"Nie wieder Krieg!"

Das war die Überzeugung aller im Herbst 1918. "Niemals Krieg", das war die feste Meinung einiger weniger schon 1914 gewesen. Einige mutige Menschen hatten sich öffentlich gegen den Zeitgeist gestellt und den bevorstehenden Krieg verurteilt: Es sind die vergessenen SchriftstellerInnen des Ersten Weltkrieges. Ihr Schaffen gab dem Krieg keinen anderen Verlauf, aber sie demonstrierten, dass es in einer kriegswütigen Welt noch Menschen gab, die im benachbarten Europäer, in der Nachbarin, keine Bedrohung der Heimat sahen. Sie setzten sich von der Schweiz aus für Verständigung und Verständnis ein.

Von Nicole Billeter*

Der Erste Weltkrieg hatte die Welt in Stücke gerissen, hatte hunderttausenden Soldaten das Leben gekostet, hatte Millionen Kriegsversehrte in allen Ländern hinterlassen. Der unweigerlich eintretende Hunger schwächte die Menschen so sehr, dass 1918 noch mehr Menschen durch die Grippe starben als durch die Bomben, Granaten, Giftgasangriffe des Krieges.

Der Geist von 1914

Die meisten Menschen feierten 1914 den Beginn des Krieges, der so lange schon drohte und immer wieder vermieden werden konnte. Der sogenannte Geist von 1914, der die Nationen in Nationalismus, Patriotismus und Kriegsbegeisterung einte, forderte auch von Personen der Öffentlichkeit, den Krieg zu besingen. Daher stellten sich mit einem Mal auch die SchriftstellerInnen hinter ihren Staat und hoben die Leistungen ihrer Völker hervor, im schlimmsten Fall hetzten sie gegen die offiziellen Feinde. Es gab einige wenige, die sich ins Schweigen zurückzogen. Noch weniger, die sich öffentlich und dezidiert gegen den Krieg und für den Frieden äusserten.

Die Kriegszensur griff in allen Ländern und machte kriegsgegnerischen PublizistInnen das Leben schwer. Anfangs war es durchaus noch möglich, gegen den Krieg zu schreiben: es hing vom jeweiligen Vorsteher der Zensurbehörde ab, ob und wie weit Texte verboten und zensuriert wurden. Aber mit dem Fortschreiten des Krieges mussten die SchriftstellerInnen, die sich eine friedliche Welt wünschten, schweigen oder in die Emigration gehen. Wenige, wie der Franzose Romain Rolland, erkannten schon im Sommer 1914, dass dieses Schlachten länger und grausamer würde, als alles schon einmal Dagewesene. Rolland kehrte von Ferien in der Schweiz schon gar nicht mehr in seine Heimat zurück. Frankreich brandmarkte ihn dafür als Deserteur und später als Landesverräter. Für alle KriegsgegnerInnen aber wurde er zu einem Symbol, einer mächtigen Allegorie: ein einsamer Fels in der blutigen Brandung; ein Prophet, einsam und vergeblich rufend und klagend: "De l’abîme des haines, j’élèverai vers toi, Paix divine, mon chant. Les clameurs des armées ne l’étoufferont point. En vain je vois monter le mer ensanglantée, qui porte le beau corps d’Europe mutilée. Quand je resterais seul, je te serai fidèle."1

Die Schweiz als Zentrum der pazifistischen Immigration

Die Schweiz war als Immigrationsland für europäische PublizistInnen ideal: Die staatlich proklamierte formelle Neutralität gewährte den AutorInnen einen gewissen Schutz, die Mehrsprachigkeit sicherte ein weiteres Veröffentlichen in der eigenen Sprache, wenn die Zensur im ‹VaterLand› keine Zeile mehr gedruckt haben wollte. So zogen denn auch nicht nur Menschen, sondern auch ganze Zeitschriften in die Schweiz; v.a. Zürich und Genf wurden Zentren der pazifistischen Immigration. Hier erschienen "Die Weissen Blätter" des Elsässers René Schickele, das "Zeit-Echo" vom Deutschen Ludwig Rubiner, das schweizerische "La Feuille" mit zeitentlarvenden Drucken vom Belgier Frans Masereel und "Demain" vom französischen Leninisten Henri Guilbeaux, um die wichtigsten kriegsgegnerischen Zeitschrifen zu nennen. Nicht, dass diese Publikationen, oder ihre ErzeugerInnen von der einheimischen Bevölkerung immer gerne gesehen wurden. Die Schweiz hatte zwar eine Neutralität erklärt, diese beinhaltete aber keineswegs eine Gesinnungsneutralität: Der Graben, der die Welt in "deutsch" und "französisch" trennte, zerriss auch die Schweiz. Auch sahen es die meisten BürgerInnen nicht gerne, dass diese Fremden Unruhe in ihr Leben brachte, man gab ihnen u.a. auch die Schuld am Landesgeneralstreik vom Herbst 1918. Schliesslich standen die meisten dieser KriegsgegnerInnen dem Sozialismus nahe: in einer sozialistischen, einer besseren Welt, die allen Menschen Zugang zu Sicherheit, Bildung, Rechten bieten würde, gäbe es keinen Krieg mehr. Eine Umverteilung der Macht, der Güter auch, schien den meisten von ihnen als einzige Möglichkeit, künftige Kriege zu verhindern. Gemeinsam war ihnen aber auch die Enttäuschung über den zeitgenössischen offiziellen Sozialismus: er hatte diesen Krieg nicht nur nicht verhindert, die sozialistischen Parteien der verschiedenen Staaten waren auch noch hinter die jeweilige Regierung gestanden und hatten Kriegskredite bewilligt; sich einspannen lassen und eine "Union Sacrée", einen "Burgfrieden" mit den Machthabern geschlossen.

Schreiben gegen das Unbeschreibliche

So waren die meisten der pazifistischen AutorInnen nicht SozialistInnen nach Parteibuch, sondern Menschen humanistischer Weltanschauung. Sie waren AussenseiterInnen für einige Jahre – und meistens darüber hinaus. Einige von ihnen versuchten, ihren Pazifismus "unpolitisch" zu halten, sie schrieben utopistisch und distanziert, auch ein wenig wehmütig über Krieg und Frieden. Diejenigen expliziten Anti-Kriegs-Bücher, die zu ihrer Zeit ein (relativer) Verkaufserfolg waren, hielten sich aber nicht an brave Träume einer vereinigten Menschheit. Diese Geschichten sind meistens deutlich – überdeutlich – in der Sprache, mit der Absicht, die LeserInnen aufzurütteln. Diese Novellen sollten die Menschen schockieren, sie aus ihrer Trägheit reissen. Den Krieg zeigen wie er war. Dies, obwohl nur wenige Schriftsteller den Krieg an den Fronten tatsächlich gesehen hatten: die meisten konnten der Kriegspflicht entkommen, ihr Umzug in die Schweiz kam manchmal einer Einberufung zuvor. Die meisten Geschichten zeigen dann auch nicht "die Front", sondern die Menschen der Heimat: auch an ihnen geht der Krieg nicht spurlos vorbei. Eine neue Auffassung. Durch diesen Krieg, der einer der ersten totalen war, war auch die Zivilbevölkerung mobilisiert und litt durch Angriffe und Übergriffe, litt an wirtschaftlicher Not, an Hunger. Die von den KriegsgegnerInnen geschriebenen Geschichten sind bizarr, pathetisch, grausam; sie triefen vor Blut, schreien im Schmerz, wühlen in Gedärmen, häufen Leichenteile – alles akribisch genau geschildert. Keine Situation ist zu skurril, um nicht beschrieben zu werden. Wohin man in dem Buchstabengewühl blickt, sind die Menschen nicht mehr Menschen, sondern Maschinen, die Schmerz unterdrücken, Pflichten erfüllen, stumm leiden und jedes Propagandawort glauben; Trost finden sie in den Vorlagen der Regierungen: Feld der Ehre, Heldentod; Opfer, Hingabe. Das Un-Menschliche wird geduldet, bis das Wahre Gesicht des Krieges nicht mehr verdrängt werden kann; dann bricht der Schmerz auf, und vielfach erheben sich die ProtagonistInnen der Novellen und kämpfen gegen den Krieg, an dem sie eine Mitschuld tragen, weil sie ihn nicht verhindert haben.

Diese Bücher verkauften sich zwar gut, einige der AutorInnen erlangten damit eine zeitlich beschränkte Berühmtheit und waren nach 1918 gefragte Leute, denn schliesslich hatte ja niemand eigentlich diesen Krieg wirklich gewollt… Am Verlauf des Krieggeschehens änderten sie nichts. Es blieb diesen AussenseiterInnen nichts anderes als das Schreiben gegen das kühl kalkulierte Risiko: gegen den kollektiven Wahnsinn. Als einzige klar sehend in einer Welt, die die Wahrheit nicht mehr sehen wollte: "Voyant la vérité et ne pouvant la dire, assistant impuissants à la déstruction inutile, stupide de millions de nos frères et défendant notre bon sens contre les fous hurlants."2

1 "Aus den Abgründen des Hasses erhebe ich zu Dir, Göttlicher Friede, mein Gesang. Die Kriegstreiber werden ihn nicht ersticken. Dennoch sehe ich machtlos das blutige Meer ansteigen, das den schönen Körper des geschundenen Europas trägt. Aber wenn ich auch alleine bliebe, so werde ich Dir doch treu sein." (Übers. d. A.)
2 "Wir sehen die Wahrheit und können sie nicht aussprechen, wohnen ohnmächtig der unnützen und dummen Vernichtung von Millionen unserer Brüder bei, während wir versuchen, unseren gesunden Menschenverstand gegen die heulenden Irren zu verteidigen." Aus dem Tagebuch von Romain Rolland, März 1916. (Übers. d. A.)
* Nicole Billeter schrieb ihre Lizentiatsarbeit über acht Männer, die sich von der Schweiz aus mit Veröffentlichungen gegen den 1. Weltkrieg aussprachen.

Inhaltsübersicht nächster Artikel