FriZ 1+2/2011

Nach dem Ende des Kalten Krieges ist die zivile Friedensförderung in der Schweiz zu einer Aufgabe des Bundes geworden. Nachstehend blickt der langjährige Chef der Politischen Abteilung IV beim EDA, zuständig für die zivile Friedensförderung der Schweiz, auf die Entwicklungen der letzten fünf Jahre in diesem Bereich zurück. Von Thomas Greminger

Zivile Friedensförderung der Schweiz - eine Bilanz

Ausgangspunkt der folgenden Darstellung bildet die Studie «Zivile Friedensförderung als Tätigkeitsfeld der Aussenpolitik des Center for Security Studies» (CSS) der ETH Zürich vom November 2006.1 Die seinerzeit vom EDA in Auftrag gegebene Ressortforschung präsentiert auf knapp 160 Seiten die zivile Friedensförderung der Schweiz im Quervergleich mit vier weiteren Ländern (Deutschland, Kanada, Norwegen und Schweden), welche alle den Anspruch geltend gemacht hatten, dieser jungen aussenpolitischen Domäne hohe Priorität zukommen zu lassen. Die Studie gipfelt in acht thesenartigen Empfehlungen für die weitere Entwicklung der zivilen Friedensförderung der Schweiz. Es gibt zwei wichtige Gründe, von den statuierten Thesen auszugehen und deren Umsetzung durch die Politische Abteilung IV, Menschliche Sicherheit, beziehungsweise durch EDA und Bundesrat seit 2006 zu prüfen und darzulegen: Zum einen stellen Analyse und Empfehlungen der Studie des Center for Security Studies der ETH Zürich eine kompetente und konstruktiv-kritische Auseinandersetzung mit der zivilen Friedensförderung unseres Landes dar, die ihresgleichen sucht. Zum anderen wurde die Studie in der Folge zum Referenzpunkt für Parlament und Bundesrat in der weiteren Entwicklung dieses Politikbereichs.

Wo steht die zivile Friedensförderung heute bezüglich der von der ETHZ-Studie von 2006 formulierten Thesen und Empfehlungen?

Gerade weil der Studie von Parlament und Bundesrat eine solche Bedeutung beigemessen wurde, soll uns diese Frage im Folgenden leiten. Jedem der sieben nachstehenden Kapitel6 wird zunächst die von den ETHZ-Autoren formulierte These vorangestellt. Dabei wird ganz bewusst auf die Schweiz fokussiert. Vergleiche zu Entwicklungen in anderen Ländern werden nur beiläufig erfolgen. Auch wenn der Autor selbst Akteur in diesem Bereich war, soll doch das Bemühen um eine selbstkritische Reflexion im Vordergrund stehen. Denn nur so lassen sich Leistung und Profil der schweizerischen Friedenspolitik auch in Zukunft verbessern.

Wenn wir im folgenden Text von ziviler Friedensförderung sprechen, dann gehen wir von einem weit gefassten Verständnis aus. Es ist deckungsgleich mit dem Konzept der Menschlichen Sicherheit, das darauf ausgerichtet ist, den Menschen «frei von Furcht» (freedom from fear) zu machen. Es geht dabei darum, das Individuum vor bewaffneter Gewalt, vor Menschenrechtsverletzungen und vor politischer Willkür zu schützen und damit Gewalt und Gewaltandrohung vom menschlichen Alltag fernzuhalten.7 Das weite Verständnis von ziviler Friedensförderung, das den beiden Rahmenkreditbotschaften zugrunde liegt, ist jedoch nicht allumfassend. Es gibt aussenpolitische Initiativen, die den Guten Diensten zugerechnet werden, welche ausserhalb der konzeptionellen Reichweite der zivilen Friedensförderung fallen. Dazu gehören beispielsweise klassische Interessenwahrungsmandate, wie sie die Schweiz gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) im Iran oder gegenüber der Russischen Föderation in Georgien und umgekehrt wahrnimmt. Auch Aktionen im Bereich der nuklearen und der konventionellen Abrüstung waren zumindest zur Zeit der Redaktion der zweiten Rahmenkreditbotschaft8 ausserhalb des Definitionsbereichs. In der Praxis zeigten die Entscheidungsträger des EDA jedoch eine gewisse Flexibilität, wenn es zum Beispiel darum ging, die Genfer Gespräche zur Nuklearproblematik zwischen den P5+1 (alle ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates plus Deutschland) und dem Iran oder einzelne Initiativen im Bereich der nuklearen Abrüstung zu finanzieren. Im Folgenden wollen wir uns jedoch in erster Linie auf die in den Rahmenkreditbotschaften festgehaltenen und in den Kompetenzbereich der PA IV fallenden Themenfelder konzentrieren.

  1. Verstärkung des schweizerischen Engagements und Formulierung einer Gesamtstrategie
  2. Verstärkte friedenspolitische Profilierung ist Interessenpolitik
  3. Langfristigkeit im Engagement der zivilen Friedensförderung
  4. Spezialisierung auf thematische Schwerpunkte
  5. Langfristig ausgerichtete geografische Schwerpunktsetzung
  6. Intensivierte Zusammenarbeit mit Wissenschaft und NGO.
  7. Multilaterale Plattformen nutzen und die EU-Zusammenarbeit intensivieren

«Menschliche Sicherheit» bleibt politische Herausforderung für die Schweiz

Hinter den von Bundesrat und Parlament in den letzten Jahren forcierten Anstrengungen in der zivilen Friedensförderung steht die in der Bundesverfassung festgeschriebene Vision, die Schweiz als Land zu profilieren, welches wesentliche Beiträge zur Verbesserung der Menschlichen Sicherheit leistet - namentlich in den Bereichen Schutz der Menschenrechte, Stärkung des humanitären Völkerrechts, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung. Diese Vision einer Schweiz als friedens- und menschenrechtspolitische Fürsprecherin fusst auf den in der Schweiz bestens verankerten humanitären Werten. Sie ist aber gleichzeitig auch Ausdruck einer klaren Interessenpolitik. Die internationale Gemeinschaft erwartet von einem reichen, von der Globalisierung stark profitierenden Land, dass es in adäquater Weise zur Lösung der globalen Probleme beiträgt. Dabei sind die Konfliktlösung und der Menschenrechtsschutz Bereiche, in welchen die Schweiz geradezu prädestiniert ist, einen Mehrwert zu schaffen und international geschätzte Leistungen zu erbringen. Zu diesem Schluss kam auch die Studie des Center for Security Studies der ETH Zürich im Jahr 2006. Diese attestierte der zivilen Friedensförderung des EDA, grundsätzlich die richtige Richtung eingeschlagen zu haben, ortete aber in wesentlichen Bereichen Verbesserungspotential, welches in den acht handlungsanleitenden Thesen erfasst wurde. Die Bilanz seit 2006 zeigt, dass es gelungen ist, auf dem Weg, die Schweiz als engagierte, kompetente und professionelle Akteurin in der Friedens- und Menschenrechtspolitik zu profilieren, konsequent weiterzugehen. Wesentliche Beiträge sind in Friedensprozessen und zugunsten multilateraler Politikentwicklungen geleistet worden. Zudem wurden relevante friedenspolitische Institutionen und Kapazitäten geschaffen. Die Studie des Center for Security Studies der ETH Zürich von 2006 war für die mit der Friedensförderung beauftragten Bundesstellen, insbesondere die Politische Abteilung IV, eine wichtige Orientierungshilfe und trug ihren Teil zur Weiterentwicklung der Strategien bei. Vor eineinhalb Jahren vertrat der Bundesrat in seinem Bericht an die Geschäftsprüfungskommission des Parlaments die Ansicht, dass er die darin enthaltenen Empfehlungen weitgehend umgesetzt habe. Die GPK konnte sich dieser Auffassung anschliessen und das Thema klassieren. Die Diskussion von sieben der acht Thesen in diesem Beitrag kommt zu einer ähnlichen Schlussfolgerung. Gleichzeitig machen die Überlegungen aber auch deutlich, dass die skizzierten Handlungsfelder nichts von ihrer Aktualität eingebüsst haben und für die weitere Entwicklung der zivilen Friedensförderung der Schweiz nützlich bleiben.

Thomas Greminger ist heute Botschafter und Chef der Schweizerischen Delegation bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Ständiger Vertreter der Schweiz bei den Vereinten Nationen und den internationalen Organisationen und Ständiger Vertreter der Schweiz beim Internationalen Zentrum für Migrationspolitikentwicklung in Wien. Von 2002 bis 2004 war er stellvertretender Leiter der Politischen Abteilung IV (Menschliche Sicherheit) und Chef der Sektion Friedenspolitik, von 2004 bis 2010 im Rang eines Botschafters Leiter der Politischen Abteilung IV des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten.


Der vollständige Text ist unter dem Titel «Die Entwicklung der zivilen Friedensförderung der Schweiz seit 2006» in Band 83 der Reihe «Zürcher Beiträge zur Sicherheitspolitik» des Center for Security Studies CSS an der ETH Zürich erschienen (online: www.css.ethz.ch/box_feeder/ZB-83.pdf).
Der Autor dankt Michael Smidek für die wertvolle und umfassende Unterstützung in der Erarbeitung dieses Beitrags. Dank gebührt im weiteren Sarah Bernasconi (PA IV), Simon Mason, Daniel Trachsler, Damiano Sguaitamatti, Victor Mauer (alle Center for Security Studies, ETH Zürich) und Gian-Luca Stössel (Schweizerische OSZE-Delegation in Wien) für wertvolle Kommentare und Hinweise.

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