Ein bisschen Frieden ­ ein bisschen Feminismus...

Thema

Von Sibylle Matthis*

Schon 1915, also mitten im ersten Weltkrieg, zur Vorbereitung des Internationalen Frauenfriedenskongresses in Den Haag, warfen Frauen in einer Streitschrift ähnliche Fragen über die Beziehung der damaligen Frauenbewegung zu Frieden und Militarismus auf, wie wir es heute noch tun. Sie wiesen mit aller Deutlichkeit darauf hin, dass Staat, Wirtschaft und Wissenschaft nach militaristischen Prinzipien des «Männerhauses» organisiert seien und der Kult der Männergewalt der Feind des Feminismus und der Frauenemanzipation sei. «Gewalttätigkeit zu Hause, Gewalttätigkeit im Ausland; Gewalttätigkeit zwischen Individuen, zwischen Klassen, zwischen Nationen, zwischen Religionen; Gewalttätigkeit zwischen Mann und Frau: seit dem Anfang des gesellschaftlichen Lebens ist Militarismus ein Fluch und hat mehr als alles andere verhindert, dass die Meinung der Frauen zu öffentlichen Angelegenheiten gehört wurde».

Rund 60 Jahre später brachte die Neue Frauenbewegung die gleichen Fragen wieder aufs Tapet und entlarvte das Patriarchat als institutionalisiertes System männlicher Dominanz. Mit der Fortsetzung der Theoriedebatte in der Frauenbewegung kam in den 80er Jahren die These der Mittäterschaft von Frauen auf (Thürmer-Rohr, 1983), welche die ebensolange Komplizenschaft und Mitverantwortung von Frauen im Patriarchat sichtbar machte.

Etwa zur gleichen Zeit, aber unabhängig davon, entstand die Nachkriegs-Friedensbewegung, die sich mit ihrem Widerstand gegen die Aufrüstung und atomare Bewaffnung, dem Protest gegen den Vietnamkrieg, den Ostermärschen und Ende der 70er Jahre vor allem mit ihrem Widerstand gegen die NATO- Nachrüstung als weitere soziale Bewegung etablierte.

Abgesehen davon, dass bei beiden Bewegungen inhaltlich das Thema Gewalt zentrale Bedeutung hat, haben sie sich aus unterschiedlichen Traditionen und Fragestellungen heraus entwickelt. Trotzdem waren Frauen in der neuen Friedensbewegung der 80er Jahre ­ wie schon in den früheren Friedensbewe-gungen ­ von Anfang an in grosser Zahl aktiv. Ihre Mitwirkung verlief aber gerade vor dem Hintergrund der feministischen Diskussionen nicht ohne Spannungen und führte mitunter zu heftigen Debatten. Frauen in der Friedensbewegung mussten mit der Kritik der Frauenbewegung rechnen, die ihnen «Friedfertigkeit» und damit konformes Rollen- verhalten vorwarf. Frauen in der Friedensbewegung sahen sich mehr als alle anderen auf der Gratwanderung zwischen der Utopie, sog. «weibliche» Werte aus dem Ghetto des Privatlebens in die Politik hinaustragen zu können, und dem Risiko, als «Friedensfrauen» Geschlechterklischees festzuschreiben. Sie waren herausgefordert, eigene Positionen einzunehmen und sich nicht einfach in die von Männern vorgegebene Thematik einzugliedern. So entstand eine eigentliche Frauen-Friedensbewegung, deren Aktivistinnen sich meist als Teil der Friedensbewegung und der Frauenbewegung verstanden, wobei sich die einzelnen Frauen mehr der einen Seite, die anderen mehr der anderen Seite zugeneigt fühlten und somit verschiedene thematische Schwerpunkte setzten.

Im Folgenden sollen einige offene Fragen aufgeworfen werden, die immer wieder Anlass für Auseinandersetzungen zwischen uns Feministinnen und unseren männlichen Mitstreitern waren und sind.

Friedens- oder Sicherheitsbegriff

Während Ingeborg Bachmann vom «Fa
schismus in privaten Beziehungen», Christa Wolf von der «Zeit des Vorkriegs» sprach, prägten Feministinnen den Ausdruck «Frieden im Patriarchat ist Krieg für Frauen ­ Alltagskrieg».

Frauen verstehen unter Frieden bis heute mehr als Männer, auch wenn strukturelle Gewalt wie z.B Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung Eingang in einen breiten Friedensbegriff gefunden haben. Auch die GSoA vertritt theoretisch einen Friedensbegriff, der unserem in seiner Allgemeinheit nicht widerspricht: «Friedenspolitik ist Gesellschaftspolitik zum Abbau von Gewalt und zum Aufbau von sozialer Gerechtigkeit». Sie verlässt damit das Terrain der Friedensbewegung während ihrer Hoch-Zeit des Ost-West-Konfliktes mit ihren relativ einfallslosen «Nie wieder Krieg»-Parolen (die meist nur den Atomkrieg meinten). Dass Krieg viel nüchterner die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, war damals noch eine wenig verbreitete Auffassung.

In der Praxis lassen Männer das Macht- und Gewaltverhältnis zwischen Männern und Frauen nur allzu oft ausser Acht. Wie anders ist die weit in der Friedensbewegung verbreitete Aufforderung «Fuck the Army» zu verstehen, als dass «Ficken» als Gewalttat akzeptiert wird, in der Realität aber gerade Frauen Opfer solcher Gewalt sind ­ der Vergewaltigung. Schon Helke Sander machte auf diesen Umstand aufmerksam: «Der Krieg beginnt eben nicht mit dem Bombenabwurf, sondern im trauten Heim, auf der Strasse, in den Büros und Fabriken»3. Wann endlich nehmen Männer ­ und das nicht nur in der Friedensbewegung, das gilt für die meisten politisch bewegten Männer ­ zur Kenntnis und setzen es in ihrer politischen und persönlichen Praxis um, dass im wahrsten Sinne des Wortes Un-Frieden HERRscht, wenn die Hälfte aller Frauen unter physischer Gewalt und weltweit mehr als eine von fünf Frauen unter sexueller Gewalt zu leiden hat (die Schweiz liegt gemäss der Nationalfonds-Studie zum Thema «Gewalt in Ehe und Partnerschaft» gut im Durchschnitt mit mehr als einer von fünf Frauen), wenn 90% dieser Gewalttaten gegen Frauen und Kinder im privaten Raum ausgeübt werden, wenn 70% aller Frauen von sexueller Belästigung betroffen sind, alle paar Minuten eine Frau vergewaltigt wird, jährlich zu den 130 Millionen Frauen und Kindern, die genital verstümmelt sind, weitere zwei Millionen dazu kommen ­ die Liste solcher Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen und Kinder ist noch viel länger4. Die Frauenbewegung setzt sich seit Jahren mit dieser alltäglichen Gewalt und den ungleichen Machtstrukturen auseinander, während die Auseinandersetzung mit Geschlechteraspekten auf der Seite der Männer bis auf wenige Ausnahmen noch immer auf sich warten lässt.

Hier setzte auch die Kritik des feministischen Gutachtens zuhanden der GSoA über die zwei neuen Initiativen ein. Kritisiert wurde vor allem der beschränkte Sicherheitsbegriff, der ihnen zugrunde liegt. Bei der Beschreibung von verschiedenen Bedrohungslagen, bei ihrer Kritik an einem militärischen Sicherheitsbegriff, der nur die Abwehr machtpolitischer Bedrohungen von aussen thematisiert, wurden all jene Bedrohungs- und Gewaltsituationen, von denen nicht Männer und Frauen, sondern praktisch ausschliesslich Frauen und Kinder betroffen sind, ausgeblendet. Die Sicherheitsbedürfnisse der Frauen seien mitgemeint ­ genau dort, wo sie nicht von jenen der Männer abweichen, wie die Autorinnen Margrit von Felten und Karin Haeberli treffend bemerkten. Die Sicherheitsbedürfnisse von Frauen müssten jedoch zum Ausgangspunkt friedenspolitischer Vorstellungen werden. Erst ein Sicher-heitsbegriff, der weibliche Lebensrealitäten miteinschliesst, wird den Bedürfnissen aller gerecht, und erst dann ist das Wort «umfassend» angebracht.

Wider die Realpolitik

Die grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Militarismus als Männerideologie, d.h. das antimilitaristische Anliegen, auf die Zusammenhänge von Krieg, Militär, Gewalt und Geschlecht aufmerksam zu machen, scheint aus der Mode gekommen zu sein. Eine Halbierung der Armee zu fordern ist angesichts der Einschätzung, dass die Armee eine Erziehungsanstalt zur gewalttätigen Männlichkeit ist, doch eher fragwürdig; Blauhelme in «Friedenssoldaten» umzutaufen, die zugleich als Folterer überführt werden, weil sie z.B. Frauen in Somalia mit Handgranaten in die Vagina vergewaltigten, geradezu zynisch. Auch militärische 'Friedenssicherung' mit humanitärer Intervention zu umschreiben, und der ganze Diskurs um kollektive Sicherheit, in dem sich Linke mit der NATO aussöhnen (Partnership for Peace), sind weitere visionslose realpolitische Projekte. Es ist ein Arrangement mit den herrschenden Verhältnissen.

Was hier fehlt, ist das Bewusstsein von der Unteilbarkeit der Kämpfe gegen mehrere Unterdrückungsverhältnisse, oder wie Thürmer-Rohr (1994) es nannte: Es gibt keine «Befreiung im Singular».

Wenn wir die eigene Erfahrung von Missachtung und die Ausbeutung anderer im System von Herrschaft einordnen, die eigenen persönlichen Erfahrungen auch als gesellschaftliche begreifen, dann wenden wir uns gegen das Beherrscherprinzip überhaupt: nämlich gegen das Prinzip, Unterschiede wie z.B. Hautfarbe und Geschlecht zu ideologisieren, um Über- und Unterordnungen zu begründen. Natürlich nehmen Frauen im Gefüge von Dominanz und Diskriminierung unterschiedliche Orte ein und müssen daher auch von unterschiedlichen Orten aus agieren.

Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse ist es nachvollziehbar, warum eben feministische Friedenspolitik zu einem Teilaspekt sämtlicher gesellschaftlicher Bereiche wird, oder anders: Alle gesellschaftlichen Bereiche werden Teil einer von Frauen geforderten Friedenspolitik ­ feministische Friedenspolitik als Querschnittaufgabe. Frauen in den Brennpunkt der Politik setzen, Politik frauenzentriert denken, wie es Johanna Dohnai5 fordert, heisst auszusprechen, dass die fundamentale Ungleichheit zwischen Männern und Frauen in unserem sogenannten demokratischen Gesellschaftsvertrag liegt, den es völlig umzugestalten gilt. Nichts anderes bedeuten die Forderungen von Frauen, wenn sie das Recht definieren, Ressourcen und Entscheidungsrechte im öffentlichen und privaten Bereich und Räume zu gewinnen, um eigene Perspektiven und Werte entwickeln zu können ­ «es geht um nichts weniger als alles ­ und dazu noch gleichzeitig», dieser in die Jahre gekommene Slogan hat noch immer seine Gültigkeit.

Was bedeutet das nun praktisch für uns Frauen und Männer im friedenspolitischen Umfeld, die auch heute noch in dieser rauhen Zeit des Backlashes, der Globalisierung, der zunehmenden Gewalt gegen Menschen und Natur, nach politischen Ansatzpunkten suchen, von denen aus wir Gegenentwürfe entwickeln könnnen?

Getrennte Wege von Frauen und Männern?

Die Forderungen von uns Frauen an Männer sind klar und altbekannt und wurden auch noch einmal im feministischen Gutachten zu Handen der GSoA ausformuliert: Die Auseinandersetzung mit der Täterseite ist die Grundvoraussetzung für eine wirksame Friedenspolitik. Erst wenn Männer sich mit Männergewalt auseinandersetzen und den Zusammenhang zwischen Alltagsgewalt, Männlichkeitskonzept, Männerherrschaft und Krieg herstellen, öffnet sich der Weg für eine umfassende Friedenspolitik.

Die wenigen Männer, die dies zumindest schriftlich tun, empfehlen ihren Geschlechtsgenossen als mögliche Umsetzungsstrategie eine Verabschiedung vom Mann-Sein. Jürgmeier6 bleibt als letzte Hoffnung nur die Desertion des Mannes, der sich endlich durch das Weglegen des Zauberstabes Gewalt zum Nicht-Mann, zum Menschen bekennen würde. Flurin Condrau7 tritt für ein Aufbrechen der Männerphalanx, für eine Politik der Vereinzelung ein, indem Männer anderen Männern die Stützung durch falsche «Solidarität» entziehen, sich und andere isolieren und sie mit ihrem Profit am bestehenden Geschlechterverhältnis konfrontieren. Männer müssten für Männer zum Problem werden. Allerdings schätzen sie die Chancen für eine solche Auseinandersetzung von Männerseite her als klein ein. Der Leidensdruck fehle, die Männer hätten primär nichts zu gewinnen, sondern abzugeben. «Was wir an Selbstverständnis und Lebensfreude gewinnen können, bedingt zuerst einen materiellen Verlust an Geld und Macht»8. Wieso sollen also sie, «die auf der 'Sonnenseite' des Patriarchats sitzen, freiwillig darauf verzichten?»

Feministische Friedenspolitik hingegen bedeutet, gegen die Vereinzelung und Verzettelung der verschiedenen politischen Teilöffentlichkeiten eine Verknüpfung oder Vernetzung anzustreben. Ein solches Projekt ist z.B. mit der Planung einer «Feministischen Frauenkoalition» in der Schweizer Frauenszene seit rund einem Jahr im Gange. Unbeirrt von den Unkenrufen, dass die Wirtschaft zugrunde geht, der Staat Bankrott macht, müssen wir ohne Bescheidenheit politische und ökonomische Macht beanspruchen und uns nicht mit schlechten Kompensationsgeschäften arrangieren. Wenn die eine Hälfte der Bevölkerung für sich das verlangt, was für die andere Hälfte selbstverständlich ist, ist es auf einmal unverantwortlicher Wucher, wie Johanna Dohnai es ausdrückte. Feministische Friedenspolitik muss aber auch die Mittäterschaft aufkünden, Geschlechterstereotypen durchbrechen, Frauen ermächtigen, die Gewalt zu beenden und vieles mehr ...

  1. Unbekannte Autorinnen: «Militarismus contra Feminismus», S. 48. In: beiträge zur feministischen theorie und praxis 8, Gegen welchen Krieg - für welchen Frieden?. Köln: Eigenverlag, 1983.
  2. Vgl. u.a. Stella Jegher: «Untereinander loyal?» In: «Hoffen heisst Handeln.» S.108. Hrg.: K. Rengel. Zürich: Schweizerischer Friedensrat, 1995.
  3. Diverse Autorinnen: «Nicht zu überhören. Frauen in der Friedensbewegung.», S. 13. Hrg.: Schweizerischer Friedensrat. Zürich: SFR, 1990.
  4. Nachzulesen in der Aktionsplattform der 4. Weltfrauenkonferenz von Beijing und im neuesten unicef-Bericht «The Progress of Nations», 1997: «The intolerable status quo: Violence against women and girls»
  5. MOMA 6/97. S. 5.
  6. Neue Wege 10/96. S. 295.
  7. WoZ 31/91
  8. Lu Decurtis in: MOMA 6/97. S. 26.
  9. Flurin Condrau in: WoZ 31/91.

*Sibylle Mathis ist Mitarbeiterin der cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit
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