Teppichknüpfen ist kein Kinderspiel!

Die wichtigste Spielregel der internationalen Arbeitsteilung heisst: Länder im Süden sind Billiglohnländer. Am billigsten zu haben sind dabei die Schwächsten, nämlich die Kinder der Ärmsten. Immer mehr Väter und Mütter in Asien und anderswo sind arbeitslos. Ihre Kinder hingegen "finden" Jobs ausser Haus, zu Löhnen, die weit unter denjenigen der Erwachsenen liegen.

Von Werner Dick*

Laut Neil Kearney, Generalsekretär der Internationalen Vereinigung der Textil-, Bekleidungs- und LederarbeiterInnen, arbeiten in Indien fünf, in Nepal gar sieben Kinder zum Preis eines Erwachsenen. Wieviele Mädchen und Knaben weltweit Vollzeit arbeiten und keine Schule besuchen, ist unbekannt. Keine UNO-Organisation verfügt über exakte Zahlen, da Regierungen sich kaum bemühen, solche zu liefern. Schätzungen schwanken zwischen 100 und 200 Millionen.

Ungerechte lokale Strukturen und ebensolche Handelsbeziehungen zwischen Süd und Nord fördern Kinderarbeit und deren schlimmsten Auswuchs, die Schuldknechtschaft. So auch in der Teppichbranche. Anfangs der 80er Jahre begannen die Weltmarktpreise für handgeknüpfte Orientteppiche zu sinken. Wegen des währungsbedingten Preisrückgangs erhöhten europäische Importeure ihre Bestellungen. Sie können seither die früher für viele KonsumentInnen unerschwinglichen Teppiche günstiger anbieten. Die grössere Nachfrage führte vor allem in Indien und Nepal zu einer sprunghaft ansteigenden Teppichproduktion. Um die Preise tief zu halten, werden immer mehr Kinder rekrutiert, zu Bedingungen, die gegen die landeseigenen Gesetze und internationale Konventionen verstossen.

Kinder ernähren die Familie mit

In Nepal sind, laut Angaben nepalesischer Kinderrechtsorganisationen, knapp die Hälfte der 250 000 TeppichknüpferInnen minderjährig. Teppiche sind das wichtigste Exportprodukt des Landes. In Indien arbeiten zirka 250 000 bis 300 000 Kinder in der Teppichindustrie, in Pakistan 300 000 bis 500 000, in beiden Ländern häufig in Schuldknechtschaft. Dies bedeutet, dass ein Kind mit seiner Arbeit bestehende Familienschulden abzahlen muss, oder eine an seine Familie geleistete Vorauszahlung. Mit Geld locken Anwerber in armen, ländlichen Gebieten die Kinder an den Knüpfstuhl. Sie geben den Eltern ein Darlehen, versprechen, das Kind gut zu behandeln und einen Teil seines Salärs regelmässig nach Hause zu schicken. Der Zinssatz solcher Darlehen variiert zwischen 100 und 200 Prozent monatlich. Die Unmöglichkeit der Schuldtilgung ist vorprogrammiert. Das Kind wird zum Sklaven, zur Leibeigenen, zum Schuldknecht: verschiedene Bezeichnungen für dieselbe, Menschenkinder verachtende, Lebenssituation.

Es ist der mutigen Arbeit von Kinderrechtsorganisationen in den Knüpfländern zuzuschreiben, dass Teppiche aus Kinderhänden auch in der Schweiz zu einem Thema geworden sind. Das Motiv für die Beschäftigung armer Kinder ist nie Mildtätigkeit: Kinder sind am billigsten und lassen sich am leichtesten unterdrücken. Knüpfen hat nichts mit Freizeitgestaltung, spielerischem Lernen, idyllischem Mithelfen zu tun. Der Alltag einer Kinderarbeiterin, eines Kinderarbeiters, ist hart und traurig.

Harter Arbeitsalltag

Ein asiatisches Sprichwort sagt, das Leben eines Kindes ist wie ein Blatt Papier, auf dem jede Person die vorbeigeht ihre Spuren hinterlässt. Was bleibt, wenn Erwachsene Kinder schlagen, weil diese nicht schnell genug arbeiten? Welche nie verheilenden Narben hinterlässt eine Kindheit, verbracht in den schlecht beleuchteten Hütten der Arbeitgeber, wo auf engem Raum lang geschuftet und kurz geschlafen wird, wo Liebe und Fürsorge, die geringste Zuwendung fehlen? Zum seelischen kommt körperlicher Hunger und Durst. Die Mahlzeiten sind karg. Oft fehlt das Trinkwasser, dies auch bei Aussentemperaturen von 45 Grad.

Rückenschmerzen, Augenprobleme und Schnittwunden an den Fingern sind an der Tagesordnung. Ebenso Würmer, Durchfall und — wegen der Wollpartikel in schlecht belüfteten Arbeitsräumen — Erkrankungen der Atemwege. Besonders betroffen sind die Jüngsten. Lokale Organisationen melden immer wieder Fälle von "Teppichkindern", die in einem Alter sind, in dem kleine SchweizerInnen ihr Pausenbrötchen in den Kindergarten tragen.

Die Stiftung STEP, eine Initiative schweizerischer Hilfswerke, unternimmt ganz konkrete Massnahmen, um von der Schweiz aus etwas für gerechtere Bedingungen in der Teppichproduktion und im -handel beizutragen. Teppichhandelsfirmen unterzeichnen einen Verhaltenskodex, der explizit die Bekämpfung missbräuchlicher Kinderarbeit beinhaltet. Dies bedeutet auch, gerechte Preise für Teppiche aus Erwachsenenhänden zu bezahlen. Die KonsumentInnen zahlen schliesslich einen Aufpreis, welcher der Handel an STEP abgibt, um in den Knüpfregionen Projekte lokaler Organisationen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation mitzutragen. Nötige Voraussetzungen für die Bekämpfung von Kinderarbeit sind einkommensschaffende Programme für Erwachsene und eine obligatorische, gebührenfreie Primarschule, die Fertigkeiten vermittelt, die von den Familien als eine wirkliche Alternative zur Erwerbstätigkeit von Kindern angesehen wird.

Armut ermöglicht Ausbeutung

Ohne eine Weltwirtschaftspolitik, die einen ernsthaften Beitrag zur Armutsbekämpfung leistet, setzen ökonomische Rahmenbedingungen allen Bemühungen zur Bekämpfung der missbräuchlichen Kinderarbeit, auch derjenigen von STEP, enge Grenzen. Schuldenlasten und Wirtschaftsreformprogramme werden immer auf dem Buckel der Armen ausgetragen. Die Länder im Süden sparen beim Sozial- und Schulwesen und lassen die Kinder die vom Staat dringend benötigten Devisen anschaffen. Davon werden nicht zuletzt Kampfflugzeuge und andere Waffen gekauft, gegen harte Dollars, hier bei uns im Westen, nota bene!

Missbräuchliche Kinderarbeit ist ein Kind der Armut und reproduziert Elend. Jede nur mögliche Massnahme dagegen zu ergreifen, ist eine dringende, entwicklungspolitische Herausforderung. Der Zyklus der Ausbeutung der Schwächsten muss unterbrochen werden — wir können, jedes an seiner Stelle, unseren Beitrag leisten.

*Werner Dick ist Geschäftsführer der Stiftung STEP in Bern

Stiftung STEP

Indien, Nepal und Pakistan sind die bisherigen Schwerpunktländer der Stiftung STEP, die sich für gerechte Arbeits- und Lohnbedingungen in Teppichherstellung und -handel einsetzt und Massnahmen gegen missbräuchliche Kinderarbeit unterstützt. Die Stiftung STEP ist ein Gemeinschaftswerk der Entwicklungsorganisationen Brot für alle, Caritas, Fastenopfer, Swissaid, Erklärung von Bern sowie der IGOT (Schweizerische Interessengemeinschaft Sauberer Orientteppichhandel).

 

Schweizerische Teppichfirmen, die sich im Einkauf an die STEP-Kriterien halten, werden mit dem STEP-Label ausgezeichnet, damit der Konsument, die Konsumentin eine Auswahlmöglichkeit hat. Mittlerweile führen 13 Firmen mit insgesamt 37 Verkaufsstellen in der ganzen Schweiz das STEP-Label. Die bei STEP angeschlossenen Firmen machen zusammen rund 25 Prozent des schweizerischen Teppichmarktes aus.

 

Im Vordergrund steht die Gewährung fairer Preise, gerechter Arbeits- und Sozialbedingungen, Zugang zur Schule für alle, die Abschaffung missbräuchlicher Kinderarbeit sowie die Förderung umweltschonender Produktionsverfahren. Zusätzlich, als flankierende Massnahme, zur Verbesserung der jeweiligen Rahmenbedingungen, unterstützt die Stiftung STEP lokale Entwicklungsprojekte zugunsten benachteiligter Bevölkerungsschichten in den Knüpfgebieten. Es sind Basisprojekte in den Bereichen Gesundheitsversorgung, Dorfschulen, Frauenförderung, Schaffung von Arbeitsplätzen für Erwachsene, Kleingewerbeförderung und Stärkung lokaler Selbsthilfegruppen.

 

Mit diesem doppelten Ansatz, gerechte Bedingungen in der Herstellung der importierten Produkte und Unterstützung von Selbsthilfeprojekten als flankierende Massnahme, verfolgt Stiftung STEP ein auf Langfristigkeit angelegtes Konzept zur nachhaltigen Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Familien in den Knüpfgebieten der Dritten Welt.

 

Die bisherigen Erfahrungen mit dem STEP-Firmenlabel sind positiv und zeigen, dass Konsumentinnen und Konsumenten mit ihrem kritisch- konstruktiven Engagement zur Förderung von gerechten Arbeitsbedingungen und umweltschonender Produktionsverfahren durchaus etwas bewegen können!

 

Werner Dick

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