Welches waren die häufigsten Menschenrechtsverletzungen, die dir in diesen 18 Monaten begegnet sind?
Gret Haller: Von den Menschenrechtsverletzungen, die an mich herangetragen werden, betreffen die meisten Verletzungen des Eigentumsrechtes, z.B. also Ausweisungen aus Wohnungen, oder dass jemand nicht mehr in seine Wohnung zurückkehren kann. Es gibt aber eine Vielzahl von anderen Verletzungen, wie zum Beispiel ungerechtfertigte Verhaftungen, unfaire Gerichtsverfahren etc.
Wenn dir und deinen MitarbeiterInnen solche Vorfälle gemeldet werden, wie geht ihr dann vor?
Gret Haller: Zunächst nehmen wir den Fall genau auf. In meinem Büro arbeiten 12 bosnische Juristen und Juristinnen, welche mit Hilfe internationaler KollegInnen arbeiten; danach übergeben wir den Fall der Regierung zur Stellungnahme. Dabei haben wir es mit drei Partnerregierungen zu tun: den Regierungen der beiden Teilstaaten der Republik Srpska und der Regierung der bosniakisch-kroatischen Föderation sowie der Regierung des Gesamtstaates Bosnien und Herzegowina.
Wie ist das Verhältnis der angeschuldigten Stellen also z.B. einer städtischen Polizei, welche der Menschenrechtsverletzung bezichtigt wird zu euch «Untersuchenden»? Versuchen sie, euch Steine in den Weg zu legen?
Gret Haller: Wir machen hier interessanterweise die umgekehrte Erfahrung, als viele andere in Bosnien und Herzegowina machen: Von der serbischen Republik Srpska erhalten wir regelmässig die geforderten Stellungnahmen, während wir von der bosnisch-kroatischen Föderation seit Monaten nie eine erhielten. Das hängt damit zusammen, dass die Regierung der Föderation aus zwei Ethnien besteht. Dies ist für meine Arbeit ein grosses Problem, an dessen Lösung ich momentan arbeite.
Einerseits ist das Amt der Ombuds-person eine «bosnische» Stelle, die andererseits aber durch die Beiträge der europäischen Regierungen bezahlt wird. Gewählt wurdest du durch die OSZE. Wird denn deine Stelle in diesem Kontext überhaupt als bosnische Stelle wahrgenommen?
Gret Haller: Wahrscheinlich nicht; wahrscheinlich betrachten die meisten die Ombudsstelle als eine internationale Institution. Aber sie ist ja auch eine Mischform.
Mein Lohn wird übrigens durch die Schweiz bezahlt; meine Arbeit hängt von den freiwilligen Beiträgen europäischer Regierungen ab; einzig die Europäische Union ist jetzt dazu bereit, bis Ende 1998 40% unseres Budgets zu übernehmen. Dieser Entscheid bedeutet für mich eine sehr positive Erfahrung.
Die Ombudsstelle wird von den BosnierInnen also nicht als eine von den USA aufoktroyierte Kontrollinstanz empfunden?
Gret Haller: Im Gegenteil. Es wurde jetzt von bosnischer Seite her beschlossen, die verschiedenen Institutionen, die zum Staatsgefüge Bosnien und Herzegowina gehören, mitzufinanzieren, darunter wird auch mein Büro fallen.
Im Fall von Mostar z.B. lehnten die Stadtbehörden die Untersuchung von Fällen von Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei ab: diese war nicht nur an der Vertreibung von RückkehrerInnen beteiligt, sondern schoss im Februar 1996 sogar auf ZivilistInnen. Welche Möglichkeiten hast du, um massiveren Druck aufzusetzen oder Sanktionen zu ergreifen, damit sich solche Fälle nicht wiederholen? An wen kannst du gelangen?
Die stärkste zivile Durchsetzungskraft hat das Büro des «High Representative». In Fällen, da unsere Empfehlungen nicht befolgt werden, gelangen wir an diese ebenfalls durch das Dayton-Abkommen geschaffene Instanz, die dann die Sache in die Hand nimmt. Wenn das nicht reicht, dann kann ich den Fall auch an die Menschenrechts-Kammer weiterleiten, die analog zu meiner Institution eine bosnische Institution mit internationaler Beteiligung ist.
Bei wiederholten Menschenrechtsverletzungen gleicher Art hast Du auch
schon die sogenannten «special reports» verfasst. Im Juli erschien ein
solcher über die Rechte der Rückkehr und
Bewegungsfreiheit, in welchem du zum Schluss kommst, dass eine
erzwungene
Rückkehr bosnischer Flüchtlinge systematischen
Menschenrechtsverletzungen Hand bietet.
Gret Haller: Dies stimmt nicht ganz genau. Wie auch die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR den Unterschied macht zwischen Mehrheitsrückkehrer-Innen und MinderheitsrückkehrerInnen. Bei MehrheitsrückkehrerInnen die in Gebiete zurückkehren, wo ihre Ethnie die Mehrheit ausmacht besteht dieses Problem nicht. Aber bei Minderheits-rückkehrerInnen haben wir das Problem der Vertreibungen durch so etwas wie private «Bürgerwehren», die manchmal sogar von der Polizei unterstützt, oder jedenfalls geduldet werden.
Mein Bericht richtete sich an den bosnisch-herzegowinischen Minister, der für die Verhandlungen der Rückkehr-Abkommen mit den Regierungen der Gastländer zuständig ist. Ich empfahl ihm für die Ausgestaltung dieser Abkommen mit diesen Staaten darauf zu pochen, dass in Fällen von Minderheitsrückkehrenden nur freiwillige Rückkehr in Frage kommt.
Denn sonst kommt es zu Zwangsumsiedlungen, was zu weiteren ethnischen Säuberungen beiträgt. Und das Gewaltpotential steigert.
Die Politik der Fluchtländer ist aber doch gerade eine andere. Auch in
der Schweiz will man mit allen Mitteln die bosnischen Flüchtlinge
zurückschicken, unabhängig davon, ob es sich um
Minderheiten- oder Mehrheiten-Flüchtlinge handelt. Damit wird doch die
Menschenrechtsarbeit in Bosnien und
Herzegowina unterminiert?
Gret Haller: Meine Ansprechebene sind bosnische Stellen; ich kann die Gastländer nicht beeinflussen. Dies ist nicht meine Funktion als Ombudsfrau. Gerade in Bosnien ist es wichtig, zu zeigen, wie Gewaltentrennung funktioniert. Meine Rolle, meine Funktion war es, diesen Bericht zu machen, der übrigens öffentlich ist.
Wie schätzt du die gegenwärtige Lage ein? Die Republik Srpska ist gespalten, der Nationalismus blüht wie zuvor, Menschenrechtsverletzungen geschehen tagtäglich. Von Frieden kann keine Rede sein, das Zusammenleben der Ethnien scheint immer unmöglicher zu werden. Wie siehst du die Zukunft? Gibt es noch Hoffnung?
Gret Haller: Europa kann es sich nicht leisten, dass es auf seinem Gebiet ethnisch intolerante und vor allem ethnisch purifizierte Staaten gibt. Europa kann also gar nicht anders, als den Prozess so weiterzuführen, bis sich die Situation wieder normalisiert. Die Frage ist nicht so sehr, ob es gelingt, sondern vielmehr, wie lange es dauert.
Was braucht es denn von Seiten der europäischen Staaten an Unterstützung, damit es gelingen kann?
Gret Haller: Es braucht sehr viel Einsatz, um den Menschen in Bosnien und
Herzegowina die Legitimität des Staates und des staatlichen Gewaltmonopols
wieder nahezubringen. Im Moment ist bei sehr vielen Leuten selbst bei denjenigen,
die an eine multi-ethnische Gesellschaft glauben die Identität einzig durch
die ethnische Zugehörigkeit definiert. Bei aller Aufbauhilfe halte ich es für
äusserst wichtig, zu fördern, dass die
Legitimation der Staatlichkeit an sich wieder Akzeptanz findet, und dass die
ethnische Identifikation wieder auf ein 'normales Mass' zurückgeführt wird.
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