Internationaler Strafgerichtshof: Nürnberg als Vorbild

Von Kai Ambos*

Eine der zentralen Feststellungen des internationalen Militärtribunals von Nürnberg war, daß Verbrechen nicht von abstrakten Wesen, sondern von Menschen begangen werden, und "nur durch Bestrafung jener Einzelpersonen, die solche Verbrechen begehen, kann den Bestimmungen des Völkerrechts Geltung verschafft werden". Damit wollte das Tribunal ausdrücken, daß hinter internationalen Verbrechen nicht ein abstrakter Staatsapparat steht, sondern Menschen aus Fleisch und Blut, die diese Verbrechen planen, organisieren und durch wiederum andere Menschen – "willige Vollstrecker" in den Worten Goldhagens – begehen lassen. Dieser Gedanke – die Verantwortlichkeit des Einzelmenschen für internationale Verbrechen (sog. individual criminal responsibility) – ist zur Grundlage der Bemühungen zur Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) und eines internationalen Strafgesetzbuches geworden. Sie haben in der Schaffung des IStGH in Rom im Juli 1998 ihren Höhepunkt erfahren. Natürlich existiert daneben auch eine Verantwortlichkeit von Staaten für Völkerrechtsverletzungen (sog. state responsibility); doch sind die entsprechenden Kodifikationsbemühungen bis heute noch nicht zu einem Ergebnis gekommen.

Der praktische Umgang mit Staatenver-antwortlichkeit in Form internationaler Sanktionen gegen völkerrechtsverletzende Staaten zeigt – denken wir etwa an den Fall des Irak –, daß solche Sanktionen in erster Linie die Zivilbevölkerung treffen und sich die Staatsführung, also die eigentlich Verantwortlichen der Völkerrechtsverletzungen, schadlos halten, ja sogar ihre verbrecherische Politik fortführen und ihre Macht durch Sanktionen konsolidiert wird. Dies ist bei einem internationalen Straf-gerichtshof nicht der Fall: Hier geht es nicht um die Verantwortlichkeit des Staates X, sondern um die Verantwortlichkeit und Schuld bestimmter BürgerInnen dieses Staates, regelmäßig der politischen und militärischen Führer, für bestimmte Verbrechen. Diese Verdächtigen werden ebenso behandelt wie Verdächtige nationaler Straftaten, d.h. es wird ein Ermittlungsverfahren durchgeführt und schließlich in einer Hauptverhandlung festgestellt, ob die Verdächtigungen zutreffen und die betreffende Person verurteilt werden kann. Eine solche individualbezogene Sanktion hat fraglos eine höhere Abschreckungswirkung auf internationale VerbrecherInnen als die traditionelle Politik kollektiver Sanktionen.

Natürlich – und das ist die große Unbekannte – kann diese Abschreckung nur funktionieren, wenn der Gerichtshof selbst unabhängig und effizient ist, insbesondere auf die Unterstützung der Staatengemeinschaft zählen kann. Insoweit sind zwar erhebliche Vorbehalte bezüglich des neuen Strafgerichtshofs zu machen, doch insgesamt ist seine Etablierung ein historischer Durchbruch. Der Gerichtshof trägt zunächst einmal zur Konsolidierung und Fortentwicklung des Völkerstrafrechts und damit zur Anerkennung und Durchsetzung der persönlichen Verantwortlichkeit für internationale Verbrechen bei. Er befördert auch, jedenfalls langfristig, die Umsetzung dieses Rechts, denn es ist nur eine Frage der Zeit, bis die notwendigen 60 Ratifikationen vorliegen und der Gerichtshof offiziell zu funktionieren beginnen kann. Dann werden sich auch die USA, trotz ihres noch anhaltenden Widerstandes, einer wie auch immer gearteten Zusammenarbeit nicht entziehen können. Dies schon deshalb, weil – auf Wunsch der USA – der UNO-Sicherheitsrat Verfahren vor dem Gerichtshof einleiten und suspendieren kann. Alles in allem ist also ein gedämpfter Optimismus gerechtfertigt. Die Staatengemeinschaft hat einen Punkt erreicht, hinter den es kein Zurück mehr gibt. Das Signal von Rom ist klar: Ende der Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen.

*Dr. Kai Ambos ist wissenschaftlicher Referent für internationales Strafrecht und Hispanoamerika am Max Planck Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg. Er war Mitglied der deutschen Delegation bei den Verhandlungen zur Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs in Rom. Dieser Text erschien zuerst in den "Blättern des iz3w" (Oktober 1998)

Der Internationale Strafgerichtshof

50 Jahre nach der Entstehung der Genfer Konventionen hat die internationale Gemeinschaft das bereits 1949 vorgesehene Instrument zur Verfolgung respektive Verurteilung von Kriegsverbrechen endlich beschlossen: Am 17. Juli 1998 wurde in Rom das Statut für den Internationalen Gerichtshof in einer Abstimmung von 120 Staaten gutgeheissen. 21 Staaten enthielten sich, sieben stimmten dagegen, darunter die USA, China und Indien. An die Arbeit gehen kann der Internationale Strafgerichtshof, sobald das Abkommen von 60 Staaten ratifiziert worden ist.

Eine politisch unabhängige Staatsanwaltschaft soll bei Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und bislang nicht weiter definierten "Aggressionen" ermitteln. Der Gerichtshof greift nach den Beschlüssen nur dann ein, wenn ein nationales Strafjustizsystem nicht willens oder nicht fähig ist, ein solches Verbrechen abzuurteilen. Die nationale Gerichtsbarkeit hat also Vorrang. Er ist nur zuständig, wenn "Tatort- oder Täterstaat" Vertragsparteien sind. Bei innerstaatlichen Konflikten wird der Gerichtshof also selten eingreifen, weil kein Staat sich selbst anklagen wird. In solchen Fällen können sogenannte ad-hoc-Tribunale eingerichtet werden, wie sie in Den Haag gegen ruandische und jugoslawische Kriegsverbrechen geführt werden.


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