"Die männlichen Rollenbilder müssen endlich friedenspolitisch hinterfragt werden"

Der Schweizerische Friedensrat SFR entschied sich 1997, seine Rolle als Viel-Themen-Organisation und als Dachverband von 13 schweizerischen Friedensorganisationen zu verabschieden. Nach längerem Klärungsprozess beschlossen Team und Vorstand, künftig das Thema "Friedenserziehung" unter spezieller Berücksichtigung der Gender-Analyse zum SFR-Hauptthema zu machen. Es wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, eine erste Ratstagung zum Thema fand im Mai 1998 bereits statt. Der SFR als Organisation, die den feministischen Forderungen endlich gerecht wird? Ein Kurzinterview mit Präsident Ruedi Tobler.

Der SFR galt im feministischen Umfeld lange Zeit als ‘patriarchaler Laden’, der sich vorwiegend mit den ‘Männerthemen’ Militär, Rüstung, Waffenhandel beschäftigte; frauenpolitische Anliegen kamen zu kurz, Feministinnen verliessen den SFR z.T. enttäuscht. Wie kam es nun dazu, dass sich der SFR der Gender-Frage zuwandte?

Ruedi Tobler: Die Geschichtsdarstellung stimmt so nicht ganz. Gerade die Rüstungsfragen waren zwar durchaus patri-archal dominiert, aber doch nie reine Män-nerfragen. International betrachtet war die Frauenliga für Frieden und Freiheit stets eine der engagiertesten Organisationen und hat im Friedensrat zu diesem Thema eine zentrale Rolle gespielt. Der Schweizer Zweig der IFFF hat sich dann allerdings aufgelöst – dies ist ein mit ein Grund dafür, dass der SFR hier in Rückstand geraten ist.

Aber es stimmt schon, dass sich feministische Frauen aus dem SFR zurückzogen, weil ihre Ansätze im SFR zuwenig aufgenommen wurden.

Warum nun also das Thema Gender?

Ruedi Tobler: Im Laufe der 80er und 90er Jahre wurde uns bewusst, dass eine friedenspolitische Dachorganisation nicht mehr gefragt ist. Was nicht heisst, dass wir uns nicht mehr mit den anderen Organisationen vernetzen würden und nicht mehr zusammenarbeiten. Nach längeren Diskussionen beschlossen wir, sowohl uns ein eigenes Thema zu geben, als auch weiterhin koordinierend und tagesaktuell zu arbeiten. Das Thema "Friedenserziehung unter genderspezifischen Aspekten" hat sich dann als Arbeitsthema durchgesetzt.

Der SFR ist aber immer noch eine von vorwiegend Männer geführte Organisation – der Vorstand ist von Männern dominiert, die Koordinationsstelle ist vorübergehend von einem Mann besetzt. Kann dieser "Männerladen" das Einbringen der Genderperspektive gewährleisten?

Ruedi Tobler: Grundsätzlich sollte es nicht eine Frage sein, ob ein Mann oder eine Frau die Koordinationsstelle leitet. Es sollte auch nicht grundsätzlich bestimmend sein, wieviele VertreterInnen jeden Geschlechts im Vorstand sind. Aber natürlich hätte ich gerne eine Frau in der Koordinationsstelle und ein ausgeglicheneres Ge-schlechterverhältnis im Vorstand. Der genderspezifische Aspekt bedeutet, dass wir die Rollen beider Geschlechter anschauen. Es gibt meines Erachtens einen Nachholbedarf, die Auswirkungen dieser gesellschaftlichen Normalität auf die Männer, die Rolle der Männer in unserer Gesellschaft überhaupt kritisch zu hinterfragen. Die feministischen Organisationen und Forscherinnen haben die Rolle der Frau und die Auswirkungen der Geschlechtersozialisation auf die Frauen bereits gründlich studiert. Gerade im Bereich Gewalt – Konflikte – Krieg müssen endlich die männlichen Rollenbilder frie-denspolitisch angeschaut werden.

Besteht nicht das Risiko, erst recht vor allem Männer anzusprechen, wenn ihr die Männersozialisation unter die Lupe nehmt?

Ruedi Tobler: Ja, diese Gefahr besteht. Deshalb müssen wir die Wahl des jeweiligen Arbeitsthemas aus dem unendlichen Spektrum "Friedenserziehung unter gen-derspezifischen Aspekten" gründlich diskutieren und vermitteln. Und bei der Arbeit ausserhalb der eigentlichen Arbeitsgruppe, also in der Behandlung der aktuellen politischen Ereignisse, bleibt "Gender" ja ein Thema: Gerade die Frage, ob resp. wie die internationale Völkergemeinschaft in Konflikte eingreifen soll, wird uns wohl noch lange beschäftigen. Gerade hier ist es entscheidend die genderspezifischen Aspekte einzubeziehen.

Besteht auf der anderen Seite nicht auch das Risiko, die älteren Mitglieder zu vergraulen, darunter vor allem die Männer, die mit diesem Thema nichts anfangen können. Kann sich der SFR dies leisten?

Ruedi Tobler: Ich habe sehr viel Vertrauen in die ältere Generation; unsere älteren Mitglieder habe viele Wandlungen des SFR mitgetragen. Natürlich gab es immer wieder Auseinandersetzungen und Austritte, doch gelang es uns immer wieder die Mitglieder auch von neuen Perspektiven zu überzeugen. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass der SFR eine gute Wahl traf; ich sehe aber nach wie vor mehr Arbeit als Resultate.

Interview: Manuela Reimann

 

Ist der Geschlechterkampf in der Friedensbewegung vorbei?

Die Friedensbewegung in der Schweiz ist zwar nicht gerade eine im politischen Alltag und auf den Strassen omnipräsente, doch ist sie immer noch vielfältig und aktiv. Die wenigsten Organisationen kümmern sich nur um tagesaktuelle, politische Fragen; viele engagieren sich auch in der Analyse von Konflikten, deren Hintergründen und Präventionsmöglichkeiten.

Ein häufiger Vorwurf an die gemischt-geschlechtlichen Frie-densorganisationen, die halt eben doch oft von Männern dominiert wurden und zum Teil noch werden, war und ist, dass sich diese oft wenig um gesamtgesellschaftliche Analysen unter Einbezug der Kategorie "Gender" kümmerten.

Frau warf den friedenspolitisch organisierten Männern vor, sich rein für militärisch-machtpolitische Themen zu interessieren, insbesondere aber die Grundlagen für Gewalt und Unfrieden in der Sozialisation zum Mann hingegen auszublenden. Die Machtfrage wurde aber oft auch organisationsintern und strukturell gestellt. Es wurde viel gestritten, viele Frauen zogen sich aus den gemischten Organisationen zurück.

Wie sieht es heute in den einzelnen grösseren friedenspoli-tischen Organisationen und Institutionen aus? Was haben die Männer gelernt? Was fordern die Frauen heute? Ist Gen-der heute eine selbstverständliche Analysekategorie? Was legitimiert reine Frauen-Friedensorganisationen heute noch? Oder ist noch alles beim Alten?

Mit dieser Fragestellung nach der Genderperspektive in der Friedensbewegung und in friedens- und sicherheitspoliti-schen Institutionen der Schweiz beginnen wir in dieser Nummer: wir haben bei uns ‘zu Hause’, bei unserem Herausgeber, dem SFR begonnen.


Desertion als Soldat – Desertion als Mann

Von Martin Leschhorn*

Die Komplexität des Begriffes Gewalt haben friedenspolitisch engagierte Frauen und Männer seit den 70er und 80er Jahren deutlich zu machen versucht. Der Begriff erhielt in der Konfliktanalyse eine zentrale Bedeutung; immer wieder musste auf die vielfältigen Formen von Gewalt hingeweisen werden und darauf, dass die Absenz von bewaffneten Konflikten noch kein Friede bedeutet.

Die Analysekategorie Gewalt wurde typi-scherweise auf globale Konfliktverhältnisse angewandt. Im Nahbereich liegende Formen der Gewalt wurden demgegenüber häufig ausgeblendet oder an Vertreterinnen von Fraueninteressen delegiert. Ein Vorgang, der angesichts des Ausmasses dieser alltäglichen Gewalt erstaunen muss: In der Schweiz hat jede fünfte Frau in ihrem Leben bereits körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch ihren Partner erlebt. Jede Vierte war im Jahr vor der Erhebung dieser Zahlen psychischer Gewaltanwendung durch ihren Partner ausgesetzt.1

Friedenspolitik hat ein Geschlecht

Seit einiger Zeit ist die Männergewalt im privaten Raum ein gesellschaftliches Thema, das sich am deutlichsten in den Aufklärungskampagnen auf Plakatwänden manifestiert hat. Die gemischtgeschlecht-liche Friedensbewegung hat sich im Gegensatz dazu kaum für die Familie Schauplatz der Gewalt interessiert und das The- ma an die feministische (Friedens-)be-wegung delegiert. Vielleicht hat auch die Friedensbewegung das Private für unpolitisch gehalten und die häusliche Gewalt an Frauenorganisation abdelegiert. Ob hier wohl unbewusst der patriarchale Grundsatz wirkte, dass Frauen für die familiäre Harmonie zuständig seien?

Legitimierte Männergewalt

Mit dem Schwerpunktthema versucht der Schweizerische Friedensrat SFR an dieser Stelle anzusetzen und diese mit friedenspolitischen Interessen zu verbinden. In der bisherigen Arbeit der "Gender-Arbeitsgruppe" stand bisher hauptsächlich die Frage nach der Bedeutung des Militärs in der männlicher Sozialisation im Zentrum. Ausgangspunkt dafür ist die Erkenntnis, dass die den Männlichkeitsbildern inhärente Gewaltlegitimierung ein gesellschaftliches Konstrukt ist. Das Problem Männergewalt hat nichts mit biologischen Voraus- setzungen des Mannes, sondern mit der in verschiedener Weise gesellschaftlich vermittelten Vorstellung, dass Gewalt männlich sei, zu tun.

Es gibt verschiedene Aspekte, die für die männliche Sozialisation prägend sind. Auf zwei davon möchte ich hier kurz eingehen. Sie machen plausibel, wie erlernte Männergewalt im Militär mit praktizierter Männergewalt im häuslichen Raum verknüpft ist. Über die Bedeutung von für die Männlichkeit schreiben die Sozialwissenschafterin Anita Heiliger und die Pädagogin Con-stance Engelfried: "Die Kultivierung von ‘Kontrolle‘ durch Jungen und Männer in allen gesellschaftlichen relevanten Bereichen dient der Aufrechterhaltung des geforderten Systems der Überlegenheit. Über den Dingen zu stehen, sich und andere im Griff zu haben, reproduziert männliche Allmachtsphantasien."2

Mit allen Mitteln der Macht Kontrolle zu erlangen, zu halten und zu verteidigen – genau darum geht es auch in der Kriegsführung. Dies lernt der Mann nicht erst in der Armee, aber diese zeigt ihm, auch wenn er nie Militärdienst leistet, dass Gewalt angesichts eines grundsätzlich immer möglichen Kontrollverlustes durchaus legitim ist. Der Publizist Jürgmeier brachte das Verhältnis zwischen Kontrollfähigkeit, Gewalt und Männlichkeit an der letztjährigen Ratstagung des Friedensrates auf den Punkt.3

Das Militär – beispielsweise

Wohl an keinem anderen Ort werden patriarchalische Geschlechterrollen in solcher Deutlichkeit sichtbar wie im Militär und im militaristischen Denken. Dies hängt keineswegs damit zusammen, dass sich in der Armee praktisch ausschliesslich Männer befinden.

Das patriarchalisch-dualistische Verstän-dnis der Geschlechterrollen setzt sich auch dann fort, wenn Frauen zum Militärdienst zugelassen werden. Durch den Gang von Frauen ins Militär werden patriarchalische Geschlechterrollen nicht aufgelöst, sondern fortgesetzt.

Auch das in der Schweiz durch das VBS gerne vermittelte Bild der partnerschaftlichen Kooperation von Soldat und Soldatin hat nichts mit der Emanzipation von patri-archalen Männlichkeits- und Weiblichkeits-vorstellungen zu tun. Im emanzipatorischen Sinn zukunftsweisender ist da der Weg, der Jürgmeier mit einem den Frie-denspolitikerInnen wohlvertrauten Bild beschrieben hat: "Und so bleibt ‘dem Menschen‘ als letzte Hoffnung nur die Deser- tion ‘des Mannes‘, der sich durch das Weglegen des Zauberstabs Gewalt endlich zum ‘Nicht-Mann‘, zum ‘Menschen‘ bekennt. Der von der Fahne geht. Aufrecht und tapfer die Zumutungen des Mann-Seins zurückweist. Mutig, das heisst feige und ängstlich ist."4

1 Beziehung mit Schlagseite. Gewalt in Ehe und Partnerschaft. Hrsg. von der Schweizerischen Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten. Bern 1997, S. 19
2 Heiliger, Anita u. Engelfried, Constance: Sexuelle Gewalt. Männliche Sozialisation und potentielle Täterschaft. Frankfurt a.M./New York 1995, S. 77
3 Jürgmeier: Männer phällen oder phallen oder Das Feindbild Frau. Anmerkungen zur Gewalt, die Männer macht. In: männermacht macht männer. Hrsg. vom Schweizerischen Friedensrat. Zürich 1998, S. 17
4 Jürgmeier, Männer phällen oder phallen, S. 26
*Martin Leschhorn ist Historiker und Mitglied des SFR-Vorstands sowie der "Gender-Arbeitsgruppe". Wer Interesse hat, in der "Gender-Arbeitsgruppe" des SFR mitzuarbeiten, der/die melde sich beim Schweizerischen Friedensrat, Postfach 6386, 8023 Zürich. Tel. 01 242 93 21, Fax. 01 241 29 26.

Die erwähnte Broschüre des SFR ("männerMacht macht Männer") kann für Fr. 8.– an genannter Adresse bestellt werden.

 

Inhaltsübersicht nächster Artikel