Diese Reaktion ist beim Bombenkrieg der NATO gegen die serbische Republik praktisch ausgeblieben. Dafür haben wir dieses Mal eine Medienschelte der besonderen Art im Zürcher Tages-Anzeiger erhalten. Am 30. April glaubt ein ehemaliges GSoA-Mitglied in den Reihen der Redaktion mit der "wahren" Geschichte den Pazifismus ein für alle mal aufräumen zu können. Als "Aufhänger" für seinen Text hat er ein im Rahmen der Diskussionen innerhalb der SPS von Barbara Haering und Peter Hug erarbeitetes Papier genommen, und zerzaust es, ohne es allerdings gelesen zu haben. Ebenso unbedarft springt er mit der Geschichte des Pazifismus um.
Pazifismus ist für ihn eine "linksbürgerliche Strömung, die Ende des 19. Jahrhunderts (...) aufgekommen war", während "im orthodoxen Marxismus (...) Krieg im Kapitalismus unvermeidlich" sei. Deshalb sei Anti-Militarismus die Haltung der Linken. Diese Unterscheidung ist nicht einfach falsch, aber mit einer statischen Zuschreibung blendet er die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Strömungen und ihre gegenseitige Befruchtung aus. Gerade die Geschichte der SPS ist geprägt von den Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Haltungen zur Militärpolitik, und sie hat immer einen starken pazifistischen Flügel gehabt. Diese Pluralität auszublenden und für die SPS nur den "Anti-Militarismus" gelten zu lassen, gemahnt an stalinistische Methoden der Geschichtsschreibung.
Pazifismus ist auch keine linksbürgerliche Erfindung aus dem 19. Jahrhundert, er hat viel ältere Wurzeln, z.B. in den "historischen Friedenskirchen". Zudem war die Erwartung, mit der Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaft werde der Krieg durch den friedlichen Handel beseitigt, nicht nur eine linksbürgerliche Auffassung, sondern ist integraler Bestandteil des frühen liberalen Gedankengutes. Es ist wohl eine Gemeinsamkeit aller Fortschrittsideologien, dass sie die Erwartung in sich tragen, mit ihrer Verwirklichung werde das Menschheitsübel Krieg von selber verschwinden.
Im Gegensatz dazu muss aus pazifistischer Sicht Krieg gezielt überwunden werden. Frieden stellt sich nicht automatisch als Nebenwirkung einer gesellschaftlichen Entwicklung ein, sondern muss bewusst angestrebt werden. Aber im Gegensatz zum militärischen Abschreckungsdenken geht Pazifismus auch davon aus, dass Friede gemacht werden kann, eine denk- und umsetzbare gesellschaftliche Perspektive ist. In einen Links-Rechts-Gegensatz lässt er sich deshalb nur schwerlich einordnen. Pazifismus steht als Gegenpol zu jenen Auffassungen, welche Gewalt als Mittel der Politik verabsolutieren oder verherrlichen, unabhängig davon, ob sie sich auf rechte oder linke Ideologien berufen.
Pazifismus darf allerdings auch nicht einfach mit absoluter Gewaltfreiheit gleichgesetzt werden. Diese ist nur eine von vielen Strömungen innerhalb des Pazifismus. Und selbst von Gandhi, dem wohl bekanntesten Exponenten der Gewaltfreienbewegung, gibt es das vielzitierte Wort, wenn er nur noch zwischen Feigheit und Gewalt zu wählen hätte, würde er sich für die Gewalt entscheiden.
Gerade aus dem Wissen um die gefährliche Eigendynamik der Gewalt haben pazifistische Persönlichkeiten und Gruppierungen immer wieder die Zusammenarbeit mit Befreiungsbewegungen in der sogenannten Dritten Welt gesucht. Zum einen weil sie mit der gerechten Sache der Befreiung solidarisch waren und sind. Zum andern aber auch, um auf eine Minimierung der Gewalt hinwirken zu können, weil die Gefahr von militarisierten Strukturen in der befreiten Gesellschaft enorm gross sind wie leider nur zu viele Beispiele zeigen.
Die Idee der kollektiven Sicherheit wurde als pazifistische Antwort auf die zwischenstaatlichen Kriege entwickelt. In völkerrechtlich verbindlicher Form wurde sie erstmals mit der Gründung des Völkerbundes nach dem ersten Weltkrieg zu realisieren versucht. Dabei spielte die Schweiz eine aktive Rolle, sie erarbeitete gar einen eigenen Entwurf für den Völkerbundsvertrag, der sich klarer an den Ideen der kollektiven Sicherheit orientierte als jener der Siegermächte. Der Völkerbund vermochte den zweiten Weltkrieg nicht zu verhindern, nicht etwa aus einem Zuviel an Pazifismus, sondern viel eher wegen mangelhafter Umsetzung seiner Ideen. Am Ende des Krieges stand die Idee der kollektiven Sicherheit wiederum Pate bei der Gründung der UNO. Diesmal stand allerdings die Schweiz abseits.
Im halben Jahrhundert ihres Bestehens hat sich die UNO auf den verschiedensten Gebieten gewaltig entwickelt. Die Jahrzehnte des kalten Krieges verhinderten jedoch gerade im Bereich der kollektiven Sicherheit eine gedeihliche Entwicklung, und das Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates behindert die Anwendung der Prinzipien der kollektiven Sicherheit massiv. Hier besteht zweifellos der grösste Reformbedarf im ganzen UNO-System.
Massstab für die Umsetzung der kollektiven Sicherheit sollte die Verwirklichung der Menschenrechte sein. Also müssten die Vetomächte im Sicherheitsrat alles daran setzen, in diesem Bereich Vorbild zu sein. Davon kann jedoch keine Rede sein. Im Gegenteil: Drei dieser fünf Staaten gehören aus menschenrechtlicher Sicht zu den eigentlichen Problemländern: China, Russland und die USA. Die moralische Legitimation des Sicherheitsrates ist deshalb mehr als angeschlagen.
So ist es grundsätzlich nicht völlig abwegig, dass eine "Wertegemeinschaft" nicht auf ein Verdikt des Sicherheitsrates warten will, um gegen massivste Menschenrechtsverletzungen einzuschreiten. Nur im konkreten Fall der Nato-Intervention gegen die Bundesrepublik Jugoslawien vermag die Argumentation nicht zu überzeugen, sie erfolge zum Schutz der Menschenrechte.
Es ist höchst fraglich, ob mit einem Kriegseinsatz die Zivilbevölkerung geschützt werden kann. Sicher ist dies mit einem "Bombenkrieg" ein Ding der Unmöglichkeit. Aber auch in einem "Bodenkrieg" hätte die Zivilbevölkerung die grössten Opfer zu tragen. Und trotz des offensichtlichen Misserfolgs der zweimonatigen Bombardierungen spricht die Nato immer noch von Erfolg. Der konkrete Erfolg besteht jedoch in der nachhaltigen Zerstörung der Infrastrukturen in der Republik Jugoslawien und massiven ökologischen Schäden. Es ist deshalb fraglich, welcher Anteil an der Gesamtbevölkerung in diesem Gebiet im nächsten Winter überleben kann.
Und noch immer ist Präsident Milosevic für die Nato ein möglicher Verhandlungspartner für ein Friedensabkommen. Wenn das Ziel der Nato jedoch der Schutz der Menschenrechte wäre, müsste dann nicht Slobodan Milosevic zuoberst auf der Liste der Kriegsverbrecher stehen und die Nato alles daran setzen, um ihn und die weiteren Hauptverantwortlichen für die Vertreibungen und Massaker in Kosova vor das Kriegsverbrechertribunal zu stellen?
Es ist tragisch, dass die Nato einen Krieg vom Zaun gerissen hat, ohne zu wissen, was sie damit eigentlich bezweckt, und je länger je mehr von der Eigendynamik des Krieges bestimmt wird. Der auch vom Schweizerischen Friedensrat geforderte sofortige Stopp der Bombardierungen wäre nicht eine Kapitulation gegenüber der menschenverachtenden Politik des Regimes Milosevic. Er wäre aber das Eingeständnis des Scheiterns der Idee vom sauberen "chirurgischen" Krieg, der nur militärische Ziele trifft.
Damit wären allerdings die Menschenrechte der kosova-albanischen Bevölkerung noch nicht geschützt und ihre Vertreibung und Unterdrückung noch nicht beendet. Aber das sind sie mit der Weiterführung der Bombardierungen auch nicht. Ihr Stopp könnte jedoch den Raum für eine Verhandlungslösung eröffnen. So ärgerlich das auch ist, eine wesentliche Rolle wird dabei Slobodan Milosevic spielen. Er ist durch den bisherigen Kriegsverlauf politisch gestärkt worden.
Die Alternative dazu ist eine Intensivierung des Krieges (Stichwort "Bodenkrieg") bis zum bitteren Ende. Wie viele Opfer dies fordern und wie lange dieser Krieg dauern würde, ist schwerlich abzuschätzen. Sicher ist jedoch, dass ein solcher Krieg noch viel mehr Menschen zu Flüchtlingen machen würde und dass ihre Rückkehr in die Heimat umso fraglicher würde, je länger der Krieg dauert. Angesichts der unstabilen politischen Verhältnisse in der Region ist auch eine Ausweitung des Krieges weit über die Republik Jugoslawien hinaus zu befürchten.
Die Bilanz nach zwei Monaten Bombardierungen ist niederschmetternd. Dass damit ein Dienst an den Menschenrechten geleistet werde, kann nur behaupten, wer die Augen vor den Realitäten fest verschliesst.
*Ruedi Tobler ist Journalist und Präsident des Schweizerischen FriedensratesEtwas vom Besten zum Kosov@-Konflikt bringen die Blatter des informationszentrums "iz3w" in ihrer aktuellen Nummer. Bereits das Editorial regt zum Nachdenken, Überdenken, Weiterdenken an. Wird nicht stets kritisiert, dass die Nato über die UNO hinwegging und sich von dieser kein Mandat holte? Dazu das iz3w: "Wir wären allerdings auch dann nicht für den Krieg, wenn Russland und China sich für ihn entschieden hätten, und er im Namen der UNO hätte geführt werden können. KriegsgegnerInnen sollten die Verschiebung von der UNO zur Nato nicht paralllel nachvollziehen, indem sie jetzt nach einer UNO rufen, die sie im Golfkrieg noch zu recht als Instrument des Westens kritisiert haben".
Ausserdem: Wolfran Wette zu Nato Bundeswehr Kalter Krieg und Jugoslawien, Klaus Theweleit zu der Rolle der Grünen, Jutta Ditfurth zum Vorwand Menschenrechte und Thomas Cernay über die Tautologie des Tötens.
iz3w Nr. 237, Mai/Juni 1999. Das iz3w kann bestellt werden bei: Aktion Dritte Welt e.v. Informationen 3. welt, Postfach 5328, Kronenstrasse 16a, D-79020 Freiburg i.B. Tel. 0049 761 740 03; iz3wfreiburg@t-online.de. die Einzelnummer kostet DM 8., das Jahresabonnement DM 60.
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