Guatemala: Die Vergangenheit bleibt lebensgefährlich

Einträchtig sassen Alvaro Arzú, der guatemaltekische Staatspräsident, und Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú in der ersten Reihe des Auditoriums als Ende Februar dieses Jahres im Rahmen einer Grossveranstaltung in Guatemala Stadt der Schlussbericht der offiziellen Wahrheitskommission der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Das aufgrund des Friedensvertrages vom Dezember 1996 eingesetzte Gremium hat auf 3500 Seiten Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen von dreieinhalb Jahrzehnten Bürgerkrieg dokumentiert.

Sein wesentlicher Inhalt ist längst bekannt. Vor einem Jahr nämlich erschien der Bericht des Menschenrechtsbüros der katholischen Kirche zum gleichen Thema.

Bestätigung bekannter Fakten

Der neue Aktenstapel ist nichts als eine Bestätigung der bereits darin belegten Realität anhand weiterer Tausender von Einzelfällen. Auch die abschliessenden Empfehlungen sind alles andere als revolutionär: Sie beinhalten im Wesentlichen die Forderung, dass wenigstens die schlimmsten Verbrechen strafrechtlich geahndet, Opfer entschädigt und mehr Anstrengungen zur Aufklärung des Schicksals vieler Tausender noch immer Verschwundener unternommen werden sollen. Ausserdem werden einige konkrete Vorschläge zur im Friedensvertrag vorgesehenen Reform der Armee und ihrer Unterstellung unter die zivile Gewalt formuliert.

Im Gegensatz zu den entsprechenden Dokumenten in Argentinien vor 15 Jahren oder dieses Jahr in Südafrika, kann der guatemaltekische Bericht, wenn überhaupt, höchstens durch die Erzeugung öffentlichen Drucks darauf hinwirken, dass nicht alle begangenen Verbrechen straflos bleiben: Die Kommission selbst durfte nicht einmal Personen direkt beschuldigen. Menschenrechtsorganisationen halten der ehemaligen Guerilla URNG vor, sich während der Friedensverhandlungen nur halbherzig für ein umfassenderes Mandat der Kommission eingesetzt zu haben, da sie ebenfalls Menschenrechtsverletzungen (vorwiegend Entführungen und Schutzgelderpressung zur Finanzierung des Krieges) verübt hat. Nach den Erkenntnissen des Berichtes gehen zwar über 90% der Greueltaten auf das Konto der staatlichen Sicherheitskräfte, mit ihrer Forderung, dass nur diese zu bestrafen seien, konnte die URNG in den Verhandlungen aber natürlich nicht durchdringen.

Erneut ein Mordanschlag

Derweil belastet nicht nur die unbewältigte Vergangenheit den Normalisie-rungsprozess im Land: Wenige Tage nach der Veröffentlichung des katholischen Berichtes im April 1998 wurde der verantwortliche Leiter des Kirchlichen Menschenrechtsbüros, Erzbischof Gerar-di, ermordet. Die Tat blieb bisher unaufgeklärt. Den beiden guatemaltekischen Mitgliedern der sekulären Wahrheits-kommission hat der Staat nun Posten auf guatemaltekischen Botschaften im Ausland angeboten, was dem Eingeständnis gleichkommt, dass er ihre Sicherheit nicht gewährleisten kann und dass die Straflosigkeit von politischen und gewöhnlichen Verbrechen immer noch ein gewaltiges Problem darstellt. Allzu engagierter Einsatz für die Rechte der indigenen Bevölkerung oder zu genaues Recherchieren über die finstere Vergangenheit bleiben in Guatemala lebensgefährlich.

Pida

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