Forum-1 aus Nr. 5/98

Zeichnende Ex-Köchin im Dienst anderer

Wer im Migrationsbereich oder frauenpolitisch engagiert ist, kommt um sie nicht herum - die meisten kennen sie, FriZ-LeserInnen als regelmässige Kolumnistin und Autorin. Doch wer wusste, dass Anni Lanz eine an der Kunstgewerbeschule ausgebildete Zeichenlehrerin ist, das Wirtepatent besitzt und während 17 Jahren hinter selbstverwalteten Kochtöpfen stand?

Ein mindestens drei Meter langes Papier quillt zum Faxgerät heraus; Dossiers, Akten und Einzelblätter scheinen zufällig herumzuliegen, doch liegt jedes Papier auf einem thematischen Stapel, hat seinen Platz. Viel Kampagnematerial ist zu sehen, Bücher zu allen möglichen Themen überfüllen die Regale, in einer Ecke stehen farbenfrohe Transparente von Demos, an welchen sie nicht nur teilgenommen hat, sondern die sie von Anfang an mitgestaltete. Auf einem Bücherbrett liegen einige Pinsel, Farb-tuben und -töpfe herum. Das Büro der Bewegung für eine offene und demokra- tische Schweiz BODS spiegelt die vielfältigen Interessen von Anni Lanz wider, welche unwidersprochen als Workaholic bezeichnet werden darf.

Anni Lanz, die Frau mit dem bunten Lebenslauf, wirkt heute eher bleich, müde. Anni hat gerade wieder eine anstrengende Aktion hinter sich – die Unterschriftensammlung für die Referenden gegen die Asylgesetzrevision und die Dringlichen Massnahmen. "Ich bin momentan völlig erschöpft. Beim Sammeln habe ich unglaublich viel Feindseligkeit und Unverständnis erlebt. Das ist schon ernüchternd." Ihr Engagement bringt sie nicht nur mit der harten Realität schweizerischer Fremdenfeindlichkeit in Berührung. Gerade auch die Schicksale der Flüchtlinge, die sie durch die persönlichen Kontakte intensiver mitbekommt als andere, gehen an die Substanz. "Die Geschichten der Frauen gingen mir ziemlich nahe."

Annis Lebenslauf stellt sich auf den ersten Blick als eine farbige Mischung von Jobs und ehrenamtlichen Betätigungen dar. Nach der Ausbildung zur Zeichnerin an der Kunstgewerbeschule Basel studierte sie Soziologie an den Universitäten Basel und Zürich und interessierte sich vor allem für die Entwicklungssoziologie. "Mit der Beteiligung an der StudentInnenpolitik, wurde ich politisiert. Ich musste aber schon damals das Theoretische von der Uni mit etwas Praktischem verbinden." Also begann sie in einem Dritt-Welt-Laden zu arbeiten. "Nebst der Nord-Süd-Thematik interessierte mich damals auch die Genossenschaftsarbeit," erzählt Anni weiter. So gehörte sie zu dem MitbegründerInnen der Beizengenossenschaft Hirschenegg in Basel. Gleich nach dem Studium machte sie das Wirtepatent. Von da an stand sie viel hinter Kochtöpfen und Geschirrbergen, doch hatte sie sich keineswegs aus der politischen Arbeit zurückgezogen. Im Gegenteil. Nebst ihrer achtzehnjährigen Arbeit in selbstverwalteten Beizen – im Hirschenegg, danach in der Kulturwerkstatt Kaserne, in der Stadtgärtnerei und in einer Kantine der Kunstgewerbeschule – betätigte sich Anni frauen- und migrationspolitisch. Im Hirsch-enegg hat sie begonnen, sich mit Frauenpolitik auseinanderzusetzen: Sie war dabei, als die Baslerinnen ein Frauenzentrum forderten und einen "Wyberrat" gründeten. Auch heute noch ist sie beim Frauenrat für Aussenpolitik aktiv. Anni arbeitete ehrenamtlich in einer Beratungsstelle für türkische und kurdische Frauen und koordinierte die Vorbereitungen der NGO für die Pekinger Frauenkonferenz. "Am Anfang meiner asylpolitischen Freiwilligenarbeit war diese noch stark von der Frauenpolitik getrennt. Ich habe für mich versucht, die beiden Themen zusammenzubringen; erst durch die Kontakte zu Migrantinnen gelang mir dies." Diese persönlichen Kontakte intensivierten den Wunsch, mehr Zeit für die politische Arbeit zu haben. "Früher musste ich immer wieder an die Kochtöpfe zurück. Jetzt bin ich privilegiert, habe viel Zeit für das, was mir am wichtigsten ist. Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht: Recherchieren, mit Menschen umgehen und kreativ sein." Zuvorderst steht aber das politische Engagement im Interesse anderer Menschen, welches Anni jedoch eher als selbstverständlichen Lebensinhalt ansieht, denn als Arbeit. Und damit ist klar, dass Anni eigentlich immer ’arbeitet’: "Ich habe kein Privatleben. Am Wochenende habe ich endlich Zeit, mich in Ruhe mit den ‘Einzelfällen’ zu beschäftigen, mit den Dossiers von Flüchtlingen, denen irgendwie geholfen werden muss. Ab und zu mache ich Illustrationen für Flugblätter und den BODS-Rundbrief, richtig Zeit zum Malen nehmen konnte ich mir aber schon lange nicht mehr." Sie beklagt sich aber nicht – sie will es selbst so.

Möchte sie manchmal nicht resignieren? Etwas anderes tun? Nicht Anni Lanz. Auch wenn sie meist mit schwarzen Aquarellfarben malt, ist sie keine Schwarzmalerin, glaubt an die Möglichkeit etwas zum Besseren zu wenden. "Ich habe keine Alternative. Ich muss mich für meine Ziele einsetzen. Wenn ich aufhören würde mich zu engagieren, dann würde ich wohl eingehen."

(mr)

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