Asylunrecht

Dem Menschenrecht, in einem Land Schutz vor Verfolgung, Folter und Tod zu finden, steht immer mehr das Interesse der Nationalstaaten entgegen, die Zahl der EinwandererInnen zu beschränken – oder wie es von rechts heisst: die einheimische Bevölkerung vor Einwanderungswellen, ja Überfremdung zu schützen. Die Schweiz geht bei der Aushöhlung dieses Menschenrechts ‘mutig’ voran.

Von Manuela Reimann*

Während bei den Feierlichkeiten zu "150 Jahre Bundesstaat Schweiz" immer wieder die humanitäre Tradition dieses Landes lobend in den Vordergrund gestellt wird, verschärfte die "moderne und liberale Schweiz" gleichzeitig das Asylrecht um ein weiteres Mal. Mit der Einführung der "Dringenden Massnahmen im Asyl- und Ausländerbereich" wird zugleich Notrecht durchgesetzt. Um wessen Not geht es denn eigentlich? Um wessen Schutz? Vor wem? Das Schweizer Asylrecht enthält immer mehr Hürden auf dem Weg zum Asyl – und mit den Gesetzesrevisionen von 1990 und 1997 werden diese Hindernisse vermehrt gleich am Einganz zum Asylverfahren aufgetürmt. Das an sich sinnvolle Schweizerische Asylrecht verkommt immer mehr zu einem eigentlichen Asylunrecht.

Recht auf Asyl: kein Verfassungsrecht

Strenggenommen gibt es kein Menschenrecht auf: Artikel Nr. 14 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung (siehe S. 14) garantiert zwar das Recht Asyl zu suchen und zu geniessen, nicht aber Asyl zu erhalten! Es handelt sich bei diesem Paragraphen also um ein Recht des Staates, Asyl zu gewähren, ohne damit einen feindlichen Akt gegen den Verfolgerstaat zu begehen.1 Dass dies von Verfolgerstaaten immer wieder missachtet wird, zeigt etwa die aktuelle Reaktion der Türkei gegenüber Italien, das sich einer Auslieferung des KurdInnenführers Öcalan widersetzt.

Das internationale "Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" von 1951 hält die Definition von Flüchtlingen sehr eng2, so dass verschiedene Flüchtlingsgruppen nicht erfasst und mit diesem Argument vom Asylstatus ausgeschlossen werden.3

Die Schweizerische Bundesverfassung kennt keinen eigentlichen Asylrechts-Artikel4, im Gegensatz z.B. zum deutschen Grundgesetz.

Flüchtling ist nicht gleich Flüchtling

Das erst 1979 geschaffene Schweizerische Asylgesetz garantiert zwar die Asylgewährung: "Die Schweiz gewährt Flüchtlingen auf Gesuch hin nach diesem Gesetz Asyl"5. Doch geniessen dieses Recht eben nur jene Flüchtlinge, welche die Flüchtlingseigenschaft gemäss der Flüchtlingskonvention erfüllen. Der Nachweis dafür ist sehr schwierig geworden. Zudem wurden immer neue Voraussetzungen ins Asylrecht eingeführt, mit denen ein ordentliches Asylverfahren inklusive einlässlicher Befragungen umgangen werden kann.

Immer mehr Flüchtlinge sollen in der Schweiz also gar nicht erst zu einem Verfahren zugelassen werden – aus Spargründen, wie es oft heisst. Zu den Strategien im neuen Asylgesetz gehört die Zuteilung von Flüchtlingen in eine Sondergruppe von "Schutzbedürftigen", die damit vom Asylverfahren ausgeschlossen werden. Die Asylkoordination Schweiz kritisiert: "Mit der Schutzgewährung werden all jenen, die die Flüchtlingseigenschaft eigentlich erfüllen würden, die Vorteile des Asyls vorenthalten. Das ist umso prekärer, als der neue Status mit beschränkten Lebensverhältnissen verbunden ist."6 Denn der Status als "Schutzbedürftige" kommt demjenigen von Asylsuchenden – und nicht von anerkannten Flüchtlingen – gleich. Das heisst: Wohnen in Zentren, kein Recht auf soziale und therapeutische Hilfe, beschränkter Anspruch auf Unterstüzung und Arbeit – diese Flüchtlinge sollen ja so rasch als möglich wieder ausreisen und möglichst wenig Kosten verursachen… Die Betroffenen müssen zudem stets damit rechnen, dass ein neuer Bundesratsbeschluss ihr Bleiberecht wieder aufhebt. "Asyl wird zum Provisorium – mit dem Zwang zur Rückkehr", schreibt Angeline Fankhauser im Widerspruch7.

Eine weitere Gruppe, die seit jeher asylrechtlich benachteiligt wird, sind Frauen, die wegen frauenspezifischer Fluchtgründe hierher kommen: Denn diese Fluchtgründe werden im neuen Asylgesetz immer noch nicht als eigenständige Asylgründe anerkannt8.

Kein Asylrecht für Papierlose

Eine seit längerem verfolgte Strategie, um Flüchtlinge gar nicht erst als solche ins Verfahren zu lassen, ist das sogenannte Nichteintretensverfahren. Die bisherigen Nichteintretensgründe (zweimaliges Stellen eines Gesuches, falsche Angaben und Einreise aus einem sogenannt sicheren Land) wurden mit dem dringlichen Bundesbeschluss erweitert, so dass noch mehr Flüchtlinge in der Schweiz gar nicht ins Asylverfahren aufgenommen werden: In Anlehnung an die SVP-Initiative gegen die "Illegale Einwanderung", welche in den Medien und von der SVP mit "Wirtschaftsflüchtlingen" oder gar "Kriminellen" gleichgesetzt werden, soll nun auf die Gesuche von papierlosen Flüchtlingen nicht mehr eingetreten werden – so verlangte es der Ständrat im Dezember 1997, so setzt es der Bundesrat leicht entschärft mit den Dringlichen Massnahmen um, welche auf den 1. Juli 1998 in Kraft getreten sind. Stark eingeschränkt wird zudem das Recht von "illegal" anwesenden AusländerInnen, nachträglich ein Asylgesuch zu stellen.

Das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR sah sich anfangs dieses Jahres genötigt, bei Professor Walter Kälin ein Gutachten in Auftrag zu geben, welches die dringlichen Massnahmen auf ihre Menschenrechtskonformität hin überprüfte: Kälin bestätigte insbesondere das Nichteintreten bei illegalem Aufenthalt als völkerrechtswidrig und erklärte die Bestimmung für Papierlose in seinem Gutachten als höchst bedenklich.9

Nicht einfach loszuwerden

Flüchtlinge, die als solche nicht anerkannt werden und somit kein Asyl erhalten, können aber nicht einfach ausgeschafft werden – sehr zum Leidwesen der rechts-populistischen Parteien, die bespielsweise gleich sämtliche über die Grüne Grenze Eingereisten ausschaffen lassen wollten.

Die Schweiz hat internationale Abkommen unterzeichnet, die sie dazu verpflichten, allfällige Wegweisungshindernisse zu überprüfen.10 Ein Asylentscheid besteht deshalb immer aus zwei Entscheiden: Erstens, ob die Flüchtlingseigenschaft erfüllt ist, und zweitens, ob ein Wegweisungshindernis besteht.

Der in der Flüchtlingskonvention und in der EMRK deklarierte Schutz vor unmenschlicher Rückschiebung bestimmt klar, dass Menschen nicht in Länder zurückgeschoben werden dürfen, wo ihnen "Gefahr an Leib und Leben" (Flüchtlingskonvention) oder "unmenschliche Behandlung" (EMRK) droht: Das sogenannte non-refoulement-Gebot.

Das schweizerische Asylgesetz wurde seit seiner Einführung unter dem Druck zunehmend fremdenfeindlicher Tendenzen und drohender neuer SVP-Initiativen nach und nach ausgehöhlt und immer mehr zu einem eigentlichen "Gesetz für den Ausschluss von Flüchtlingen"11. Dessen neueste Version und insbesondere die als Überraschungscoup eingeführten "Dringenden Massnahmen im Ausländer- und Asylbereich" gehen dabei erneut juristisch bis an die Grenze der Menschenrechtsverträglichkeit, ja sogar darüber hinaus. Justizminister Kollers Aussage "Wir wollen ein völkerrechtskonformes Asylgesetz" (und das lasse sich sicher machen), zeigt auf, wie es der Rechtsprofessor unter den Bundesräten versteht, mit formaljuristischen Tricks völkerrechtlichen Schranken auszuweichen. Wie wenn er eine andere Wahl haben wollte…

Die im Zusammenhang mit den Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht12 erfolgten Klagen an das Bundesgericht und dessen diverse Urteile13, machen die Missachtung von Menschenrechten in der Schweiz in der Praxis mit AusländerInnen nur allzu deutlich. Das Saisonnier-Statut verweigert seit Jahrzehnten den Betroffenen das Menschenrecht auf Familie. Menschlich gesehen werden die Menschenrechte der MigrantInnen in der Schweiz längst nicht mehr eingehalten: Wenn beispielsweise seit der Einführung der Zwangsmassnahmen Personen, die kein nachweisbares ‘Verbrechen’ verübt haben, für längere Zeit ins Gefängnis wandern. Wenn Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe auf der Strasse von PolizistInnen angehalten und untersucht werden können.14 "Der Kampf um die Rechte der MigrantInnen", schreibt die Bewegung für eine offene und demokratische Schweiz (BODS), "ist immer auch ein Kampf um eine den Menschenrechten verpflichtete Rechtsstaatlichkeit, in welcher die Exekutiven demokratisch eingebunden und zu Transparenz und Rechenschaft verpflichtet sind."15

1 Kälin, Walter. Grundriss des Asylverfahrens. Basel: Helbing und Liechtenhahn, 1990. S. 1
2 Die Flüchtlingskonvention wird so ausgelegt, dass nur jene Menschen die Flüchtlingseigenschaft erfüllen, die einer gezielten staatlichen Verfolgung ausgesetzt sind. Menschen, die vor allgemeiner, nicht gegen sie persönlich gerichteter Gewalt fliehen, erfüllen diese Flüchtlingseigenschaft nicht.
3 Dies heisst allerdings nicht, dass sie somit ausschaffbar sind. Siehe dazu das non-refoulement-Verbot weiter unten.
4 Es ist direkt bezeichnend, dass sich der einzige Vermerk in der BV zum Stichwort Asyl (Kompetenzen des Bundes gegenüber den Kantonen bezüglich Einreise und Aufenthalt von Ausländern) auf die Verweigerung des Asyls bezieht. Siehe Bundesverfassung, Art. 68ter 126.
5 Art. 2 des Asylgesetzes vom 5. Oktober 1979
6 AKS- Infos 4/98. S. 2
7 Angeline Fankhauser. Verweigert die Schweiz das Recht auf Asyl? in: Widerspruch 35. 1998
8 Frauenspezifische Fluchtgründe werden nur berücksichtigt, wenn andere Verfolgungsgründe Bestehen. Vergl. hierzu den Artikel von Dorothee Wilhelm, S. 16.
9 Walter Kälin. Nichteintreten auf Asylgesuche bei fehlenden Ausweispapieren oder illegalem Aufenthalt. In: Asyl: Schweiz. Zeitschrift für Asylrecht und Praxis Nr. 2/98. S. 23 ff.
10 Das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, die Europäische Menschenrechtskonvention sowie die Folterkonvention.
11 Yves Brutsch in: "Bericht über den Stand der aktuellen Asylgesetz-Debatte". AKS-Infos 1/98, Seite 3.
12 Zur Erinnerung: Die Zwangsmassnahmen erlauben es, AusländerInnen, welche unter Verdacht stehen, gegen das Betäubungsmittelgesetz verstossen zu haben, bis zu 12 Monate in Administrativhaft zu nehmen.
13 Das Bundesgericht musste nicht nur schwere Verfahrensfehler und Inhaftierungen ohne zureichenden Haftgrund rügen: Wiederholt beanstandeten die Bundesrichter menschenrechts- und gesetzeswidrige Bedingungen in den kantonalen Haftanstalten, weil die Haftbedingungen den Minimalstandards der EMRK nicht genügten.
14 Die Menschenrechtsgruppe "augenauf" dokumentiert solche Menschenrechtsverletzungen durch Behörden, Polizei und andere. Informationen hierzu und das augenauf-Bulletin sind erhältlich bei: Gruppe augenauf, Postfach, 8026 Zürich. Tel 01 241 11 77.
15 Anni Lanz: "Auch MigrantInnen haben Rechte", in: MoMa, 10/98.
*Manuela Reimann ist FriZ-Redaktorin

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