Recht auf Bildung in der Schweiz: Grundrecht ohne Gewähr

Von Ruedi Tobler

Die offizielle Schweiz tut sich schwer mit dem Recht auf Bildung, bis heute. Dies ist eine Nachwirkung ihrer isolationistischen Politik in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Ein Erziehungsministerium kennt die Schweiz nicht, sein Rolle spielt in etwa die "Schweizerische Konferenz der Erziehungsdirektoren" (EDK). Während Jahrzehnten sperrte sie sich gegen die Verankerung des Rechts auf Bildung. Das hat sich in den 90er Jahren geändert.

1992 bei der Ratifikation der beiden UNO-Menschenrechtspakte spielte das Recht auf Bildung keine Rolle, das im Pakt I (wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte) in Artikel 13 verankert ist. Bereits in der Botschaft wiegelte der Bundesrat ab: "…verlangt dieses Recht auf Bildung einen ‹minimal standard›, wie er in der Schweiz seit langem vollumfänglich gewährleistet ist." Und doppelte nach: "…erzeugen die in Pakt I gewährten Rechte deshalb (…) grundsätzlich keine subjektiven und justi-ziablen Rechte. Einzelpersonen können sie vor schweizerischen Verwaltungs- und Gerichtsbehörden nicht direkt anrufen."

Keine Probleme für die Schweiz?

Die Kinderrechtskonvention umschreibt das Recht auf Bildung in Artikel 28 etwas ausführlicher als der Sozialrechtspakt und formuliert in Artikel 29 auch Bildungsziele. Der Bundesrat hielt in seiner entsprechenden Botschaft fest: "Im Rahmen der sehr offenen Formulierungen des Übereinkommens stellen sich auch im föderalistischen System der Schweiz kaum Probleme."

Die EDK hat sich bis heute nicht zur Bedeutung des Rechts auf Bildung in Kinderrechtskonvention und Sozialrechtspakt geäussert, während sie 1991 im Hinblick auf den Beitritt der Schweiz zur Antirassismuskonvention eine "Erklärung zu Rassismus und Schule" herausgab. Hat also das in der Kinderrechtskonvention und dem Sozialrechtspakt umschriebene Recht auf Bildung für die Schweiz keine Bedeutung? Gewiss darf sich das öffentliche Bildungssystem der Schweiz sehen lassen, auch im internationalen Vergleich. Aber von der Verwirklichung der in Sozialrechtspakt und Kinderrechtskonvention formulierten Ziele ist sie noch weit entfernt – und in den letzten Jahren gab es sogar Rückschritte. So hat das UNO-Sozialrechtskomitee in einem Brief im Februar 1997 die Schweiz im Zusammenhang mit der Erhöhung von Studiengebühren ermahnt, die Verpflichtungen aus dem Sozialrechtspakt ernster zu nehmen. Der NGO-Zusatzbericht zum 1. Bericht der Schweiz zur Umsetzung des Sozialrechtspakts (s. Kasten), führt 13 Problembereiche im Bildungswesen an. Es ist hier nicht der Platz, sie alle darzustellen. Deshalb seien drei herausgegriffen.

"Illegale" Kinder

Wie viele in der Illegalität lebende Kinder es in der Schweiz gibt, ist nach wie vor umstritten. Eine gängige Auffassung ist, dass sich das Problem mit der Abschaffung des Saisonnierstatuts von selbst lösen werde. Das ist aber grundfalsch. Diese Auffassung geht von einer Situation der Teilillegalität aus, d.h. davon dass mindestens ein Elternteil mit legalem Status in der Schweiz lebt. Angesichts der ständigen Verschärfungen vor allem in der Asylpolitik muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die Zahl der illegal in der Schweiz lebenden Familien im Steigen begriffen ist. Einen Umgang mit diesen Kindern – die vielleicht nicht einmal eine Geburtsurkunde besitzen – hat das Schulsystem bisher nicht entwickelt und es gibt bis jetzt auch keine Schätzungen zu ihrer Zahl.

Ausgrenzung behinderter Kinder

Im internationalen Vergleich ist das schweizerische Schulsystem wenig integrativ (es gibt jedoch erhebliche kantonale Unterschiede) und greift schnell zum Mittel der separaten Lösung. Das gilt ganz besonders für behinderte Kinder. Sie werden damit nicht nur ausgegrenzt – was gegen das Diskriminierungsverbot der Kinderrechtskonvention und des Sozialrechtspakts verstösst –, sondern auch deutlich benachteiligt. Das zeigt sich beispielsweise daran , dass Behinderte an den Hochschulen stark untervertreten sind.

Segregation nach Sprache und Pass?

In der letzten Zeit ist an verschiedenen Orten die Forderung nach separaten Klassen für fremdsprachige oder Ausländerkinder erhoben worden, vor allem von SVP-ParlamantarierInnen; da und dort ist dies bereits Praxis. Dies verstösst nicht nur gegen das Diskriminierungsverbot in Kinderrechtskonvention und Sozialrechtspakt, sondern verletzt auch das Segregationsverbot der Antirassismuskonvention. Deshalb verlangt Cécile Bühlmann mit einer Interpellation im Nationalrat vom Bundesrat Auskunft darüber, wie er diese Bestimmungen interpretiert. Die Diskussion um die Verwirklichung des Rechts auf Bildung in der Schweiz kann also endlich losgehen.


 

NGOs zum Sozialrechtspakt

Eine Arbeitsgruppe aus verschiedenen Organisationen, darunter der Schweizerische Friedensrat, hat zum 1. Bericht der Schweiz zur Umsetzung des "Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" im Herbst 1998 einen NGO-Zusatzbericht zuhanden des Sozialrechts-Ausschusses der UNO ausgearbeitet. Die deutschsprachige Ausgabe (48 Seiten) kann zum Preis von Fr. 10.– u.a. bestellt werden bei:

Schweizerischer Friedensrat, Postfach 6386, 8023 Zürich. Tel 01/2429321, Fax 01/2412926. E-mail: friedensrat@dplanet.ch


Inhaltsübersicht nächster Artikel