranpartikel in der Luft mit Staub und können später in die Nahrungskette und ins Trinkwasser gelangen. Russ-, Staub- und Dampfwolken mit ihrem Gemisch aus Stickoxiden, Schwefel-und Salpetersäuren, krebserzeugenden Kohlenwasserstoffen, giftigen Uranpartikeln und ultragiftigen Dioxinen schlagen sich im Umfeld der Angriffsziele im Naturhaushalt der Region nieder.

Zur Zeit kann zwar niemand wissen, ob sich nun – dies wären realistische Werte – 200 oder 500 Milligramm je Quadratmeter von diesem hochgiftigen Gemisch in Wohngebieten, Erntegürteln, Wäldern, Flüssen und Seen ablagern; Messungen werden in der derzeitigen Situation nicht gemacht. Klar ist jedoch, dass die Nato inzwischen auf jugoslawischem Territorium einen "stummen Giftgaskrieg" führt. Er wurde nicht durch den Einsatz von Giftgaswaffen ausgelöst, sondern durch die Bombardierung von Anlagen, von denen den KriegsplanerInnen bekannt war, dass sie gefährliche Stoffe enthielten. Der Einfluss der giftigen Gase kann bereits nach wenigen Tagen die Gesundheit der Zivilbevölkerung in der Umgebung der zerstörten Anlagen gefährden. Vor allem in Städten wie Belgrad, Pancevo, Novi Sad, Subotica oder Krusevac wurden Tausende von Menschen den Giftwolken ausgesetzt. Es ist zu befürchten, dass viele von ihnen chronisch erkranken.

Zerstörung ziviler Infrastrukturen

Ein zweiter kriegsökologischer Zyklus entwickelt sich durch die Zerstörung ziviler Infrastruktursysteme. In sämtlichen grösseren oder strategisch wichtigen Städten wurden systematisch Ver- und Entsorgungseinrichtungen, Kommunikations- und Verkehrssysteme und wichtige Brücken zerstört, aber auch Krankenhäuser, Schulen, Universitäten und Wohngebiete beschädigt. Die Wasser- und Stromversorgung für mehr als eine Million Menschen ist erheblich gestört. Verschärft werden die Probleme durch enorme Schäden in der Agrarproduktion. Wegen des Mangels an Saatgut, Düngemitteln und Treibstoff dürfte in Jugoslawien weitaus weniger Getreide, Mais und Gemüse angebaut werden als in den Vorjahren. Die Wirtschaftsleistung Jugoslawiens war bereits 1998, also vor dem Krieg, auf nur die Hälfte des Wertes von 1989 geschrumpft. Nach Berechnungen österreichischer ÖkonomInnen ist das heutige Pro-Kopf-Einkommen auf den Stand von 1900 (!) zurückgefallen. Sie sagen ein weiteres Absinken der Wirtschaftsleistung in Serbien um 25 Prozent voraus, wobei die jüngste Zerstörung von Produktionsstätten und Infrastruktur noch gar nicht berücksichtigt ist. Deshalb erwarten die ÖkonomInnen, dass es nach Ende des Krieges eine weitere Auswanderungswelle geben wird – diesmal aus Serbien.

Waffenarsenale aus dem Kalten Krieg führen zu Umweltkriegen

Der Balkankrieg bestätigt die Lehre aus dem Golfkrieg, dass Kriege, die mit den Waffenarsenalen geführt werden, die in der Zeit des Kalten Krieges aufgebaut wurden, den Charakter von Umwelt-kriegen annehmen müssen. Spätestens hier erweist sich die Absurdität der Rechtfertigungskonstrukte vom "gerechten" und vom "humanitären" Krieg. Kriege, die wegen ihrer Konzeption notwendigerweise die universellen Grundsätze der humanitären und ökologischen Vernunft pervertieren, bleiben Verbrechen gegen den Weltfrieden und die Menschlichkeit.

* Der Autor ist Umwelt- und Friedensforscher an der Technischen Universität Berlin. Sein Beitrag erschien in der Frankfurter Rundschau am 29.4.1999

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