Der bis dahin unbekannte Ingenieur und Mathematiker Pierre Ceresole solidarisierte sich 1917 öffentlich in der Salle Centrale von Lausanne mit dem Westschweizer Lehrer John Baudraz, einem von der Öffentlichkeit viel beachteten Militärdienstverweigerer während des ersten Weltkrieges. Ceresole weigerte sich, seine Militärpflichtersatzsteuer zu bezahlen. Dies brachte ihn ins Gefängnis und bedeutete gleichzeitig das Ende seiner bürgerlichen Karriere. Als religiöser Mensch vertrat er vehement die Ansicht, dass aufrechte Christen den Kriegsdienst verweigern sollten, um dem patriotischen Militarismus entgegenzutreten, der sich über die göttliche Ordnung setzt. Mit anderen bekannten Pazifisten wie Leonhard Ragaz und Karl von Greyerz forderte er deshalb einen Zivildienst für Kriegsdienstverweigerer. Für dieses Anliegen reichten sie 1923 eine Petition mit rund 40 000 Unterschriften beim Parlament in Bern ein.
Bereits früh gelangte Ceresole zur Einsicht, dass Widerstand gegen Militarismus und ein ziviler Ersatzdienst alleine nicht ausreichen würden, um Frieden und internationale Sicherheit zu schaffen. Inspiriert vom amerikanischen Philosophen William James, der 1906 in einer viel beachteten Rede ein moralisches Gleichgewicht zum Krieg forderte, kam er zur Überzeugung, dass man dieselben Kräfte, die bisher sinnlos für Krieg und Rüstung vergeudet wurden, zur gegenseitigen Hilfe unter den Völkern mobilisieren müsste. Daraus entstand die Idee, den nationalen Zivildienst für Kriegsdienstverweigerer auf Freiwillige aus verschiedenen Ländern auszudehnen und internationale Zivildienste zu organisieren.
Auf der Konferenz des internationalen Versöhnungsbundes 1920 in den Niederlanden lernte Ceresole gleichgesinnte Pazifisten kennen. Sie begrüssten die Idee eines praktischen Dienstes zum Wiederaufbau kriegsversehrter Regionen mit Beteiligung deutscher Freiwilliger als Symbol der Versöhnung und Wiedergutmachung. Unterstützt von Quäkern, die bereits über praktische Erfahrungen mit Hilfsdiensten verfügten, fand Ceresole in der stark kriegsversehrten Region von Verdun (Frankreich) ein Aufbauprojekt. Während des Winters 1920/1921 bauten zehn internationale Freiwillige neue Unterkünfte für das zerstörte Dorf Esnes. Obwohl die Arbeiten gut voran kamen, verschlechterte sich das Verhältnis zu den Behörden und der Bevölkerung in Esnes aufgrund politischer Umstände zwischen Frankreich und Deutschland. Das erste Workcamp des späteren Service Civil International (SCI) musste vorzeitig beendet werden.
Ceresole verfolgte seine Vision völkerverbindender freiwilliger Zusammenarbeit weiter. Im Rahmen einer politischen Kampagne für einen staatlichen Zivildienst in der Schweiz organisierte er ab 1924 Hilfsdienste in Bergdörfern, die von Naturkatastrophen heimgesucht worden waren. Die Dienste wurden diesmal von der Bevölkerung begrüsst und begeisterten die Freiwilligen, deren Zahl von Jahr zu Jahr anwuchs. Am Dienst nach der Überschwemmung der Rhein-Ebene in Liechtenstein nahmen 1928 mehr als 700 Freiwillige aus siebzehn Ländern bei den Aufräumarbeiten teil - ein erster Höhepunkt für den internationalen Zivildienst. Ab 1930 fanden Workcamps wieder ausserhalb der Schweiz statt und der SCI formierte sich zu einer eigenständigen Organisation.
Zeitlebens setzte Ceresole grosse Hoffnung in den SCI als Organisation für Kriegsprävention. Er traf Gandhi und Mussolini, denen er unterbreitete, dass der internationale Zivildienst mehr Sicherheit biete, als die militärische Rüstung. Während Mussolini das Angebot ablehnte, wurde Ceresole nach Indien eingeladen, um einen Hilfsdienst nach einem Erdbeben durchzuführen.
Dieses Jahr feiert der Service Civil International (SCI) sein 90-jähriges Bestehen. Der erste Freiwilligeneinsatz fand nach dem Ersten Weltkrieg vom November 1920 bis April 1921 in Verdun statt, organisiert vom Schweizer Pierre Ceresole. Menschen aus vormals krieg führenden Ländern trugen gemeinsam zum Wiederaufbau im kriegszerstörten Frankreich bei. 1936 schlossen sich verschiedene Freiwilligengruppen zu nationalen Zweigen zusammen und koordinierten sich international unter dem Namen Service Civil International (SCI). Nach dem 2. Weltkrieg dehnten sich die Aktivitäten des SCI auf weitere Länder in Europa, Afrika, Asien und Nordamerika aus. In den 50er Jahren begann der Austausch von Freiwilligen zwischen West- und Osteuropa. Diese Arbeit wurde nach dem Fall der Mauer stark intensiviert.
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