Die beiden folgenden Texte wurden geschrieben, bevor der Beschluss zum NATO-Angriff auf Serbien fiel. In ihrem jeweiligen Kern haben sie deswegen nichts an Aktualität eingebüsst. Im Gegenteil: Die in ihnen angesprochene "Unmöglichkeit" militärischer Friedensoperationen ist seit wenigen Tagen unübersehbar.

Ziviles Recht statt Faustrecht in internationalen Beziehungen

Von Dorothee Wilhelm*

"Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Es ist mindestens auch die Abwesenheit von Gewalt," heisst ein zentraler Leitsatz der cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit. Wann immer ich gefragt werde, was wir dort genau tun, beginne ich mit diesem Satz. Wenn ich davon ausgehe, kann ich erklären, warum unsere Arbeit ein Spektrum von feministisch-friedenspolitischer Grundlagenarbeit bis zum Engagement im Netzwerk "Solidarität mit illegalisierten Frauen", von der Nachbereitung der Weltfrauenkonferenz auf schweizerischer Ebene bis zur Mitorganisation der Grossdemonstrationen gegen den Krieg in Ex-Jugoslawien umfasst.

Wenn wir "Frieden" sagen, sprechen wir über etwas, das wir im Engagement für eine gerechtere Gesellschaft suchen und nirgends vollumfänglich verwirklicht sehen.

Wir lehnen die vorliegende Teilrevision des Militärgesetzes ab, weil sie bewaffnete Auslandeinsätze aus einem friedenspolitischen Kontext reisst und sie allein in bundesrätliche Kompetenz legt, ohne ausreichende demokratische Kontrolle. Anstatt ein friedens- und sicherheitspolitisches Konzept vorzulegen und darin als möglichen Extremfall den Stellenwert allfälliger militärischer Komponenten zu definieren, sollen in der bestehenden Vorlage militärische Massnahmen vom Primat der Politik losgelöst und vorweg konkret beschlossen werden. Selbiges gilt bedauerlicherweise auch für die angestrebte Ebene eines internationalen Engagements der Schweiz.

Eine militärische Intervention kann keine Lösung sein, sondern bestenfalls eine Kriegsdynamik unterbrechen und Spielräume für politisches Handeln eröffnen. Sie ist niemals ein Ersatz für Politik.

Als Teil der Friedensbewegung halten wir einen militärischen Einsatz für die zweitschlechteste Antwort auf einen Krieg oder Konflikt – die schlechteste Antwort aber wäre es, zuzulassen, dass sich jeweils das Recht des Stärkeren durchsetzt. Der Satz "Nie wieder Krieg!", entsprungen aus den Erfahrungen zweier Weltkriege gilt, aber er steht in Spannung zu dem Satz "Nie wieder Auschwitz!".1 Ein bewaffneter Einsatz kann nur legitim sein, wenn er unter dem Mandat der internationalen Gemeinschaft stattfindet, also von UNO oder OSZE ausgeht und unter dem Völkerrecht steht. Nur dann ist ein militärischer Einsatz ein Beitrag zur Zivilisierung von Konflikten, indem er der herrschenden militärischen Gewalt Recht, Völkerrecht entgegensetzt. Der vorliegenden Entwurf zur Teilrevision des Militärgesetzes wird dieser völkerrechtlichen Legitimierung in keinster Weise gerecht.

Es ist widersinnig, mit der "ultima ratio" einzusetzen und die "prima ratio", ein verstärktes Engagement der Schweiz für zivile Konfliktlösung im Rahmen der UNO, ausser acht zu lassen. Zusammenhanglos militärische Einsätze regeln zu wollen, ist ein Kurzschluss, der politische Phantasie durch militärische Logik ersetzt.

Auch militärische Einheiten unter UN-Hoheit werden nie mehr als eine Feuerwehr sein, die sich zudem oft genug wie eine Besatzungsmacht benimmt. Als Fachstelle für feministische Friedenspolitik sehen wir uns dabei einem Dilemma gegenüber: Diejenigen, von denen sich Frauen normalerweise bedroht fühlen müssen – bewaffnete Männer –, treten als internationale Truppen als Beschützer auf. Aber die Farbe der Helme macht aus Soldaten noch keine Friedensengel.

Einschlägige Übergriffe holländischer und deutscher Blauhelme auf somalische ZivilistInnen sind durch die Medien gegangen, ebenso die Errichtung von Zwangsbordellen und andere Vergewaltigungen durch Blauhelmen in Bosnien. Erklärbar sind sie durch die spezifische militärische Sozialisation, welche einem zivilen und humanitären Engagement keineswegs zuträglich ist.

Deshalb fordern wir, auf schweizerischer und internationaler Ebene eine ständige zivile Watchgroup als Kontrollinstitution einzurichten. Diese Watchgroup soll gesetzlich vorgesehen werden, als unabhängige Begleitung Kompetenzen hinsichtlich der Ausbildung, Ausgestaltung und Durchführung von Einsätzen haben und von VertreterInnen friedens-, frauen-, migrations-, umwelt- und entwicklungspolitischer Gruppen der Zivilgesellschaft gebildet werden. Frauen müssen in der Watchgroup so lange die Mehrheit haben, als in den Entscheidungsgremien und Blauhelmtruppen selbst Männer in der Mehrheit sind.

Nichtmilitärische Elemente inklusive das Erlernen nicht-sexistischer, nicht-rassistischer und gewaltvermindernder Verhaltensweisen müssen zentral zur Ausbildung gehören. Dies soll gewährleisten, dass politische Konzepte und politische Phantasie die rein militärische Logik ersetzen.

1 nach der deutschen Publizistin Cora Stephan

*Dorothee Wilhelm ist Mitarbeiterin der cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit. Ihren Text hat sie für die Pressekonferenz der Plattform "Gegen Blankochecks für bewaffnete Auslandeinsätze" am 23. März 1999 geschrieben (s. Seite 7 dieser FriZ).


Und immer wieder: "Feuer mit Feuer bekämpfen"?

Von Markus Euskirchen*

Im Kosov@ ist Krieg. Ich kann und ich will nicht über den Krieg schreiben. Ich war nicht dort, und ich weiss auch nicht, was ich für Vorschläge machen soll, wenn ich auf die moralische Notwendigkeit von "peace enforcement" hingewiesen werde – wenn nötig auch als autonome NATO-Aktion. Mir fällt nur auf: Angesichts verbrecherischer Militäraktionen der Kriegsparteien und ziviler Mordopfer wage ich mein radikal-pazifistisches Argument gar nicht mehr zu äussern: "Kein Einsatz von Militär, denn Krieg lässt sich nicht durch Krieg bekämpfen oder überwinden und schon gar nicht strukturell aus der Welt schaffen." Zu offensichtlich scheint mir mein Zynismus: Mein pazifistisches Gewissen bleibt rein, auf Kosten der Schicksale von Menschen im Kriegsgebiet.

Ich fange also an, nach Lösungen zu suchen für mein Problem, den Krieg, und weil alle Versuche schon gescheitert sind (UN-Resolution, Waffenboykott, Wirtschaftssanktionen, Kriegsberichterstattung, Monitoring), steige ich direkt ein in die Diskussion um "peace enforcement", Friedenserzwingung. Nur: Dort werde ich überhaupüt nicht gebraucht, ich störe eher. Die Strategen in der NATO, in unseren Militärapparaten und Kriegsministerien haben die Gunst der Stunde schon erkannt, setzen ihre geballten materiellen und personellen Ressourcen ein und verschaffen sich selbst (nach dem Ende des Ost-West-Nuklear-Overkill-Wahns) ein neues wirkungsvolles legitimatorisches Standbein: "Kämpfen für den Frieden" oder "In einer kriegerischen Welt muss sich der Stärkere sein Recht auf Frieden erkämpfen". Als ehemaliger Pazifist und Antimilitarist muss ich also offensichtlich nur einfach still sein und vertrauen, denn die da oben werden’s schon richten – ausser ich will die sich bietende Karrierechance nützen: Im Rahmen der in weiten Teilen herrschafts-politisch konditionierten Friedens- und Konfliktforschung, die sich für die "unabhängige" ideologisch-akademisch-intellektuelle Aufbereitung der kriegerischen "peace enforcement"-Praxis gerne andient.

Also Resignation im eigentlichen Sinne? Sich zurückziehen und nur noch die täglichen Nachrichtenmeldungen abnicken? Vielleicht noch einmal kurz nachdenken. Ausgangssituation war der Schreck vor meinem eigenen Zynismus. Aber liegt nicht der viel grössere Zynismus in der Praxis der Nichtbeachtung und Vernachlässigung all der noch nicht offen kriegerisch ausgetragenen Konflikte? Überall in der Welt bestehen Konfliktsituationen, von denen wir alle wissen oder wenigstens wissen könnten. Wir kenne die jahrhundertealten Geschichten der Krisenregionen – für die der aktuelle Kosov@-Konflikt nur ein Beispiel ist.

Und die Welt ist voll mit vergleichbaren Konflikten mit ihren jeweils eigenen sozialen, ethnischen, ökonomische, religiösen, kulturellen Konfliktdimensionen. Erfahrungsgemäss eskalieren immer wieder einige – aber bei weitem nicht alle – dieser Konflikte bis zum Krieg. Dies lässt sich ganz nebenbei auch ‘mal als Argument gegen das düstere Menschenbild der militärisch-versicherten RealpolitikerInnen anführen. Erst bei einem "richtigen" Krieg – dann aber mit aller Macht des "brennend-aktuellen" Tagesthemas – kann sich die aussenpolitische Klasse mit ihrem Ruf nach "Intervention" im Recht, gar moralisch unangreifbar wähnen. Und der Pazifist scheint in seinem "Dilemma" (zwischen dem moralischen Bedürfnis nach konkret greifbaren Alternativen und dem Vorwurf des Zynismus) verzweifeln zu müssen. Der Blick auf die immer gerade aktuellen Kriegsverbrechen verursacht eine regelrechte Paralyse beim alltäglichen Betrachter. Dabei droht die Tatsache in Vergessenheit zu geraten, dass die Wahl aussenpolitischer Mittel nicht eine aus objektiven Bedingungen ableitbare Massnahme, sondern immer in erster Linie eine durch Interessen bestimmte politische Entscheidung ist. Wie, nebenbei bemerkt, auch unsere weltweite kriegsbegünstigende Rüstungsexportpolitik, die politisch nicht zur Disposition stehende Weltwirtschaftsstruktur, in der die Akteure von der Aufrechterhaltung vieler regionaler Kriegssituationen unmittelbar profitieren (z.B. indem sie in Gegenden ohne autonome Souveränitäten direkten Zugriffe auf Rohstoffe erhalten), oder die völlig inkonsistent-kurzatmige nachbipolare Stellvertreterpolitik der UN-Weltsicherheitsratmitglieder. Legitimation schaffen dabei wiederum die VertreterInnen der Wissenschaft der Internationalen Beziehungen und der ehemaligen Friedensforschung, die sich nur noch mit der Definition von Risiken, mit Bedrohungsszena rien und mit Krisenbögen beschäftigen. In keinem Politikbereich tritt die zerstörerische Wirkung der "self-fullfilling prophecies" deutlicher zu Tage. Zivile Friedenspolitik, die sich selbst ernst zu nehmen bereit ist – und nicht militärische Kriegsverhinderungspolitik –, stellt die einzige wirkliche friedensträchtige Alternative dar.

Ich werde also überhaupt nicht am Krieg und an der Diskussion darum teilnehmen. Ich mach das alte "Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!" wahr. Ich weigere mich, in diese Diskussion hineingezogen zu werden, in der es nur zwei Pseudo-Alternativen gibt: Krieg oder Friedenserzwingung (also Krieg). Und ich erdreiste mich, eine echte Alternative zu fordern. Ich fordere Realpolitik im wirklichen Wortsinn: Politik, die sich um die Realitäten kümmert – in diesem Falle um die Gesamtheit des weltweiten Konfliktgeschehens und um jeden einzelnen Konflikt im einzelnen. Ich plädiere in einer aussenpolitischen Szenerie, in der Militär letztendlich immer noch nationalstaatlich verfasst ist, für einen deutschen Sonderweg – diesmal im positiven Sinne. Lassen wir unsere Partner doch militärisch operieren, bis sie sich ebenfalls auf besseres besinnen.

* Der vollständige Text von Markus Euskirchen ist vor dem NATO-Angriff in der Zeitschrift "antimilitarismus information" erschienen (ami 3/99).

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