Die Hauptverantwortung für diese erneute, andauernde Eskalation wird auch von kritischeren Stimmen bei Saddam Hussein geortet; doch deuten die neuesten Enthüllungen um die Rolle der UNSCOM und die Einseitigkeit des Butler-Berichtes darauf hin, dass die Regierung Clinton die Konfrontation wünschte.1
Diverse Sachverständige nicht nur arabische sehen dahinter die Absicht der USA, die Zeit der Verhandlungen zu beenden, die Kontrolle über die Region weiter zu vestärken und die zerstrittene UNO zukünftig aussen vor zu lassen.2
Dass die USA nicht nur zur Eskalation im Dezember/Januar hin drängten, sondern durchaus ein Interesse an einer Weiterführung des Konfliktes bis zum St. Nimmerleinstag haben, zeigen die Analysen, die sich mit den Interessen der USA in der Region beschäftigen.
Diese Interessen werden besonders in den Gründen der Verweigerung der USA, das Embargo gegen den Irak aufzuheben oder auch nur zu lockern, sichtbar. Die US-Regierung hält an den Sanktionen fest, obwohl inzwischen bekannt ist, was diese im Irak anrichten.3 Margret Johannsen vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg sieht darin Gründe für Saddam Husseins Obstruktionspolitik: "Ein wesentliches Motiv für Saddams ständige Nadelstiche war, das Thema der Sanktionen auf die internationale Tagesordnung zu setzen. Saddam Hussein hatte wohl den Eindruck, dass es ihm nicht gelingen würde, durch Wohlverhalten von den Sanktionen wegzukommen."4
Es geht in erster Linie um Erdöl, aber nicht nur. Selbst die US-freundliche NZZ schrieb bereits im Mai 1995, die Vereinigten Staaten bewiesen ihr vitales Eigeninteresse an den Ölgeschäften im Golf: "Deshalb dürften sie die Lockerung der Sanktionsschlinge so lange wie überhaupt möglich hinauszögern."5 Denn das Geschäft mit dem Schwarzen Gold, das der Irak wegen des Embargos nicht machen kann, machen nun die Verbündeten der USA, die Monarchien am Golf. Während andere Staaten und insbesondere russische, französische und chinesische Ölkonzerne bereits Verträge über die Ausbeutung irakischer Öl- und Gasfelder nach der Aufhebung der Sanktionen in der Tasche haben, werden die USA wohl kaum mit Bagdad ins Geschäft kommen.
Den US-Verbündeten Kuwait und Saudi-Arabien würde die Konkurrenz durch billiges irakisches Öl schaden. Der Ölpreis gegenwärtig auf seinem tiefsten Stand seit 12 Jahren würde weiter sinken, besitzt der Irak doch die zweitgrössten Ölreserven der Welt nach Saudi-Arabien.6
Nur schon, wenn Bagdad die von der UNO gestattete Menge liefern würde7, könnte dies den Preis drücken. Wegen des schlechten Zustands der Förderanlagen liegt dies momentan jedoch nicht drin. Allerdings: "Mit jeder Krise, die Saddam mit der UNO provoziert, treibt er die Ölpreise um mindestens zehn Prozent in die Höhe. Damit sichert er sich etwas grössere Einkünfte aus dem Schmuggelgeschäft, das er vor den Augen der UNO betreibt."8 Mit jeder neuen Krise steigt aber auch der Gewinn der anderen Ölproduzenten insofern decken sich in diesem Punkt zynischerweise die Interessen der Kontrahenten am Golf.
Ein weiteres wirtschaftliches Moment liegt im Bestreben, die von Saddam Hussein bedrohten Staaten zu deren Selbstverteidigung aufzurüsten. In den drei Jahren seit dem Ende des 2. Golfkrieges importierten die Golfstaaten Kuwait, Saudi-Arabien, Qatar und die Emirate dreissig mal mehr Waffen als der Iran. Saudi-Arabien wurde zum grössten Waffenkäufer der Welt und kauft vorwiegend in den USA ein. Dazu braucht Saudi-Arabien aber Einnahmen doch der tiefe Ölpreis verursacht mittlerweile finanzielle Probleme.9
Beide wirtschaftlichen Interessen sind Teil der u.s.-amerikanischen Mittelostpolitik überhaupt, welche seit dem Kalten Krieg unter dem Begriff "Containment Doctrine" läuft. "Die ursprüngliche Eindämmungs-Doktrin hat im Mittleren Osten auch nach dem Wegfall der Sowjetunion auf wundersame Weise überlebt", schreiben die Autoren Stephen Hubbel und Michael Klare in ihrer Analyse der U.S.-Mittelost-Politik.10 Die Hauptpfeiler Gleichgewicht der regionalen Kräfte sowie Allianz mit Israel sind dieselben geblieben. Nun sind aber wirtschaftliche und hegemoniale Interessen an die Stelle der Eindämmung der sozialistischen Gefahr getreten. Heute muss das Gleichgewicht der Mächte in der Region gehalten werden, um zu vermeiden, dass eine regionale Macht den Hauptzugriff auf das Erdöl alleine hat.11
Diese Politik wirkte sich insbesondere gegenüber Iran und Irak aus: Die sogenannte "Dual Containment"-Doktrin wurde 1993, zwei Jahre nach dem alliierten Sieg im Golf, eingeführt, um zu vermeiden, dass einer dieser Staaten zu stark wird. "Indem die Administration von Präsident Bush entschied, die beiden Staaten zu isolieren, liess man sich auf ein ambitiöses Programm zur verstärkten militärischen und politischen US-Präsenz in der Region ein."12
Die Verteidigung u.s.-amerikanischer Interessen im Golf erweist sich für die u.s.-amerikanischen Militärs als sehr nützlich zur Legitimation einer Verstärkung der Armee und für die Erhöhung des Verteidigungsbudgets: Die Zahl der u.s.-amerikanischen Truppen in der Region stieg bis Herbst 1998 auf über 20 000 an, die U.S.-SteuerzahlerInnen zahlen jährlich 50 Mia Dollar, um sie zu unterhalten und auszurüsten.13
Parallel zur Weiterführung der Containment-Doktrin entwickelte General Colin Powell die sogenannte "rogue doctrine": Die Bedrohung der westlichen Welt durch sogenannte "Schurken-Staaten" (rogue states), also Staaten, die politisch instabil und den USA nicht gerade freundlich gesinnt sind, jedoch potentiell über Massenvernichtungswaffen verfügen. "Die verschwundene sowjetische Gefahr sollte [...] durch regionale Begegnungen mit aufsteigenden Dritte- Welt-Mächten ersetzt werden."14
Angesichts dieser Interessenlage sind die Beteuerungen Washingtons, es gehe um die Abrüstung im Irak und um die Eindämmung der Gefahr durch Saddam Hussein, reine Propaganda. Die USA behaupten auch, dass sie nur den Bestimmungen der UN-Resolutionen zu Recht verholfen hätten. Die rechtliche Basis für die Bombardierungen im Irak war jedoch nicht gegeben, der UN-Sicherheitsrat hätte angefragt werden müssen. Zumindest den Abrüstungsbemühungen für den Irak haben die USA einen Bärendienst erwiesen. Eine Zusammenarbeit mit der UNSCOM wird nun wohl nicht mehr möglich sein.
Um das Problem der Massenvernichtungswaffen im Mittleren Osten anzugehen, bräuchte es nun ein Konzept für die ganze Region; es darf nicht weiterhin nur im Irak alleine eine Gefahr gesehen werden die anderen Staaten der Region besitzen genauso das Potential zur Herstellung von B- und C-Waffen, Israel verfügt bereits über Atombomben. Die UNO könnte hier eine wesentliche Rolle spielen, indem sie eine A-B-C-Abrüstungskonferenz für die Region organisiert. Doch muss sie sich wohl zuerst von der Demütigung erholen, die ihr die USA mit der faktischen Entmachtung im Dezember 1998 bereitete.
1 Den USA ging die ursprüngliche Fassung des UNSCOM-Berichtes zu wenig weit, ältere Texte sprechen davon, dass das irakische Potentioal an Massenvernichtungswaffen zerstört sei. Deshalb wurde die neuen Berichte auf Drängen der USA nachträglich verändert. Die Geschichte um die u.s.-amerikanische Einflussnahme auf die Berichte sowie um die Einseitigkeit des UNSCOM-Leiters Butler ist nachzulesen bei Alain Gresh: "Krieg ohne Ende...", in "Le monde diplomatique" - Deutsche Ausgabe vom 18. Januar 1999. 2 Zu Interventionen ohne Genehmigung des UNO-Sicherheitsrats vergleiche den Text von Andreas Buro und Clemens Ronnefeld, S. 8ff. 3 Zu den Auswirkungen der Sanktionen vergl. die Rede von Denis Halliday, in: WoZ, Nr. 52/53, vom 24.12.1998 sowie den Text desselben Autors in : Le monde diplomatique, v. 18. Januar 1999. Denis Halliday war Koordinator für das humanitäre Programm der Vereinten Nationen im Irak; er trat aus Protest gegen die Sanktionen zurück. An dieser Stelle soll betont werden, dass jeden Monat bis zu 8000 Menschen im Irak an den Folgen der Sanktionen sterben, insbesondere Kinder. 4 "Die grossen Erfolge der Unscom können jetzt keine Früchte tragen". Basler Zeitung, 18. Dezember 1998. 5 NZZ, 7.7.95, zit in: Clemens Ronnefeld: "Neue Runde im Machtkampf am Golf - Hintergründe der jüngsten Golfkrise". In: Graswurzelrevolution 234, Dezember 1998. 6 Die bekannten Ölreserven des Irak betragen 113 Mia. Barrels, weitere Vorkommen von rund 215 Mia. Barrels werden vermutet (1 Barrel entspricht 159 Litern). Birgit Cerha: "Das billige Öl schmiert die neuste Krise". Der Bund, 17.12.1998, und FAS: "Confrontation with Iraq", 8. November 1998. 7 Im Februar 1998 hatte Saddam Hussein durchgesetzt, dass der Irak Erdöl für 5,2 Mia. Dollar ausführen könne statt der bisherigen 2,14 Milliarden. 8 Birgit Cerha, ebenda. 9 "Mit jedem Dollar, um den der Olpreis sinkt, verliert Saudiarabien nun 2,6 Milliarden Dollar an Einkünften. Heuer (1998, Anm. mr) dürften die Ölerträge [...] rund 15 Mia. niedriger ausfallen als 1997. Einem der reichsten Staaten der Welt wird deshalb keine Wahl bleiben, als im Ausland Geld zu borgen." Birgit Cerha, ebenda. 10 Stephen Hubbel: "The Containment Myth" und Michael Klare "Rise and Faoll of the Rogue Doctrine" beide in: Middle East Report, Nr. 208, Herbst 1998. Für an der US-Politik gegenüber der arabischen Welt Interessierte empfiehlt sich die ganze Nummer dieses Middle East Report unter dem Titel" US Foreing Policy in the Middle East". 11 Die Containment-Doctrine sollte während dem Kalten Krieg verhindern, dass sich sozialistische Systeme ausbreiten. Mit ihr wurden diverse Interventionen der USA weltweit legitimiert, von Vietnam bis Chile. Im Nahen und Mittleren Osten schufen die USA einen Allianzbogen (mit Israel, Türkei, dem Shah-Regime und Haile Sellassies Äthiopien). 12 Stephen Hubbel, S. 9. 13 Hubbel, ebenda. 14 Weitere "rogue states" sind neben Irak: Nordkorea, Iran und Libyen. Siehe dazu: Michael Klare, Middle East Report, S. 12ff.
23. Sept. 1980 |
Beginn des 1. Golfkrieges nach dem Einmarsch irakischer Truppen in den Iran. |
2. August 1990 |
Einmarsch irakischer Truppen in Kuwait. |
29. Nov. 1990 |
Die UNO setzt eine Frist bis zum 15. Jan. 1991, bis zu welcher sich der Irak aus Kuwait zurückgezogen haben muss. |
16. Januar 1991 |
Einen Tag nach Ablauf der Frist greifen die alliierten Truppen den Irak an (2. Golfkrieg unter dem Namen "Desert Storm"). |
28. Februar 1991 |
Der Iran akzeptiert die Bedingungen für einen Waffenstillstand. |
1. März 1991 |
Beginn der Aufstände gegen das Regime in Bagdad im shiitischen Süden und im kurdischen Norden. |
3. März 1991 |
Der Irak anerkennt die Resolution 686 des UN-Sicherheitsrats. |
16. April 1991 |
Einrichtung der Sperrzone für irakische Militäraktionen im kurdischen Gebiet des Irak nördlich des 36. Breitengrades. |
15. Mai 1991 |
Die UNO beginnt mit der Inspektion und Überwachung des irakischen Rüstungssystems. |
20. Mai 1991 |
Präsident Bush erklärt, die USA hielten das Embargo gegenüber Irak solange aufrecht, wie Saddam Hussein an der Macht sei. |
2. August 1991 |
Die FAO legt einen Bericht vor, in dem sie vor einer Hungersnot im Irak als Folge des UN-Wirtschaftsembargos warnt. |
26. August 1992 |
Als Reaktion auf die irakischen Agressionen gegen die shiitische Bevölkerung richten die Alliierten die südliche Flugverbotszone im Irak ein (südlich des 32. Breitengrades). |
13. Januar 1993 |
Kampflugzeuge der USA, Grossbritanniens und Frankreichs attackieren irakische Militärstellungen, um die Einhaltung der UN-Resolutionen zu erzwingen. |
17. Januar 1993 |
Weitere militärische Operation gegen den Irak mit Cruise Missiles. |
8. Oktober 1994 |
Der Irak mobilisiert tausende von Soldaten im Süden des Landes Richtung Kuwait, um die Aufhebung der UN-Sanktionen zu erzwingen. Die USA entsenden eigene Streitkräfte nach Kuwait. |
10. Nov. 1994 |
Der Irak anerkennt vor der UNO die Souveränität Kuwaits. |
August 1996 |
Der Irak sendet Truppen in die Kurdenregionen im Norden, die USA antworten mit Raketenangriffen auf Verteidigungsstellungen im Irak. |
August 1997 |
Der Irak verweigert drei amerikanischen UN-Inspektoren die Einreise ins Land, zehn Tage später werden sechs Inspektoren ausgewiesen, die UNO zieht das ganze Team ab. Nach einem Truppenaufzug der USA in der Region erlaubt der Irak die Rückkehr der Inspektoren. |
Februar 1998 |
Neue Konfrontationen mit Irak, v.a. wegen der Besichtigung der Präsidentenpaläste; nach einem Aufschub seines Besuches wegen u.s.-amerik. Widerstand geht UN-Generalsekretär Kofi Annan dennoch nach Bagdad und erzielt ein Abkommen. |
7. August 98 |
Bombenattentate auf u.s.-amerikanische Botschaften in Tansania und Kenia. |
20. August 98 |
U.S.-amerikanische Bombenangriffe auf Sudan und Afghanistan. |
14. Nov. 1998 |
Fast-Angriff auf Irak, aufgrund von neuen Zusagen Bagdads in letzter Minute abgeblasen. |
15. Dez. 1998 |
Chefinspektor Butler ordnet an, dass die UNSCOM-Waffeninspektoren aus dem Irak zurückgezogen werden sollen. |
16. Dez. 1998 |
Der UN-Sicherheitsrat berät den Butler-Bericht. |
17. Dezember |
Angriffe der USA und Grossbritanniens unter dem Namen "Desert Fox" (Wüstenfuchs). |
19. Dez. 1998 |
offizielles Ende der Operation Wüstenfuchs. |
6. Januar 1999 |
U.S. Flugzeuge boombardieren irakische Stellungen in den südlichen Flugverbotszonen. |
Quellen: Washington Post, inamo Beiträge 1/95
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