Acht Mädchen in rot-blau karierten T-Shirts präsentieren ihre Pyramiden-Nummer im Zirkuszelt im Kinderdorf. Das Publikum applaudiert begeistert. Doch plötzlich herrscht Verwirrung unter den Artistinnen. Wie wird nun die nächste Pyramide aufgebaut? Mirjana liegt auf den Boden und winkt Tanja zu sich herüber. Diese schüttelt energisch den Kopf und versucht den anderen klarzumachen, dass zuerst eine andere Nummer drankäme. Die Diskussion in der Manege wird immer hitziger. Schliesslich greift eine Übersetzerin ein und vermittelt. Die Pyramide gelingt endlich, der Applaus ist um so heftiger.
Dies war die einzige Szene im andert-halbstündigen Programm, wo die drei verschiedenen Sprachen die Verständigung behinderten. Der westschweizer Messerwerfer wurde von einem deutschsprachigen Jungen assistiert, die Fakire sind serbisch, kroatisch, schweizerisch gemischt, es gibt auch nicht nur einen Zirkusdirektor, sondern drei für jede Sprache einen.
Das Friedenszentrum in Osijek versucht, den Dialog zwischen den verschiedenen Ethnien im Gebiet von Ostslawonien wieder in Gang zu bringen. Bestrebungen, die zumindest kritisch von der kroatischen Regierung beobachtet werden, wenn sich auch die Situation in den letzten Jahren gebessert hat. Offene Feindseligkeiten sind seltener geworden, KroatInnen und SerbInnen leben aber mehr neben- als miteinander.
Die Idee, vor Ort ein gemischtes Lager für Kinder durchzuführen, musste wegen Widerständen von Behörden und Teilen der Bevölkerung wieder fallengelassen werden. In Zusammenarbeit mit der Parnerorganisation von Osijek, "Gemeinden Gemeinsam" Vaud, und dem Kinderdorf Pestalozzi wurde deshalb das Projekt in der Schweiz durchgeführt. Mit-eingeladen wurden in der Folge auch Kinder aus der Deutsch- und Westschweiz.
Am Morgen arbeiteten die Kinder jeweils in gemischten Gruppen an einer Zirkusnummer: Fakire, Clowns, Jongleure, Kraftmenschen, Akrobatik, eine "Back-stage"-Gruppe... "Zirkus" anerbot sich als Thema, weil dabei weitgehend ohne Sprache gearbeitet werden kann und gegenseitige Unterstützung unabdingbar ist. Fachlich begleitet wurden die Workshops von drei AnimatorInnen mit langjähriger Zirkuserfahrung. Die Nachmittage waren für gemeinsame Ausflüge, Sport und andere Animationen reserviert.
Untergebracht waren die Kinder in drei Häusern im Kinderdorf getrennt nach Mädchen/Knaben, nicht nach Sprache oder Ethnie. So entstanden auch im Alltag zahlreiche Begegnungen. Haushaltungeübte Knaben meisterten gemeinsam den Abwasch, Mädchen tauschten ihre Lieblings-CDs aus.
Dass damit ein Rahmen geschaffen werden konnte, in dem nicht mehr nach "Ethnien" gefragt wird, bestätigt Zehra Delic vom Friedenszentrum. "Nicht, dass es zu keinen Konflikten unter den Kindern gekommen wäre, diese hatten ihre Ursachen aber in alltäglichen Meinungsverschiedenheiten und waren nicht in der unterschiedlichen Herkunft begründet."
Den Erwachsenen fiel es wesentlich schwerer, den politischen Hintergrund des Projektes zu vergessen. Wie sensibel Fragen rund um Ethnie heute noch sind, zeigte sich selbst bei der TeilnehmerIn-nenliste, wo die Sprachkenntnisse der verschiedenen Leiterinnen vermerkt waren. "D" für Deutsch, "F" für Französisch doch welcher Buchstabe steht für die Sprache der KroatInnen und SerbIn-nen? Das von den Schweizer Organi-satorInnen vorgeschlagene "S" für "Slawisch" führte bei einigen KroatInnen zu grossem Ärger. Konsensfähig war einzig ein "N" für "nasa jasik" d.h. "unsere Sprache".
Zu hitzigen Diskussionen führte auch das geplante Seminar am Rande der Projektwoche, zu welchem weitere VertreterIn-nen von Gemeinden gemeinsam eingeladen waren. Auf keinen Fall sollte es dabei zur Verabschiedung einer versöhnlichen Resolution kommen die Heimat hört womöglich mit.
In der praktischen Arbeit mit den Kindern war von diesen Konflikten zum Glück nichts zu spüren. Hier stand das Ziel, ein grenzüberschreitendes Erlebnis zu ermöglichen, klar im Vordergrund.
Ob die geknüpften Freundschaften Bestand haben, wird die Zeit zeigen. Zu hoffen bleibt, dass das Projekt nächstes Jahr eine Fortsetzung finden kann nach Möglichkeit in Osijek.
Im Kinderdorf Pestalozzi werden seit über 50 Jahren Kinder und Jugendliche aus den verschiedensten Ländern in Wohngemeinschaften betreut. Zusätzlich nehmen jedes Jahr über 1000 Kinder an Begegnungs- und Kulturprogrammen im Kinderdorf teil.
"Gemeinden Gemeinsam" vermittelt Partnerschaften zwischen Gemeinden in der Schweiz und im ehemaligen Jugoslawien. Diese Partnerschaften wollen das multikulturelle Zusammenleben fördern, die lokalen Demokratien stärken und direkte Nothilfe leisten. Heute sind ca. 150 Schweizer Gemeinden in 15 Regionalgruppen organisiert.
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