Eine Kernaufgabe der PBI-Freiwilligen ist, Mitglieder von Menschenrechts- und anderen zivilen Organisationen zu begleiten. Was für eine Wirkung hat eure Arbeit?
Jürgen Störk: Da wir auf Anfrage tätig werden, gestaltet sich die Arbeit in jedem Projekt unterschiedlich aus. In den meisten Einsatzgebieten ist die Begleitarbeit die Kernaufgabe und sicher die bestbekannte Aktivität von PBI, weil sie ja auch von PBI entwickelt wurde. Es gibt aber auch Projekte, deren Arbeit ganz anders aussieht.
Nun zur Wirkung: Wir betreiben Präventions- und Bildungsarbeit. Bei beidem gibt es keine exakten Erfolgszahlen. Wir werden nie sagen können, wieviele Gewalttaten verhindert worden, wieviele Morde nicht geschehen sind. Niemand kann wissen, was geschehen wäre, wenn wir da oder dort nicht dabei gewesen wären, oder was ein Workshop in den Köpfen der TeilnehmerInnen auszulösen imstande ist. Es gibt nur Langzeiteffekte, Effekte lassen sich nur in einer kontinuierlichen Entwicklung ablesen.
Das Beispiel Guatemala: Da ist PBI schon seit 14 Jahren im Einsatz, seit 1983. Damals stellte PBI das erste Projekt überhaupt auf die Beine, noch ohne genau zu wissen, was denn die Freiwilligen eigentlich genau tun könnten. Im Haus von PBI wurde damals nach der schlimmsten Repressionszeit eine der ersten Menschenrechtsgruppen gegründet, der GAM (Grupo de apoyo mutuo). Erst allmählich entwickelte PBI das heute verbreitete Modell internationaler ziviler KonfliktbegleiterInnen. Schon bald wurde das neue Angebot einer gewaltfreien Dienstleistung von immer mehr Organisationen genutzt. PBI schützte die Führung dieser Organisationen, denn Repression zielt immer auf führende Köpfe aus Organisationen ab. Indem PBI diese schützten, halfen wir den Organisationen bei ihrem eigenen Aufbau, so mussten sie nicht immer im internen Aufbau von Führungskräften an Ort treten, sondern konnten zunehmend nach aussen zu wirken beginnen. Über die Jahre hinweg kann PBI so beim Aufbau und/oder der Reorganisation der Zivilgesellschaft ganz im Hintergrund einen essentiellen Beitrag leisten.
Es gab in Guatemala einen Langzeiteffekt, zu dem die vierzehnjährige
PBI-Arbeit unbestritten etwas beigetragen hat. Die Leute, die wir begleitet
haben, die haben überlebt und sind heute die führenden Köpfe in der zivilen
Opposition von Guatemala. Auf der
persönlichen Ebene ist die Wirksamkeit jedesmal unmittelbar fühlbar, aus dem
einfachen Grund, dass PBI ja nur auf gegenseitiger Freiwilligkeit arbeitet. Wir sind
freiwillig Dienstleistende, und wir arbeiten nur
auf Anfrage. Das heisst, es kommen nur Einsätze zustande, die von beiden
Seiten gewollt sind. Dies garantiert, dass unsere beschränkten Ressourcen wirklich
sinnvoll eingesetzt werden, nämlich da, wo sie tatsächlich gefragt sind. Deshalb
erfährt jedeR BrigadistIn immer wieder und in herzlichster Form ein
Dankeschön von den Betroffenen.
Ihr arbeitet auf Anfrage von verschiedenen Organisationen, seid aber gleichzeitig eine Art Dritt-Partei in einem Konflikt. Anders als traditionelle Solidaritätsgruppen seid ihr nicht integriert in die Organisationen, die ihr begleitet. Gibt es da eine gewisse Distanz oder ist das eine bestimmte Strategie, so vorzugehen?
Jürgen Störk: Bei der Unparteilichkeit oder der Position als dritte Partei gibt es verschiedene Elemente. Zum einen sind es strategische Elemente. Wenn man Partei ergreift in einem Konflikt, in einem Land, das stark polarisiert ist, wird man auf die eine Seite gestellt und von der anderen nicht akzeptiert. Normalerweise führt das in einem Repressionsregime zur Ausweisung. Deshalb garantiert ein Weg in der Mitte, unsere Strategie, mit allen Kontakt zu pflegen, dass wir überhaupt im Land arbeiten können.
Dann gibt es das Element Solidarität. Solidarität ist ein zweischneidiges Schwert, wie ich immer wieder feststellen musste. Wenn Solidarität dazu führt, dass Leute von uns in Organisationen arbeiten und denen die Arbeit machen, dann bleibt diese Organisation abhängig von ausländischen Kräften. Sie kann nicht auf dem eigenen Mist wachsen, sondern es werden immer wieder Inputs von aussen gefordert. Das führt letztlich in eine Abhängigkeit. Deshalb haben wir uns zum Prinzip gemacht, uns nicht einzumischen. Wir sind dafür da, dass die anderen ihre Arbeit in Sicherheit tun können. Aber wir machen die Arbeit nicht. Das ist der grundlegende Unterschied zu Solidaritätsbewegungen.
Unparteilichkeit in Konflikten hat noch eine weitere Dimension. Wenn man bei der gewaltfreien Lösung von Konflikten mitarbeiten will, muss man Kontakte zu beiden Seiten haben, sonst bekommt man eine einseitige Optik des Konflikts und man wird von der Gegenseite gar nicht ernst genommen. Es ist deshalb auch ein funktionales Prinzip, unparteiisch zu sein. Nun heisst das nicht, nichts tun oder für niemanden einstehen. Wir stehen einfach nicht für bestimmte Organisationen ein, sondern eigentlich für Prinzipien, für die Menschenrechte und für soziale Gerechtigkeit. An uns kann gelangen, wer immer sich für diese Ziele einsetzt.
Wenn ihr in Ländern zu tun habt, in denen bewaffnete Befreiungsbewegungen aktiv sind, geht ihr da vollständig auf Distanz oder versucht ihr auch da, die Position der Mitte einzunehmen?
Jürgen Störk: Die Gewaltfrage ist für uns eine Frage des Prinzips. Jeder Mensch muss die Wahl treffen: Entweder wähle ich einen Weg mit Gewalt, um meine Anliegen zu vertreten und unter Umständen meine Position durch Zerstörung des Gegenparts zu verteidigen, oder dann wähle ich einen gewaltfreien Weg, biete Hand zum Dialog für eine gemeinsame Lösung des Problems. Aber eine gewaltfreie Begleitung mit der Pistole im Sack, das geht einfach nicht. Denn wenn die Pistole im Sack ist und Gefahr droht, dann wird man sie benutzen. Das Prinzip der Gewaltfreiheit muss bis zum Ende gehen und kann nicht bloss in der ersten Eskalationsstufe eines Konfliktverlauf beachtet werden.
Wir arbeiten deshalb nicht mit Menschen
zusammen, die Gewalt als eine mögliche Lösung in
Konflikten in Betracht ziehen, geschweige denn, wenn
sie eine Armee haben oder Waffengewalt einsetzen. Neben den
prinzipiellen Überlegungen gibt es natürlich wiederum auch
andere, zum Beispiel strategische Komponenten. In polarisierten Ländern ist
es klar: Wenn die Armee gegen die Guerilla steht,
und wir dann mit Volks
organisationen zusammenarbeiten würden, die verhängt sind mit der
Guerilla, führt das zur Ausweisung. Unter
solchen Bedingungen kann man gar nicht arbeiten. Bei den Anfragen ist es für uns
ein erstes Kriterium, ob die Gruppe gewaltfrei arbeitet. Wenn nicht, wenn sie
verhängt ist mit Paramilitärs oder mit Guerillaorganisationen oder den
Militärs, dann lehnen wir die Arbeit ab. Nun
kann es ab und zu vorkommen, dass trotz klaren Abmachungen Leute aus den
begleiteten Organisationen während der Begleitung Waffen tragen. Dann führt
das zum sofortigen Rückzug der PBI-Freiwilligen, ganz klar.
Viele Organisationen, die PBI begleitet, sind Menschenrechtsorganisationen. Ist PBI selber denn mehr eine Menschenrechts- oder eine Friedensgruppe?
Jürgen Störk: Ich würde PBI eher als
eine Friedensgruppe bezeichnen, aus verschiedenen Gründen. Zunächst ist
Friedensarbeit für mich zweipolig: Das eine ist die Arbeit in den Krisenländern
und das andere ist die Aufklärungsarbeit in den Ländern, wo die Freiwilligen
herkommen. Wesentliche Unterschiede zu
Menschenrechtsgruppen sehe ich darin, dass PBI erstens nur auf Anfrage,
zweitens präventiv und drittens langfristig und direkt vor Ort tätig ist. Die
Tätigkeit von Menschenrechtsorganisationen
mag sicher auch einen vorbeugenden Aspekt haben. Ihre Hauptarbeit besteht
aber darin, zu denunzieren, aufzuklären
über Verbrechen, die bereits geschehen sind und nicht, wie diejenige PBI, vor
Ort mögliche Verbrechen durch das Auftreten von internationalen Augenzeug-
Innen zu verhindern, damit sie eben gar nicht geschehen. Darin sehe ich
einen zentralen Unterschied. Menschenrechtsorganisationen sind für mich
reaktiver. Friedensorganisationen sind proaktiv, dem Konflikt vorgreifend.
Du hast selber über zwei Jahre lang Einsätze in Guatemala und Haiti mitgemacht und bist jetzt im Büro von PBI Schweiz tätig. Heisst das für dich, dass der Ansatz von PBI, die gewaltfreie Intervention in Konflikten, ein Modell für die Zukunft der Friedensarbeit ist?
Jürgen Störk: Ich habe mich jahrelang kritisch auseinandergesetzt mit verschiedenen Ansätzen der Konfliktbearbeitung und habe auch mein Studium darin gemacht. Für mich ist PBI überzeugend. Aus verschiedenen Gründen. PBI ist, soweit ich sehe, die einzige Organisation, die auch intern ernsthaft versucht, auf dem Weg zum Frieden zu sein. Es gibt keine Hierarchie in der PBI. Alle Entscheide werden im Konsens gefällt. Es geschieht nur das, womit alle einverstanden sind. Und wenn eine Stimme sich dagegen erhebt, wird sie gehört und nicht einfach übertönt.
Ein zweites Element ist das Prinzip der gegenseitigen Freiwilligkeit, dass nur das geschieht, was wirklich gewollt ist. Bei PBI gibt es kein vorgängig ausgedachtes Projekt, dass dann in einem Land implementiert wird, wie das häufig bei Entwicklungsprojekten der Fall ist, die irgendwo auswärts ausgeheckt und dann ins Land geschmissen werden, ob die Leute etwas damit anfangen können oder nicht. Ich denke, wir können angemessen auf die wirklichen Bedürfnisse der Leute reagieren. Dann die ganze Auseinandersetzung von BrigadistInnen mit der Kultur des Landes, welche mit einer sehr hohen Sensibilität und gegenseitigem Respekt geschieht. Dieser Ansatz ist für mich zukunftsweisend. Dass wir in Länder gehen, nicht einfach um zu helfen, sondern vor allem mit der Haltung, dass dieses Land uns etwas zu sagen hat, dass wir etwas von den Leuten lernen wollen.
In Haiti ist das zum Beispiel ganz stark der Fall. Das Interesse an gewaltfreier Konfliktlösung ist hier enorm. Deshalb entwickelte sich als zentraler Ansatz des Haiti-Projekts die Aufgabe, einen Einführungs- und Anpassungsprozess an die kulturellen Verhältnisse im Land zu gestalten. PBI bringt Wissen und Know-how, Techniken in gewaltfreier Konfliktlösung ins Land, welche in den USA und Europa, also in den nördlichen industrialisierten Ländern erarbeitet wurden, und passt sie zusammen mit HaitianerInnen an haitianische Verhältnisse an. Das ist ein Prozess, der erst seit einem Jahr läuft und in dem wir eine ganze Menge über die Kultur Haitis lernen. Ich erwarte, dass die Fortschritte und der Einfluss dieses Projekts in kurzer Zeit beachtlich sein werden, weil wir haitianische MultiplikatorInnen ausbilden, also Trainings für TrainerInnen in gewaltfreier Konfliktlösung machen. Damit hoffen wir einen langfristigen Prozess der kulturellen Adaptation von Wissen in Gewaltfreiheit ermöglichen und in Haiti lokal zu verankern.
Was überhaupt nicht zukunftsweisend ist, sind die Finanzen. Es ist so schwierig, dass wir von den Freiwilligen verlangen müssen, dass sie rund einen Viertel des Einsatzes selber zahlen (zirka 5000 Franken). Das geht auf die Dauer nicht. Deshalb setze ich mich auch ganz stark ein für eine bessere Stellung und Bezahlung von Friedensdiensten.
Das PBI-Beispiel ist eines der Argumente, das für die neue Volksinitiative
für einen zivilen Friedensdienst stark hervorgehoben wird. Wie stellst du
dich
und ihr von PBI zum Projekt, euren Ansatz via diese Initiative in der
Schweiz zu verbreitern und zu institutionalisieren?
Jürgen Störk: Dazu kann ich noch keine Position von PBI nennen, weil wir das noch nicht diskutiert haben. Grundsätzlich finde ich dieses Projekt richtig und sehe, dass der Vorschlag weitgehend auf der Linie von PBI-Diensteinsätzen liegt. Der Initiativtext formuliert sicher eine Maximalforderung und wird zurechtgestutzt werden. Gerade auch hinsichtlich des Problems der Finanzierung wird hier jedoch eine Lösung in Aussicht gestellt, welche langfristig dazu dienen kann, dass effektiv Ressourcen umgeleitet werden, eine Weiche zum Frieden gestellt werden kann: von Käufen zerstörerischer Rüstungsgüter und Bunkerverbauungen hin zu konstruktiven, friedensbildenden Massnahmen.
Das Bildungsprogramm, das im Initiativvorschlag enthalten ist, finde ich ebenfalls sehr sinnvoll. Für eine Ausbildung in gewaltfreier Konfliktlösung gibt es meiner Meinung nach auch eine Notwendigkeit in der schweizerischen Bevölkerung.
Besonders interessant finde ich den Ansatz zur Lösung der Frage nach dem Verhältnis zwischen Staat und Zivilgesellschaft. Für mich ist Frieden zweifelsfrei eine Aufgabe der öffentlichen Hand und sollte durch Steuern bezahlt werden können. Ein ziviler Friedensdienst gehört aber ganz klar in die Obhut der Zivilgesellschaft und darf nicht mit der staatlichen Dienstpflicht verbunden werden. Nun geht es darum, dieses Bindeglied zwischen aktueller nationalstaatlicher und zivilgesellschaftlicher Organisation zu finden. Dass eine unabhängige, pluralistisch zusammengesetzte Kommission die Einsatzarten und -bereiche bestimmt, ist sehr interessant. Das hat Zukunftschancen.
Ein wesentliches Element dieser GSoA-Initiative ist auch, dass es nicht darum geht, eine neue riesige Organisation aufzubauen, sondern bestehende Kräfte und Projekte zu stärken. Der Staat beginnt in Sicherheits- und Friedensfragen eine konkrete Zusammenarbeit mit verschiedenen zivilen Nicht-Regierungsorganisationen. Diese Dezentralisierung und Entmonopolisierung werte ich ebenfalls als zukunftsweisend.
*Mit Jürgen Störk sprach Toni Bernet
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