FriZ 1+2/2011

Zivile Friedensförderung der Schweiz - These 3

Langfristigkeit im Engagement der zivilen Friedensförderung

Erfolgreiches, nachhaltiges Engagement in der zivilen Friedensförderung basiert auf einer Langfristplanung, deren Elemente auch eine solide personelle und finanzielle Grundlage einschliesst. Die Schweiz muss deshalb die personellen und die finanziellen Ressourcen für die zivile Friedensförderung langfristig garantieren, was auf der Basis des Rahmenkredits erfolgen sollte.

Der Bericht des Bundesrates vom 25. März 2009 verweist bezüglich Nachhaltigkeit des friedenspolitischen Engagements der Schweiz mit Recht auf die beiden Rahmenkredite für die zivile Friedensförderung und Stärkung der Menschenrechte sowie für die Unterstützung der drei Genfer Zentren. Dabei wird argumentiert, dass das Instrument des Rahmenkredits eine Planung der Aktivitäten über mehrere Jahre und die flexible und effiziente Nutzung verschiedener Instrumente ermögliche, was für eine glaubwürdige und effiziente Friedenspolitik entscheidend sei. Es sei heute unmöglich, bewaffnete Konflikte nachhaltig zu regeln, wenn man sich nur auf punktuelle, isolierte Massnahmen beschränke, die zu raschen und sichtbaren Ergebnissen führen. In den meisten Fällen brauche es ein mehrjähriges Engagement, weil nur so eine Vertrauensbasis geschaffen und eine konstruktive Friedensdynamik entwickelt werden könne. Dem ist ohne Einschränkung zuzustimmen: Die Institution des Rahmenkredits, abgestützt auf dem «Bundesgesetz über Massnahmen zur zivilen Friedensförderung und Stärkung der Menschenrechte» von 2003, hat sich bewährt und bietet für die zivile Friedensförderung der Schweiz eine solide Grundlage. Beide Rahmenkredite stehen im Übrigen gegenwärtig in der zweiten Halbzeit der jeweiligen Kreditperiode; die Arbeiten für die dritten Rahmenkreditbotschaften sind in vollem Gang. Der Rahmenkredit ist jedoch mehr als nur eine Basis für die nötigen finanziellen und personellen Mittel. Die entsprechende Botschaft gibt auch ein klares Konzept vor: Sie umreisst Ziele, definiert Instrumente, legt Einsatzprinzipien fest und fixiert thematische Schwerpunkte. International wird die Schweiz um diese klare konzeptionelle Grundlage beneidet, deren Kernstück ein Set von sechs mittlerweile bewährten Instrumenten bildet. Die Toolbox, wie sie von der zweiten Rahmenkreditbotschaft festgelegt worden ist, umfasst die folgenden Elemente:

  1. Programme der zivilen Konfliktbearbeitung: Diese beinhalten eine Reihe von friedensfördernden Massnahmen, welche in einem spezifischen geografischen Kontext durchgeführt werden. Gegenwärtig werden solche Programme in sieben Schwerpunktländern bzw. -regionen durchgeführt (vgl. Kapitel 2.5.).
    2. Gute Dienste und Vermittlung: Darunter fallen Vermittlungs- und Fazilitationsdienste verschiedener Ausprägung, wie sie die Schweiz in den letzten sechs Jahren in mehr als zwanzig Friedensprozessen erbracht hat. Diese reichen von der Ausbildung von Konfliktparteien im Hinblick auf eine Friedensverhandlung über die Sekundierung von Schlüsselexperten an multilaterale Mediationsteams bis hin zur Leitung von Friedensverhandlungen auf Ebene «Track 1», das heisst auf der obersten politischen Führungsebene.
  2. Menschenrechtsdialoge und -konsultationen: Dieses Instrument setzt sich zusammen aus regelmässigen Gesprächen auf diplomatischer Ebene zu menschenrechtspolitischen Themen, der Vertiefung gewisser Themen über Expertenaustausch und technische Zusammenarbeit sowie der Übermittlung menschenrechtspolitischer Botschaften bei Kontakten auf Regierungsebene. Ein derartiger Dialog wird gegenwärtig mit sechs Partnerländern geführt (China, Vietnam, Russland, Iran, Kuba, Tadschikistan).
  3. Diplomatische Initiativen: Darunter sind Vorhaben der Politikentwicklung zu verstehen, welche auf multilateraler Ebene in verschiedenen Bereichen der Menschlichen Sicherheit durchgeführt werden. Einige markante Beispiele wurden im Kapitel 1 «Verstärkung des schweizerischen Engagements und Formulierung einer Gesamtstrategie» aufgeführt (s. S. XY).
  4. Schweizerischer Expertenpool für zivile Friedensförderung (SEF): Der SEF erlaubt der Schweiz, zivile Expertinnen und Experten in erster Linie in multilaterale Friedensoperationen zu entsenden. Knapp ein Fünftel der Entsendungen erfolgt zugunsten bilateraler Programme und Aktionen. Darunter fallen auch die bereits erwähnten Peacebuilding und Human Rights Advisers. Der SEF umfasst eine Expertendatei mit rund 630 Spezialisten in den Bereichen Wahlbeobachtung und -support, Rechtsstaatlichkeit (Polizei- und Justizreform), Verfassungsfragen, Mediation, Menschenrechte und humanitäres Recht. Er führt rund 200 Einsätze pro Jahr durch. Ohne die Wahlbeobachtungsmissionen miteinzubeziehen, stehen zu jeder Zeit rund 85 Schweizer SEF-Expertinnen und -Experten im Einsatz (vgl. Darstellung «Swiss Expertpool for Civilian Peacebuilding», S. XY).
  5. Strategische Partnerschaften: Mit einem guten Dutzend Institutionen aus dem Bereich Forschung, Think Tanks, NGO und internationalen Organisationen führt die PA IV strategische Partnerschaften. Nur dank dieser Partnern kann ein vergleichsweise kleines Aussenministerium wie das schweizerische rechtzeitig die nötige Expertise mobilisieren, um beispielsweise im Kleinwaffenbereich (Small Arms Survey, SAS), der Sicherheitssektorreform (Centre for the Democratic Control of Armed Forces, DCAF) oder im Menschenrechtsbereich (Academy for International Humanitarian Law and Human Rights) als hochkompetenter und professioneller Akteur aufzutreten. Zur Reputation der Schweiz im Sinne einer führenden Konfliktvermittlerin gehört auch die Zusammenarbeit mit dem privaten Vermittler Centre for Humanitarian Dialogue (HD).

Eine gut ausgestattete «Werkzeugkiste» gehört neben langfristig sichergestellten finanziellen Ressourcen zu den zentralen Bestandteilen eines nachhaltigen friedenspolitischen Engagements. Für die Nachhaltigkeit ebenso bedeutend sind jedoch auch die friedenspolitischen Kapazitäten, welche über die letzten Jahre systematisch aufgebaut worden sind und die heute jederzeit abgerufen werden können. Dazu gehören die eben genannten strategischen Partner, auf welche wir in den nächsten Abschnitten noch verschiedentlich zurückkommen werden. Weitere wesentliche Pfeiler dieser Kapazitäten sind:

  1. die Politische Abteilung IV, Menschliche Sicherheit, die innerhalb des Bundes hauptzuständige Verwaltungseinheit für die zivile Friedensförderung. Sie beschäftigt heute in der Zentrale nahezu achtzig Mitarbeitende. Es ist gelungen, eine interessante Mischung von Diplomaten und führenden Fachexpertinnen und -experten aus den für die Abteilung relevanten Fachbereichen zu schaffen. Auch der Alters- und Erfahrungsmix trägt zu einer produktiven Unternehmenskultur bei: Zur professionellen Friedensförderungsagentur gehört jedoch auch ein ausgebautes Controlling und Wissensmanagement. Gerade in letzteres ist in jüngster Zeit stark investiert worden, auch um die negativen Auswirkungen des karrierebedingten, relativ hohen personellen Wechsels abzufedern. Damit ist aber auch auf eine offensichtliche Schwachstelle hingewiesen: Es ist zwar erfreulich, dass sich die PA IV zu einem Sprungbrett für Karrieren zu entwickeln scheint, doch ist die zu kurze Verweildauer gerade von Sonderbeauftragten und Kadern in ihren Funktionen der friedenspolitischen Auftragserfüllung abträglich. Hier ist eine nachhaltigere Personalpolitik erforderlich.
  2. der bereits genannte Expertenpool (SEF). Auch hier wird systematisch in den Aufbau von Kapazitäten investiert. Seit Schaffung des Pools sind über 600 Schweizer Expertinnen und Experten ausgebildet worden. In enger Zusammenarbeit mit einem weiteren strategischen Partner, dem Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP), bietet der SEF zur Zeit zwei Ausbildungsmodule für zivile Generalisten in multilateralen Friedensoperationen an, welche auch von internationalen Organisationen und ausländischen Aussenministerien stark nachgefragt werden. Das eine betrifft ein zweiwöchiges Grundtraining (Swiss Peacebuilding Training), welches auf die Infrastruktur der SWISSINT in Stans zurückgreifen kann, das andere ein dreitägiges Angebot für höhere Kader (Senior Leader Training in Peacebuilding), welches vom GCSP und Interpeace in Genf ausgerichtet wird.
  3. Spezialisierte institutionelle Kapazitäten in thematischen Schwerpunktbereichen. Im Projektrahmen wird dabei bei geeigneten strategischen Partnern spezifisches Know-How gesammelt, welches jederzeit für bilaterale oder multilaterale Bedürfnisse abgerufen werden kann. Das dafür wohl am weitesten entwickelte Beispiel ist das Mediation Support Project (MSP), das vom Center for Security Studies der ETH Zürich und Swisspeace als Joint Venture durchgeführt wird.35 Das MSP erlaubt der Schweiz, alle ihre eigenen Vermittlungsaktivitäten systematisch auszuwerten und nach Bedarf mit Prozessexpertise zu begleiten. Es führt auch in- und ausserhalb des Departements Ausbildungen und Fachseminare für Konfliktmediatoren durch (s. unten). Im Weiteren verfügt das MSP über die Fähigkeit, relativ kurzfristig zugunsten der UNO, diversen Regionalorganisationen oder auch zu bilateralen Zwecken Ausbildungsseminare für Konfliktparteien in den Methoden und Techniken der Friedensverhandlung auszurichten. So konnten in jüngster Zeit Parteien auf Verhandlungen oder nationale Versöhnungsprozesse in der Zentralafrikanischen Republik, in Darfur (Doha), Papua-Indonesien oder Gaza vorbereitet werden. Ähnliche institutionelle Strukturen gibt es auch in anderen thematischen Schwerpunkten: Im Bereich von Religion und Konflikt erlaubt uns das am Institut des Hautes Etudes Internationales et du Development (IHEID) angesiedelte Projekt «Religion & Politique: action et recherche» entsprechendes Wissen für Projekt- und Policy-Arbeit zu mobilisieren. Das Kompetenzzentrum für zivile Friedensförderung (KOFF), formell ein Projekt unter dem Dach von Swisspeace, dient uns im gleichen Sinn als Know-How-Träger für Vergangenheitsbewältigung sowie Gender und Konflikt.
  4. Thematische Ausbildung in Schwerpunktbereichen der schweizerischen Friedensförderung. Hier ist der Peace Mediation Course für Konfliktmediatoren als prominentes Beispiel zu nennen, dessen Plätze wie diejenigen der erwähnten SEF-Module international sehr begehrt sind. Der Kurs wird vom Mediation Support Project organisiert und zusammen mit dem EDA durchgeführt. Zu den Ausbildern gehören die besten Schweizer Vermittler und führende ausländische Kollegen. Erstmals wurde im August 2010 ein ähnlich konzipierter Kurs für Experten im Bereich der Vergangenheitsbewältigung und der transitionellen Justiz angeboten. Unter den Moderatoren und Resource Persons figurierten Persönlichkeiten wie Richard Goldstone, Yasmin Sooka, Theo van Boven und Carlos Castresana. Mit den Rahmenkrediten, den Instrumenten und den geschaffenen Kapazitäten ist die schweizerische Friedenspolitik institutionell wohl genügend konsolidiert, um dem Anspruch der Nachhaltigkeit gerecht zu werden. Die Frage stellt sich jedoch, wie es mit der politischen Absicherung steht. Realistischerweise müssen wir anerkennen, dass die Schweiz zwar über inzwischen solide Institutionen und dank dem aussenpolitischen Zielartikel der revidierten Bundesverfassung (Art. 54) auch über eine ausgezeichnete rechtliche Abstützung der Friedens- und Menschenrechtsförderung verfügt, diese aber in unserem Land und in ihrer Aussenpolitik noch nicht denselben Stellenwert und dieselbe Selbstverständlichkeit erreicht hat wie beispielsweise in Norwegen. Dies will nicht heissen, dass es heute keine erhebliche politische Unterstützung für die zivile Friedensförderung gibt. Schon der gescheiterte Versuch bürgerlicher Finanzpolitiker im Jahr 2005, die Budgetlinie zivile Konfliktbearbeitung und Menschenrechtsförderung zu kürzen, brachte eine solide Unterstützung des Parlaments für die zivile Friedensförderung zutage.36 Die Ratsdiskussion um die zweite Rahmenkreditbotschaft bestätigte diesen Eindruck: Der Ständerat stimmte dem Kredit ohne Gegenstimme zu, während im Nationalrat zwar 50 Gegenstimmen resultierten, die aber weniger als Ablehnung der zivilen Friedensförderung an sich, sondern als gescheiterter Versuch, die Bewilligung des Rahmenkredits mit einem völligen Verzicht auf militärische Friedensförderung zu verbinden, zu interpretieren sind.37 Seither sind im Parlament weder Kürzungsversuche unternommen noch substanzielle Diskussionen zur zivilen Friedensförderung geführt worden. Wir können also von beschränktem Interesse und grundsätzlichem Wohlwollen seitens des parlamentarischen Plenums ausgehen. Etwas anders präsentiert sich die Situation in den Fachkommissionen, den Aussenpolitischen Kommissionen beider Räte, in welchen die zivile Friedensförderung solide Unterstützung geniesst. Hier haben die Jahresberichte der PA IV und zuletzt der Aussenpolitische Bericht sowie aktuelle Themen immer wieder Gelegenheit geboten, sich mit der zivilen Friedensförderung vertieft auseinanderzusetzen. Dazu kamen Kurzseminare zur Mediation (2008) oder den Menschenrechtsdialogen (2010) in der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates. Gerade auch kritische Diskussionen wie die Hearings im Spätsommer und Herbst 2008 zur Kolumbien-Fazilitation haben geholfen, die zivile Friedensförderung als eine kompetent und professionell geführte Domäne der schweizerischen Aussenpolitik darzustellen, die zwar zwangsläufig Risiken eingeht, aber nur wohlkalkulierte. Das Fazit: Heute verfügt die zivile Friedensförderung über den nötigen politischen Support. Sie ist jedoch noch nicht zum politischen Selbstläufer geworden. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es vermehrte Anstrengungen in der Öffentlichkeitsarbeit, und es wird weiterhin sowohl innerhalb des EDA und auf dessen Führungsetage als auch in der Landesregierung und den eidgenössischen Räten Leadership brauchen.



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