friZ 3+4/2010

In der friZ 2/10 befasste sich Beat Luder mit der friedenspolitischen Relevanz der Klimaproblematik. Dafür blickte er 40 Jahre zurück zu den «Entdeckern» des Klimawandels, zeichnete das lange Ringen um Erkenntnis und Eingeständnis der globalen Erwärmung nach und erläuterte die bisher umfassendste Analyse und Interpretation der Problematik (im vierten Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC). In Teil 2 befasst er sich diesmal näher mit Inhalt und Wirkung dieses epochalen Berichts sowie den Uno-Klimakonferenzen und den möglichen Folgen und Massnahmen. Ein dritter, abschliessender Teil wird im nächsten Heft die wachsende Attraktivität der erneuerbaren Energien, die Gefahr neuer Irrtümer und einen Ausblick auf eine klimagerechte Lebensführung zum Thema haben.

Jeweils im Dezember folgten sich 2009 und 2010 gleich zwei Uno-Klimakonferenzen innert Jahresfrist. Die damit verbundenen grossen Hoffnungen wichen aber rasch einer noch grösseren Ernüchterung. Wie ist das widersprüchliche Verhalten der vielen Beteiligten in der Klimadebatte zu werten? Von Beat Luder

Klimaerwärmung – wo stehen wir nach Cancun?

Eigentlich hatte es ganz gut angefangen im Jahr 2007: Nach Jahrzehnten vergeblichen Warnens von Seiten der Wissenschaft, dass die Menschheit nicht ewig jedes Jahr mehr als 27 Gigatonnen CO2 freisetzen könne, schien sich damals endlich ein Stimmungswandel anzubahnen: Energiesparende Autos und Hybrid-Fahrzeuge galten plötzlich als chic, Marketingabteilungen kannten nur noch «grüne» Produkte und verteilten «grüne Punkte», Stromkonzerne starteten Image-Kampagnen mit Windrädern (die sie zuvor immer als Träumereien von Utopisten belächelt hatten) und Fluggesellschaften boten ihren Kunden Angebote zur Kompensation ihres CO2-Verbrauchs an!

2007: Jahr des Umdenkens

Natürlich, günstige Umstände halfen mit beim Entstehen des neuen Bewusstseins: 2007 erhielt Al Gore für seine «unbequeme Wahrheit»1 einen Oscar und – zusammen mit dem Weltklimarat – auch den Friedensnobelpreis. Benzin war teurer denn je, das Barrel Öl steuerte im Lauf des Jahres 2007 steil auf die magische 100-Dollar-Grenze zu. Plötzlich wurde das Thema Ressourcenknappheit auch im verwöhnten Westen nachvollziehbar, das Gespenst «Peak Oil»2 machte die Runde und Biotreibstoffe wurden zum neuen Manna. Ausserdem schafften es brennende Wälder in Europas Süden und in Kalifornien ebenso mit gewohnter Verlässlichkeit in die News-Sendungen wie die knackenden Gletscher und abstürzenden Eiskolosse im Nordpolarmeer – die Natur war 2007 ganz offensichtlich aus den Fugen geraten. Während Business-Channels von den neuen Möglichkeiten der eisfreien Nordwest-Passage schwärmten und ein Trip zum schmelzenden Nordpol zum Pflichtprogramm für umweltbewusste PolitikerInnen gehörte, wurde der Eisbär zur Ikone des Klimawandels.
Und endlich war das Thema auch in der Politik angekommen. Bereits 2006 hatte Arnold Schwarzenegger mit einem progressiven Umweltprogramm in Kalifornien seine Wiederwahl als Gouverneur geschafft, dies zu einer Zeit, als George W. Bush in Washington den Klimawandel noch immer für ein Hirngespinst liberaler Ostküstenforscher hielt.
Im März 2007 «erarbeitete» die EU – in Vorbereitung zum G-8-Gipfel in Heiligendamm – eine Übereinkunft, den CO2-Ausstoss weltweit um 20 Prozent, und falls die übrigen Industrienationen mitmachen sollten, sogar um 30 Prozent zu senken.
Beim G-8-Gipfel von Heiligendamm gelingt es der «Klimakanzlerin» Angela Merkel im Juni 2007, die acht grössten Wirtschaftsnationen der Welt dazu zu bewegen, die Vereinten Nationen und den Weltklimarat IPCC als Trägerschaft für künftige Klimaverhandlungen zu akzeptieren. Ein sehr bescheidener Erfolg, der aber immerhin mit dem Verwirrspiel interessengebundener Gefälligkeitsstudien aufräumen sollte.

Bali: Die Roadmap führte nirgendwohin

Zudem galt es, den Schwung bis zur Klimakonferenz auf Bali im Dezember mitzunehmen, damit nach dem Auslaufen des Kyoto-Protokolls 2012 ein neues Klimaschutzprogramm nahtlos in Kraft treten könnte. Ausser Europa, dass bereit war, die Emissionen um 30 Prozent auf den Stand von 1990 zu senken, wollte jedoch niemand so richtig mitziehen. Neue Fronten zeichneten sich ab: China, Indien und die Schwellenländer wollten ihr Wirtschaftswachstum nicht gefährden und keine Verpflichtungen eingehen, die USA waren uneins und brauchten mehr Zeit.
Schwellenländer sollten mittels Technologietransfer unterstützt werden und mit dem Schutz von Tropenwäldern (wofür 150 Millionen US-Dollar gesprochen wurde) sollte ebenfalls 20 Prozent an Treibhausgasen eingespart werden. Nach zähen Verhandlungen resultierte in Bali kaum Verbindliches, zur Not wurde eine «Roadmap» verabschiedet.
Eines zeichnete sich allerdings ab: Trotz zum Teil pathetischen Aufrufen zum Handeln blieb das Umdenken in den Köpfen stecken, obwohl es nicht an Rezepten fehlte und die wissenschaftlichen Erkenntnisse noch nie so unumstritten waren wie damals. Ausserdem legte der IPPC mit seinem 4. Klimabericht in Sachen Massnahmen einen eigentlichen Steilpass vor.

IPPC: Die Zeit drängt

In Ergänzung zur letzten Folge3 seien hier noch die wichtigsten Empfehlungen der Arbeitsgruppe III des Weltklimarates IPCC, wie der Klimawandel eingedämmt werden könne, festgehalten:
• Sofortiges Drosseln der Treibhausgasausstosse: «Weiter wie bisher» hiesse: Ohne weitergehende Massnahmen werden die Treibhausgasemissionen bis ins Jahr 2030 um 25 bis 90 Prozent ansteigen; bis 2100 sogar bis zu 270 Prozent (gegenüber dem Jahr 2000). So viel könnten weder der Mensch noch seine Umwelt verkraften. In den Jahren 2020-2050 muss eine massive Reduktion von global rund 60 Prozent erreicht werden.
• Möglichkeiten und Kosten der Drosselung: Laut IPCC gibt es nur einen Weg: Wer Treibhausgasemissionen verursacht, muss dafür bezahlen. Mit einem Preis von 100 US-Dollar pro Tonne CO2 könnte die Treibhausgaskonzentration auf 450-550 ppm4 CO2-Äquivalente bei 2-3 Grad Erwärmung in diesem Jahrhundert begrenzt werden. Zum Vergleich: Vor der industriellen Revolution betrug die Treibhausgaskonzentration rund 280 ppm, heute liegt sie bei etwa 410 ppm. CO2 muss einen Preis haben. Mit dem Ertrag aus der CO2-Abgabe können klimafreundliche Technologien gefördert werden. Dies beflügelt den technologischen Wandel, stärkt die Energiesicherheit, verbessert die Beschäftigung und die Luftqualität. Ohne staatliche Steuerung geht es jedoch nicht. Die IPCC-Forscher rechnen mit Investitionen von maximal drei Prozent des globalen Bruttosozialprodukts.5
• Riesige Einsparpotentiale: Die IPCC-Forscher orten überall riesige Einsparpotentiale. So etwa in der Gebäudedämmung, bei Heizung und Warmwasseraufbereitung. Die Förderung der Energieeffizienz und der erneuerbaren Energien ist erreichbar durch Abgaben, Energiestandards, Labels oder Subventionen.
• Einsparpotential beim Verkehr: Je höher der Preis von fossilen Brennstoffen bei Auto oder Flugzeug ist, desto wettbewerbsfähiger sind CO2-emissionsarme Alternativen. Beim Auto lassen sich die Emissionen mit Hybrid-Technologie und sparsameren Motoren bis 2030 bereits um 50 Drittel verringern.
• Einsparpotential in der Landwirtschaft: zirka ein Drittel der CO2-Produktion wird der industriellen Agrarwirtschaft zugeschrieben, durch Abbrennen von Wäldern, Agrochemie (in CO2-Äquivalenten), Wasserwirtschaft (Kanäle, Pumpen, Entsalzung), maschinelle Intensivbewirtschaftung (Monokulturen) und Fleischproduktion (Methan in CO2-Aequivalenten). Diese Fehlentwicklungen wären leicht zu beheben.
• Klare Klimaschutzpolitik nötig: Mit maximal 2 Grad Klimaerwärmung (gegenüber 1750) könnten die Folgen der Klimaerwärmung wahrscheinlich auf ein erträglichen Mass abgefedert werden. Doch ohne schnelles Reagieren, grosse Anstrengungen und Investitionen, lässt sich das nicht bewerkstelligen. Dies ist nur durch einen radikalen Politikwechsel möglich!

Die Quintessenz des 4. Klimaberichts ist unmissverständlich: «Es muss alles unternommen werden, um die Klimaerwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Dies ist nur machbar, wenn die Trendwende beim Ausstoss der Treibhausgase bis 2020 geschafft ist und die Emissionen von da an sinken.» Soweit das eindringliche Urteil aus dem Jahr 2007, als das «Zwei Grad-Ziel» noch realistisch war. Nebenbei bemerkt: Seit der Stockholmer Weltumweltkonferenz 1972 sind es nun beinahe 40, seit Rio 1992 fast 20 Jahre, dass wir alle Stopplichter überfahren haben... Dass die Zeit eilt, zeigen insbesondere die Zahlen der jüngsten Entwicklung: Die Emissionen an Treibhausgasen sind zwischen 1970 und 2004 um 70 Prozent gestiegen; die des wichtigsten Treibhausgases, Kohlendioxid, um etwa 80 Prozent. Den höchsten Anteil an diesem Anstieg hatten die Energieversorgung (+ 145%) und der Verkehr (+120%; weltweit nahm der Flugverkehr von 1990 bis 2003 um 90 Prozent, die Frachtschifffahrt sogar um 700% zu).
Die Internationale Energieagentur (IEA) sagt bis zum Jahr 2030 eine weitere Zunahme des weltweiten Energieverbrauchs um 50 Prozent voraus. Dazu werde vor allem der Boom in den Schwellenländern (zuvorderst China und Indien) beitragen. Dies würde gemäss IEA beim Stand der heutigen Produktionstechniken eine CO2-Zunahme von 45 –110 Prozent bedeuten. Wobei eine Zunahme von 100 Prozent etwa eine globale Erwärmung von drei Grad zur Folge hätte.

Global reden, national aufschieben6

So schwungvoll die internationale Diskussion in das Jahr 2007 gestartet war, so kleinlich verliefen die Verhandlungen nach der gescheiterten Konferenz von Bali, wurde dort doch erkannt, dass allfällige globale Lösungen vorerst klare Positionen bei den Teilnehmerstaaten bedingten – sollten doch auf die flammenden Aufrufe rechtlich verbindliche Beschlüsse folgen. So verlagerte sich das Gefeilsche von den Gipfeltreffen in die nationalen Parlamente: Arbeitsplätze, Subventionen, Lebensstil, ja Wachstum und Wohlstand seien in Gefahr, hiess es allenthalben. Und mindestens seien Übergangsfristen von Nöten, wie in der Schweiz, so lautete der Tenor weit herum.
Aufschieben des Klimaproblems war die weit verbreitete Reaktion, mit Ausnahme der nordischen Staaten und Deutschland gelang es bisher nicht einmal der an sich progressiv eingestellte EU, die vergleichsweise einfachen Kyoto-Vorgaben (5% CO2-Abbau gegenüber dem Stichjahr 1990) einzuhalten - von den übrigen Nationen nicht zu reden. Die Schweiz, die bisher im Inland kaum Einsparungen erzielte, kann ihr Kyoto-Ziel (minus 8% bis 2012) nur dank Kompensationen durch Verschmutzungsrechte und Wälder erreichen (siehe Randspalte).
Im übrigen hatte die westliche Welt plötzlich Wichtigeres zu tun: aus einer harmlosen Spekulationswelle in den USA wurde im Jahr 2008 ein heimtückischer Finanz-Tsunami. Börsenkurse brachen ein, reihenweise mussten Banken vor der Pleite gerettet werden, die Not war gross. Während die Akteure des lustigen Treibens an den Finanzmärkten ihre Boni ins Trockene retteten, eilten Regierungen, Zentralbanker und Chefbeamte von einer Krisensitzung zur nächsten, subito wurde von den lange belächelten Staatsdienern «Leadership» erwartet. Ein Jahr später, noch mitten in den Aufräumarbeiten der Finanzkrise, machten hinter vorgehaltener Hand erste Schadensbilanzen die Runde: 1 Billion Euro allein für die Rettung der Banken in Europa!7
Bemerkenswert das «statement» eines jungen Börsianers zum Umgang mit Risiken: «An der Börse kannten wir nur eine Richtung: aufwärts, die Erfahrung einer Krise fehlte uns einfach, deshalb hatten wir ein solches Szenario gar nicht auf dem Radar.» Typisch für das Verhalten des homo sapiens im 21. Jahrhundert? Wenn ja, dann sind das natürlich schwierige Voraussetzungen für die Einschätzung der delikaten Klimaproblematik.

Kopenhagen: Von Hopenhagen zu Flopenhagen

Nicht dass es am nötigen Ernst gefehlt hätte: Im Vorfeld von Kopenhagen 2009 hatten unter anderem rund 60 Nobelpreisträger an die Regierungschefs appelliert, sich auf ein tragfähiges Klimaabkommen zu verständigen, gefolgt von einem gemeinsamen Appell internationaler Zeitungen zu Beginn des Gipfels. Küsten- und Inselstaaten, die ihre Existenz durch den prognostizierten Anstieg des Meeresspiegels bedroht sahen, kündigten eine gemeinsame Strategie an und äusserten ihre tiefe Besorgnis. Zu Beginn der Konferenz herrschte Aufbruchstimmung, von «Hopenhagen» war die Rede, erstmals waren auch Umweltorganisationen zugelassen, 15 000 Delegierte aus 190 Ländern nahmen Teil. AktivistInnen, StrassenkünstlerInnen und DemonstrantInnen sorgten vor den Toren des Konferenzzentrums für Trubel. Trubel auch drinnen: der Konflikt mit den Entwicklungsländern eskalierte, nachdem unter dem Titel «Danish text» ein internes Verhandlungspapier bekannt wurde, welches den Entwicklungsländern geringere CO2-Emissionsrechte zugestehen wollte. In erster Linie scheiterte die Konferenz aber an den USA und China.
Nach zähen Verhandlungen resultierte kaum Verbindliches, zur Not wurde der «Copenhagen accord»9 verabschiedet, ohne mittun der Europäer, «die durften wie gewohnt gute Mine zum bösen Spiel machen» resumierte der «Spiegel»; was Obama als «bedeutend und beispiellos» bezeichnete war de facto ein grosser Flop - «Flopenhagen», ein Spiegel der real existierenden Machtverhältnisse.

Cancun: Kleine Schritte

Weit schlichter verlief die UN-Klimakonferenz von Cancun, vor allzu hohen Erwartungen wurde dieses Mal schon im Voraus gewarnt. Das Resultat: Zwiespältig. Einmal mehr gelangten keine verbindlichen Massnahmen ins Schlussdokument der Klimakonferenz. Enthüllungen von Wikileaks, welche Geheimabsprachen und Druckversuche der USA offen legten, sorgten für Verstimmung.10 Japan und Russland drohten mit dem Ausstieg aus dem Kyoto-Protokoll, sollten die USA weiterhin nur destruktiv in Erscheinung treten.
Der dringendst notwendige Schutz des Regenwaldes ist an der Finanzierung und an Unstimmigkeiten über allfällige Verrechnungsmöglichkeiten gescheitert. Dies trotz der allseits unbestrittenen Absicht, dem Wahnsinn der Brandrodungen entgegentreten zu wollen, sind diese doch weltweit nach dem Energiesektor mit einem Anteil von zirka 20 Prozent der zweitwichtigste CO2-Verursacher.11 Im Gegensatz zu Kopenhagen wurde in Cancun immerhin ein kleiner Massnahmenkatalog erarbeitet (s. Randspalte), was einige Beobachter schon als kleinen Erfolg werteten – während die Welt nun schon auf eine voraussichtliche Erwärmung (globalen Mitteltemperatur) von 4 Grad zusteuert.

Kein Klimaschutz ohne Klimagerechtigkeit

Eines haben die jüngsten UN-Klimakonferenzen klar gezeigt: Die Macht nationaler Interessen ist grösser als die zu einer einvernehmlichen Lösung notwendige Kompromissbereitschaft. Die Angst, im Kampf um Wachstum und Wohlstand durch vertragliche Einschränkungen zurückfallen zu können, dominierte sämtliche Verhandlungen und verhinderte einen Kompromiss. Immerhin hatte man aber doch den Eindruck, dass die meisten Teilnehmer mit einem geschärften Problembewusstsein in ihre Heimatländer zurückkehrten.
Primär verhinderten Blockadehaltung und Schuldzuweisungen der zwei grössten Verschmutzer USA und China einen vernünftigen Abschluss, während viele Schwellenländer konstruktiv in Erscheinung traten. Es klemme eben nicht nur am guten Willen, auch der von den Schwellenländern (zu recht) kritisierte Verhandlungsansatz müsse geändert werden, meint etwa Hans Joachim Schellnhuber von der WBGU12, anders seien kaum Fortschritte zu erzielen (s. Randspalte)
Zur Zeit fühlt sich China nicht ganz zu Unrecht übertrieben kritisiert, liegt doch sein CO2-Austoss bei einer pro Kopf-Betrachtung immer noch sieben- bis achtmal tiefer als in den USA. Die Schwellenländer müssten differenzierter betrachtet werden und bei den Massnahmen mehr Mitspracherechte haben. Ihr Bedürfnis, zunächst eine existenzsichernde und Wohlstand schaffende Politik zu verfolgen, ist legitim. Deshalb müssten die OECD-Staaten und die übrigen Industrienationen jetzt beweisen, dass ihre Finanzierungszusagen nicht nur (wie so oft in der Vergangenheit) blosse Lippenbekenntnisse sind.
Während sich also die Vertragstaaten vermutlich noch solange im Treten an Ort üben werden, bis die Knacknüsse dank neuer Ansätze über kurz oder lang doch noch überwunden werden – hat die Klimadiskussion in den vergangenen Jahren von eher unerwarteter Seite neuen Schub erhalten: von der Wirtschaft.

Erneuerbare Energien: Gute Geschäfte

In der Schweiz oft nur lückenhaft wahrgenommen, hat sich an der technologischen Front der erneuerbaren Energien ein weites Feld aufgetan, es herrscht Hochkonjunktur in der Branche. So hatte etwa der deutsche Ingenieur Alois Wobben – ähnlich wie einst die Informatikpioniere im Siliconvalley – als Garage-Tüftler begonnen und sein erstes Windrad im Garten nebenan gestestet. 25 Jahre später ist er Chef und Eigentümer des Windgeneratoren-Herstellers Enercon, eines Weltkonzerns mit Milliardenumsätzen (2009: 3,4 Mrd. Euro), rund 10000 MitarbeiterInnen sowie Werkhallen in Deutschland, Brasilien, Indien und der Türkei. Manche solcher Geschichten liessen sich wohl auch aus Kalifornien oder Japan, Indien oder China erzählen.
Von günstigen Rahmenbedingungen der rot-grünen Politik in Deutschland (1998-2005) begünstigt, wurde unser nördlicher Nachbar zur Pioniernation für alternative Energieerzeugung. 2009 erzielten die deutschen Windanlagenbauer einen Umsatz von 6,4 Milliarden Euro, 75 Prozent davon im Exportgeschäft. Aber auch die Konkurrenz schläft nicht: An der weltgrössten Fachmesse im deutschen Husum waren letztes Jahr 1000 Austeller aus 28 Nationen präsent!
Die eindrücklichsten Fortschritte aber kann die Solartechnologie vorweisen: Das im kalifornischen Blythe von der deutschen Firma Solar Millenium geplante und von Chevron mitfinanzierte 1000 Megawatt-Solarkraftwerk dürfte eine Energiemenge von jährlich rund 4 Milliarden Kilowattstunden (s. Tabelle) liefern und damit in die Dimension von Grosskraftwerken vorstossen. Die Preise für Solarpanels halbieren sich von Jahr zu Jahr und sind mittlerweile auf dem Strommarkt durchaus konkurrenzfähig.
Die französische Stadt Lille verwertet biologische Abfälle und produziert damit jährlich vier Millionen Kubikmeter Biomethan. In der Agglomeration von London wurde vor kurzem die vollkommen energieautarke Siedlung Beddington13 errichtet.
Im Spitzenjahr 2009 betrug das Investitionsvolumen in erneuerbare Energien weltweit 162 Milliarden US-Dollar (s. Grafik), wobei China mit 64 Milliarden Dollar deutlich den Spitzenplatz einnimmt (und, nebenbei bemerkt, auch als günstigster Hersteller von Dünnschicht-Solarzellen die Konkurrenz hinter sich gelassen hat). Diese wenigen Hinweise lassen erahnen, wohin die Reise geht und dass sich einiges tut ausserhalb der Alpenfestung Schweiz.

Zwischenbilanz: «Wie es Euch gefällt»

Die nur mühseligen Fortschritte an den Klimakonferenzen sollten also nicht über den unaufhaltsamen Vormarsch der Energieproduktion aus erneuerbaren Energien hinwegtäuschen – möge dieser auch öfter dem Wunsch nach autarker Energieversorgung als der Sorge ums Klima entspringen und manchmal eher dem Wachstum als der Substitution alter Anlagen dienen. Aber nach wie vor gehen immer noch auch neue Kohlekraftwerke ans Netz, diese Superverschmutzer bleiben nicht nur wegen der billigen (und im Westen oft subventionierten) Kohle aktuell, sondern vor allem auch wegen der Arbeitsplätze (im Bergbau). Welche Provinzregierung, ob in Deutschland, den USA oder China, möchte denn höhere Arbeitslosenzahlen riskieren?
Immerhin: In der Elektrizitätserzeugung scheint die Trendwende geschafft und auch bei kommerziellen Investoren auf breites Interesse zu stossen, so publiziert etwa Ernst & Young die Länder- und Firmenstudie «Reneweble energy country attractiveness indices» wohl kaum für «grüne Idealisten». Deutlich mehr happert es nach wie vor bei der CO2-Reduktion im Verkehr (s. Randspalte) und in der industriellen Agrarwirtschaft, wo mit massiven Subventionen systematisch falsche Anreize gesetzt werden.
Quintessenz: Die Bemühungen der einzelnen Nationen fallen sehr unterschiedlich aus, je nach politischem Willen und finanziellen Möglichkeiten. Beeindruckend sind die aus der Not (drohender ökologischer Kollaps) geborenen Anstrengungen Chinas. Die meisten Staaten suchen ihre optimale Lösung zwischen Energiesicherheit, Umweltbelastung und der (lästigen) Klimaproblematik weiterhin in Eigenregie – und vor allem möglichst ohne ihr Wirtschaftswachstum zu gefährden.
Für die künftige Klima- und Umweltproblematik wird vor allem das Verhalten der «grossen» Akteure entscheidend sein, also der USA und China sowie der neuen Wachstumsstaaten im ASEAN-Verbund und in Lateinamerika sowie zunehmend auch in Afrika, wo mit kleinen Massnahmen bereits viel zu erreichen wäre.14 Das entbindet jedoch die OECD-Nationen nicht von ihren Verpflichtungen, sind sie doch nach wie vor für gut die Hälfte der CO2-Emissionen seit 1890 verantwortlich.

Beat Luder ist Mitarbeiter des Schweizerischen Friedensrates. Zuletzt schrieb er in der friZ über von Uranmunition.

Fussnoten

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