Die Schweiz im Banne der emsigen Blocker

Die "Unheimlichen Patrioten" — in zwei Teilen Ende der 70er und anfang der 80er Jahre erschienen — waren die erste akribische Untersuchung der reaktionären Rechten in der Schweiz. Unter dem Titel "Rechte Seilschaften" schildern jetzt Jürg Frischknecht und Peter Niggli, zwei der damaligen Autoren, was in den vergangenen 15 Jahren aus den "unheimlichen Patrioten" geworden ist. Nachstehend drucken wir die leicht gekürzte Einleitung ihres Buches ab.

Von Jürg Frischknecht und Peter Niggli*

Die politische Rechte spielt heute in der Schweiz eine neue, dynamische Rolle, welche das traditionelle Bündnis der drei bürgerlichen Regierungsparteien zu zerreissen droht. Die Rechte fühlt sich seit 1989 in Opposition zur "classe politique", dem hergebrachten Machtgefüge, an welchem sie teilhatte und -hat. Sie ist in der Lage, die politische Auseinandersetzung meinungsführend zu beeinflussen und grosse Teile der Bevölkerung zu mobilisieren.

Eine ähnliche Dynamik hatte die politische Rechte in der Schweiz letztmals in der Zwischenkriegszeit entfaltet. Ihre damalige Welt ging 1943 unter, als die "antibolschewistische europäische Neuordnung" der Nationalsozialisten in Stalingrad zerbrach. Nach der totalen Niederlage Deutschlands waren viele Strömungen der politischen Rechten in ganz Europa so diskreditiert, dass für lange Jahrzehnte gemässigt konservative, liberale und sozialdemokratische Kräfte den Gang der Politik bestimmten.

Der Zusammenbruch des Kommunismus 1989 erschütterte dieses Machtgefüge in ganz Westeuropa. Auch die politische Landschaft der Schweiz kam im Sog der osteuropäischen Revolutionen ins Rutschen. Die entsprechenden politischen und wirtschaftlichen Veränderungen sind heute noch im Gang. Welche Statur die politische Rechte hierzulande seit 1989 gewonnen hat, wer ihre Akteure sind, wie sie die Schweiz sehen, wie sie sie verändern oder restaurieren wollen — das sind die Fragen, die unser Buch behandelt.

Vom Anti-Kommunismus zum Feindbild "1968"

Die politische Rechte der neunziger Jahre unterscheidet sich wesentlich von den antikommunistischen und rechtsbürgerlichen Vereinigungen der "goldenen Jahrzehnte" der Nachkriegszeit, die wirtschaftlich 1973 und politisch 1989 zu Ende gingen. Von 1945 bis 1989 regierte die Allianz der bürgerlichen Parteien die Schweiz aus einer Position der Mitte heraus. Erstmals 1943 und dann auf Dauer ab 1959 wurde die Sozialdemokratische Partei (SP) als Vertreterin der zum "Sozialpartner" aufgestiegenen Arbeiterbewegung in die Regierung kooptiert. Seither hat sich die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrats nicht mehr verändert. (…)

Die Gruppen der "unheimlichen Patrioten" unterschieden sich in ihrem Weltbild und ihren Absichten nicht wesentlich vom Parteienkartell, das die Regierungsmacht innehatte. Sie operierten wie Verstärker des heroischen Selbstbildes der Schweiz und zeichneten sich durch einen übersteigerten Antikommunismus aus. (…)

Der Generationenbruch von 1968 setzte das Machtgefüge der Nachkriegszeit erstmals unter Druck. Die "neue Linke", kritisierte die spezifisch schweizerische "Mitte" in politischen Belangen als konservativ und in kultureller und gesellschaftlicher Hinsicht als reaktionär. Die unheimlichen Patrioten erhielten in den 68ern einen neuen, viel bedeutenderen innenpolitischen Gegner als die alte kommunistische Partei. Sie verdankten ihm frische Motivation und neuen Zulauf aus Kreisen, die "1968" als unerhörte Infragestellung ihrer politischen und kulturellen Anschauungen empfanden, und zwar aus den älteren und den jüngeren Generationen.

Gleichzeitig verloren sie allerdings an ideologischem Einfluss. Die Koalition der Mitte, die die Schweiz regierte, konnte sich den gesellschaftlichen Veränderungen im Gefolge von "1968" nicht entziehen. Sie war gezwungen, sich sozusagen etwas nach links in eine "neue Mitte" zu bewegen. Der militante Antikommunismus der unheimlichen Patrioten, der die 68er als reine Machination "Moskaus" begriff, wurde als lästig und dumm empfunden. So sahen sich die unheimlichen Patrioten zusehends in eine sektiererische Ecke gedrängt. Natürlich besassen sie Tausende von Berührungspunkten zu den bürgerlichen Parteien und waren personell eng mit ihnen verflochten — aber die Politik in Bern beeinflussten sie immer weniger. (…)

Die neue Rechte

Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus 1989 ging nicht nur das zentrale Feindbild verloren, welches die bürgerliche Schweiz und die unheimlichen Patrioten zusammengekittet und ihnen Orientierung verliehen hatte. Das Ende des Kommunismus stellte auch den Staatsmythos der auf sich allein gestellten, neutralen und wehrhaften Schweiz in Frage. Ohne Eisernen Vorhang wurden altehrwürdige aussen- und sicherheitspolitische Prämissen hinfällig. Wo das Korsett des Kalten Krieges Sicherheit und Eindeutigkeit vermittelt hatte, klafften nun lauter offene Fragen. Die wichtigste, ob und wie sich die Schweiz in die Europäische Union (EU) integrieren soll, riss alte politische Allianzen auseinander und hinterliess einen innenpolitischen Scherbenhaufen. Zentrale politische Auseinandersetzungen nahmen mehr und mehr die Form von Geschichtsdebatten an, in welchen die Verteidiger des im Weltkrieg geschmiedeten Staatsmythos auf vielfältige, untereinander uneinige Neuerer prallten. Die aussenpolitische Neuausrichtung und Identitätskrise der Schweiz spaltete fast alle politischen Lager, insbesondere aber die bürgerliche Allianz.

Dies war der Boden, auf dem in den neunziger Jahren eine neue politische Rechte die Überreste der unheimlichen Patrioten verdrängte. Die Schweizerische Volkspartei (SVP), seit Jahrzehnten Mitglied der Regierung, fühlte sich neu als "Opposition", ohne den Bundesrat zu verlassen. In diese Richtung drängte sie der Präsident der Zürcher SVP, Christoph Blocher, der Schritt für Schritt die Statur des charismatischen Führers einer oppositionellen Volksbewegung errang. Die SVP denunzierte die bürgerliche Mitte als verkappten Sozialismus und das ganze politische Personal, sich selber ausgenommen, als "orientierungslos" und "verdorben". Zum Kampf gegen eine selbstverliebte "classe politique" appellierte sie an den "gesunden Kern des Volkes", welches in den Grundfragen des Staates "selber zum Rechten sehen" müsse. (…)

In einer Reihe von plebiszitären Auseinandersetzungen gelang es der SVP und der "Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz" (Auns), eine mächtige nationalkonservative Bewegung aufzubauen und den kleineren rechtsradikalen Parteien das Wasser abzugraben. Die nationalkonservative Bewegung verstand es nach 1989, auf drei Feldern die gesellschaftliche Auseinandersetzung zuzuspitzen und ideologisches Terrain bis weit in die Mitte und die Linke hinein zu gewinnen:

• in der Frage der Identität der Schweiz (EG/EU-Beitritt),

• im Kampf gegen die Einwanderungsgesellschaft

• und in der Politisierung der Drogensucht und der Kriminalität, welche die Rechte als verderbliche Auswirkungen der "Kulturrevolution" der 68er versteht.

Wechsel der politischen Generationen

Akzentuiert wurde dies durch den Wechsel der politischen Generationen. Ende der Achtziger Jahre zog sich die Generation, die ihre politische Sozialisation im Krieg und am Anfang des Kalten Kriegs 1948 erlebt hatte, von den Machtpositionen in Politik und Wirtschaft zurück. Die Nachrückenden waren alle irgendwie "68er" — ob es sich nun um ehemalige linksradikale Rebellen, ihre militanten jung-konservativen Gegner, zu welchen Christoph Blocher gehörte, oder das breite Zwischenfeld handelte, welches sich die gesellschaftlichen Veränderungen seit 1968 privat aneignete, ohne sich politisch zu betätigen.

Die Schweiz hatte sich in den zwei Jahrzehnten zwischen 1968 und 1989 ziemlich drastisch gewandelt. Im Grunde genommen verhalfen die 68er, wie in anderen europäischen Ländern, dem anarchischen, individualisierenden Impuls des Kapitalismus zum Durchbruch, was eine ganze Reihe von paternalistischen Bindungen, die die Schweiz besonders geprägt hatten, unterspülte. Die ehedem starken Loyalitäten zum Dorf, zur Region, zur Konfession, zur Firma, zur Zunft und zum Kartell, zur Armee, zu Vorgesetzten, zu Behörden, zur Genossenschaft, zur Familie oder zum "Ernährer" und Ehemann schwächten sich deutlich ab. Was die 68er und ihre Epigonen als Gewinn an Freiheit und Emanzipation erachteten und genossen, empfanden andere, vor allem auch die älteren Generationen, als Verlust an Gemeinschaft, Geborgenheit und Sinn. Das war ein Widerspruch, der die konservative Rebellion der neunziger Jahre nährte.

Ein anderer ergab sich aus den ausserordentlich unterschiedlichen Freiheitsspielräumen, die die verschiedenen gesellschaftlichen Schichten seit dem Bruch von 1968 erringen konnten. (…) Die Nationalkonservativen appellierten erfolgreich an alle weniger Begünstigten, die "hart arbeiten" müssen, nicht "auf der faulen Haut liegen können" und in den Marktanalysen nicht als "Hedonisten" auftauchen. Die wahren Produzenten, so die Botschaft der Nationalkonservativen, werden durch "Selbstverwirklicher" und "Schmarotzer" aller Art ausgebeutet, deren Lebensstil sie durch ihre Steuern berappen müssten.

* Peter Niggli ist freier Journalist und arbeitet seit Juli 1998 als Geschäftsleiter der Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke. Jürg Frischknecht ist freier Journalist und Autor verschiedener Sachbücher und kritischer Wanderbücher.
Peter Niggli, Jürg Frischknecht: Rechte Seilschaften. Wie die ´unheimlichen Patriotenª den Untergang des Kommunismus meisterten. Zürich 1998: WoZ im Rotpunktverlag. 784 Seiten, mit Fotos, Dokumenten und umfassendem Register. Fr. 54.—

Inhaltsübersicht nächster Artikel