FriZ 1+2/2011

Zivile Friedensfouml;rderung der Schweiz - These 2

Verstärkte friedenspolitische Profilierung ist Interessenpolitik

a) Die gestiegene Betroffenheit durch die transnationalen Risiken im internationalen Umfeld und die erhöhte Erwartungshaltung seitens der Staatengemeinschaft an ihre Mitglieder, aktiv zur Bewältigung der neuen sicherheitspolitischen Gefahren und Bedrohungen beizutragen, zwingt auch die Schweiz zu einem erhöhten Engagement in der Friedensförderung.
b) Der seit dem Ende des Kalten Krieges erweiterte aussenpolitische Handlungsspielraum für mittlere und kleine Staaten ist auch von der Schweiz angesichts der Ausweitung des Risikospektrums als Chance zu nutzen. Friedensförderung bedeutet damit in erster Linie die Betreibung von Interessenpolitik. Durch eine verstärkte Profilierung kann grössere aussenpolitische Visibilität gewonnen werden, die auch von weiteren Politikbereichen (etwa Wirtschafts- und Handelspolitik) genutzt werden kann.

Es konnte in der Diskussion der These 1a) bereits dargelegt werden, dass die Schweiz der erhöhten Erwartungshaltung der internationalen Gemeinschaft durch eine profilierte Friedenspolitik Rechnung tragen will. In einer Welt, in welcher sich die Sicherheitsrisiken globalisiert haben, wird von einem wohlhabenden und von der Globalisierung profitierenden Land erwartet, dass es in adäquater Weise zur Lösung globaler Probleme beiträgt. Der Bundesrat hat diese Erkenntnis in verschiedenen Grundsatzdokumenten, wie jüngst im neuen Sicherheitspolitischen Bericht, zum Ausdruck gebracht.30 Dabei sind Konfliktlösung und Menschenrechtsschutz für die Schweiz geradezu prädestinierte Bereiche, in welchen sie Beiträge erbringt, die von der internationalen Gemeinschaft geschätzt und anerkannt werden. Dies ist umso relevanter, als wissenschaftliche Studien wie der «Human Security Report 2005» und seine Folgeberichte eindrücklich nachweisen, dass die zivile Friedensförderung eine relevante und effektive Konfliktmanagementstrategie darstellt. Die Zahl der bewaffneten Konflikte hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges weltweit praktisch halbiert und Opferzahlen sind in bemerkenswerter Weise zurückgegangen. Dies wird zu einem grossen Teil auf das verstärkte Engagement der internationalen Akteure im Bereich der Friedensförderung zurückgeführt.

Diese Zahlen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Rahmenbedingungen für die Friedensförderung nicht einfacher, sondern eher schwieriger geworden sind. Zwar belegen an und für sich erfreuliche Statistiken, dass heute die überwiegende Mehrheit der Konflikte mittels Verhandlungen und nicht mehr ausschliesslich gewaltsam gelöst wird. So wurden zwischen 2000 und 2005 17 Konflikte durch Vermittlung beigelegt gegenüber lediglich vier militärischen Entscheidungen. Gleichzeitig sind jedoch in den letzten Jahren militärische Lösungen eindeutig wieder salonfähig geworden. Das meist zitierte Beispiel dafür ist der Ausgang des Bürgerkriegs in Sri Lanka, der zwar keine der zugrunde liegenden Ursachen des Konflikts gelöst hat, aber doch jahrzehntelanger Gewalt ein vorläufiges militärisches Ende gesetzt hat. Auch in Kolumbien wurde zuletzt der militärische Weg zur exklusiven Konfliktlösungsstrategie, allerdings ohne durchschlagenden Erfolg. Im gegenwärtig die Medien und die aussenpolitischen Agenden beherrschenden Konflikt in Afghanistan dominiert weiterhin die militärische Logik. Die Suche nach einer politischen Lösung ist zögerlich und wird zumindest von den führenden Akteuren nicht priorisiert. Weiterer Bestandteil einer anspruchsvoller gewordenen Konfliktlösungslandschaft sind selbstbewusst auftretende lokale Akteure sowie die Zunahme von (Sub-)Regionalorganisationen mit Vermittlungsambitionen. Beides ist, zumindest aus mittlerer bis langfristiger Sicht, nicht grundsätzlich negativ zu werten, verlangt jedoch wesentlich aufwändigere Vorinvestitionen von Seiten der kleineren westlichen Vermittler. Der Sudan illustriert diese Dynamiken treffend: Im Darfur-Konflikt ist Qatar der Fazilitator, der keine Kosten scheut, diesen Prozess zu unterhalten, auch wenn das vorhandene Prozesswissen nicht immer mit den hohen politischen Ambitionen Schritt halten kann. Damit stellt Doha die Plattform dar, an der sich alle, auch der UNO-Sondergesandte Bassolé, zu orientieren haben. Bezüglich der Umsetzung des Nord-Süd-Friedensvertrages, des Comprehensive Peace Agreements (CPA), geben die Regierungen in Khartoum und Juba deutlich zu verstehen, dass sie den Prozess steuern und trotz aller Schwierigkeiten keine starken Drittparteien akzeptieren wollen. Wenn überhaupt Drittparteien, dann afrikanische: Dies bedeutet, dass die Afrikanische Union unter Thabo Mbeki und die UNO dank einem afrikanischen Sondergesandten (Haile Menkerios) die ersten Geigen spielen. Herausgefordert werden sie von den USA, die mit ihrem Sondergesandten Scott Gration einen grossen Aufwand betreiben, um eine Schlüsselrolle zu spielen, obschon eine Khartoum gegenüber sehr kritisch eingestellte «Heimfront» letztlich nur wenig inhaltlichen Spielraum bietet. Erst dann folgen andere Akteure wie etwa Norwegen oder die Schweiz, die sehr viel prozessbezogenes oder inhaltliches Wissen anzubieten haben. Dies bedeutet zunächst einmal, viel Zeit und Energie darin investieren zu müssen, sich überhaupt so zu positionieren, dass die vorhandene Expertise am richtigen Ort und zum richtigen Moment in den Prozess eingebracht werden kann. Massgeblich beeinflusst und in der Regel auch erschwerend haben die weitgehenden Antiterrorgesetzgebungen nach dem 11. September 2001 gewirkt. Sie führten zu ganz erheblichen Hindernissen im Dialog mit bewaffneten nichtstaatlichen Akteuren (Armed Non State Actor, ANSA). Gleichzeitig schufen sie der Schweiz jedoch auch eine friedenspolitische Nische, die in ihrer Tragweite nicht zu unterschätzen ist: Als Staat, der grundsätzlich bereit ist, mit allen ANSA, welche über eine politische Agenda verfügen, einen Dialog zu unterhalten, und der nicht verpflichtet ist, Listing-Entscheide der EU mit zu tragen, vermochte die Schweiz diesen komparativen Vorteil geschickt zu nutzen. Allerdings ist heute noch nicht wirklich absehbar, welche Auswirkungen ein weiterer negativer Höhepunkt in rechtlicher Hinsicht, der Entscheid des Höchsten Gerichtes der USA in Sachen Holder vs. Humanitarian Law Project31, auf die Dialogmöglichkeiten mit ANSA haben wird.

Es wäre jedoch trotz aller geschilderten Schwierigkeiten im heutigen Konfliktlösungsumfeld völlig falsch, die zivile Friedensförderung als wirkungsvolle Konfliktmanagementstrategie in Frage stellen zu wollen. Bereits im Aussenpolitischen Bericht 2007 wie in seiner Botschaft zum zweiten Rahmenkredit für die zivile Friedensförderung hat der Bundesrat deshalb die Friedenspolitik ganz bewusst als Interessenpolitik präsentiert.32 Er hat mit einigem Erfolg eine stärkere Profilierung seiner Anstrengungen angestrebt, auch wenn weiterhin viele Aktionen der zivilen Friedensförderung diskret erfolgen müssen und oft erst Jahre später als Erfolge öffentlich ausgewiesen werden können. Der interessenpolitische Charakter des friedenspolitischen Engagements ist dann offensichtlich und auch einfacher zu kommunizieren, wenn es sich um die Konflikttransformation und die Stabilisierung im näheren geografischen Umfeld unseres Landes handelt. Es ist unmittelbar einsichtig, dass Beiträge zur Konfliktlösung und zur Friedenskonsolidierung im Westbalkan eine direkte Wirkung auf die Sicherheit unseres Landes haben, indem sie die unfreiwillige Migration aus diesem Raum verhindern. In Ländern mit substanziellen schweizerischen Investitionen oder eindeutigen Handelsinteressen gibt es ein offensichtliches wirtschaftliches Interesse an Frieden und Stabilität. Kolumbien ist dafür ein Beispiel, wo das schweizerische Engagement in der Konfliktlösung zudem dazu beigetragen hat, das Entführungsrisiko für Mitarbeitende von schweizerischen Unternehmen zu reduzieren und die Chancen für eine Freilassung von Geiseln zu erhöhen. Allerdings sind handfeste wirtschaftliche Interessen gerade in Ländern mit hoher Fragilität oft bestenfalls mittelfristiger Natur. Es ist anspruchsvoller zu vermitteln, dass schweizerische Beiträge, auch wenn sie nicht im engeren, geografisch oder wirtschaftlich definierten Interessenraum stattfinden, von der internationalen Gemeinschaft geschätzt werden. Direkt ersichtlich wird dies dann, wenn friedenspolitische Anstrengungen zu einem besseren Zugang zu Entscheidungsträgern in Washington, Moskau oder in der EU und damit zu positiven Effekten in anderen Politikbereichen führen. Ein Beispiel dafür sind die freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem spanischen Aussenminister Moratinos und der EDA-Vorsteherin, welche in den gemeinsamen Vermittlungsanstrengungen zugunsten Kolumbiens entstanden sind und der Schweiz bei der Lösung des Geiseldramas in Libyen zugutekamen. Ähnliches lässt sich zur Wirkung des Vermittlungsprozesses zwischen Armenien und der Türkei oder des Interessenwahrungsmandates in Georgien und Russland sagen: Sie ermöglichten einen privilegierten Zugang zu den führenden Köpfen der amerikanischen Administration, der russischen Regierung und zu den Spitzenfunktionären Brüssels. Dies hilft zweifellos, wenn es darum geht, vernünftige Problemlösungen in anderen Politikbereichen zu finden, sei dies in der Finanzsektor- oder in der Menschenrechtspolitik. Der Zugang zu einer ganz anderen Kategorie von Akteuren half nach der Minarettabstimmung, mögliche negative Dynamiken zu verhindern: Dank etablierten Kommunikationskanälen und dem Ruf einer dialogbereiten Partnerin konnte eine Reihe von islamistischen Gruppen davon abgehalten werden, Stimmung gegen die Schweiz zu machen. Allerdings müssen die Erwartungen an solche positiven friedenspolitischen Nebeneffekte realistisch bleiben: Ein profiliertes friedenspolitisches Engagement ist keine magische Formel zur Lösung sämtlicher aussenpolitischer Herausforderungen unseres Landes. Sie wird weder die Interessenwahrnehmung einer Grossmacht radikal ändern noch ausbleibende integrationspolitische Schritte in Europa kompensieren. Dies ist allerdings auch nie der Anspruch von EDA und Bundesrat gewesen. Es mutet deshalb etwas seltsam an, wenn heute gewisse Stimmen die aktive Friedenspolitik der letzten Jahre als Ablenkungsmanöver für eine wenig dynamische europäische Integrationspolitik unseres Landes kritisieren und sie als «Ersatzhandlungen» titulieren.33 Glauben diese Kritiker im Ernst, dass eine Schweiz ohne aktive zivile Friedensförderung heute stärker in die EU integriert wäre? Dies wäre dann doch eine massive Überbewertung des Stellenwerts der Friedenspolitik in unseren innen- und aussenpolitischen Entscheidungsfindungsprozessen. Hingegen ist der Analyse des Center for Security Studies der ETH Zürich zuzustimmen, wenn sie fordert, dass «die zivile Friedensförderung nicht schwergewichtig zum Kompensationsinstrument für anderweitige Defizite in Bezug auf die internationale Positionierung der Schweiz mutieren und als Generaldispens für die Auseinandersetzung mit aussen- und sicherheitspolitischen Grundsatzfragen aufgefasst werden darf.»34


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