friZ 2/2010

Etappenweise erschien 2007 der 4. Sachstandsbericht des IPCC über die globale Erwärmung, gegliedert in die Berichte von drei Arbeitsgruppen und einen Syntheseband.

Der vierte Bericht des IPCC (AR4)

Wie schon erwähnt, fand die 1000 Seiten starke Studie voller Kurven, Hochrechnungen und Computersimulationen entgegen bisherigen Erfahrungen erstaunlich grosse Resonanz in Medien und Politik. IPPC-Chef Rajendra K. Pachauri freut sich, dass der neueste Bericht «von allen Regierungen der Welt» akzeptiert wird und die endlosen Diskussionen über Methoden, Computermodelle und Gegendarstellungen plötzlich ein Ende finden. Der Bericht gilt bis heute als die Referenz punkto Klimawandel, weshalb dessen wichtigste Ergebnisse kurz festgehalten seien:

Arbeitsgruppe I: Wissenschaftliche Grundlagen

1. Die Beobachtungen und Messungen lassen keinen Zweifel daran zu, dass sich das Klima ändert: Die globale Erwärmung und der Meeresspiegelanstieg haben sich beschleunigt, ebenso das Abschmelzen der Gletscher. Die Trendkurve der vergangenen 50 Jahre liegt mit einer gemessenen Erwärmung um 0,13° Celsius pro Jahrzehnt nahezu doppelt so hoch wie die für die letzten 100 Jahre.
2. Es gilt als gesicherte Erkenntnis, dass im weltweiten Durchschnitt menschliches Handeln seit 1750 das Klima erwärmt hat; der Einfluss von Schwebeteilchen (Aerosole) und Wasserdampf sowie eine grössere Wolkendecke kann der Erwärmung etwas entgegenwirken, dieser Effekt wird vom IPPC aber nur als «gering» taxiert. Ebenso wird der vieldiskutierte Einfluss der Sonne – nicht zuletzt dank neuen Messverfahren aus dem Orbit – ebenfalls definitiv als gering erachtet (vgl. Grafik «Beitrag zum Klimawandel»).
3. Je nach Emissions-Szenario (abhängig u.a. von Annahmen zu Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum, vgl. Randspalte) und ohne verstärkten Klimaschutz wird sich die globale Erwärmung im Verlaufe des 21. Jahrhunderts im Mittel zwischen 1,8 und 4° Celsius bewegen. Generell wird die Reaktion des Klimasystems auf den menschlichen Einfluss so beschrieben: Bei einer Verdopplung der CO2-Konzentration steigt die globale Durchschnittstemperatur um 2 bis 4,5° Celsius.*
4. Ausgehend von denselben Emissions-Szenarien wird der Meeresspiegelanstieg im Laufe dieses Jahrhunderts zwischen 18 bis 59 cm erreichen. Bei anhaltend hoher Erwärmung in den nördlichen Breiten würde der grönländische Eisschild komplett abschmelzen und den Meeresspiegel langfristig sogar um sieben Meter steigen lassen. 5. Regionale Klimaänderung: Die Modelle für regionale Vorhersagen wurden stark verbessert und zeigen: Die räumliche Verteilung des Erwärmungstrends der letzten 50 Jahre wird sich ohne verstärkten Klimaschutz fortsetzen. In den nördlichen Breiten, in den Alpen und auf den Landmassen steigen die Temperaturen stärker als im globalen Durchschnitt.
6. Extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen, Dürren und heftige Niederschläge sind häufiger geworden. Auch die Intensität von tropischen Stürmen hat sich erhöht und wird wahrscheinlich weiter zunehmen. Beobachtete Zunahmen an Intensität stehen in Zusammenhang mit der steigenden Oberflächentemperatur der Meere.
7. Versauerung der Ozeane: Die zunehmende CO2-Konzentration in der Atmosphäre führt dazu, dass auch in den Ozeanen mehr CO2 gebunden wird und diese somit versauern. Dies wiederum gefährdet zum Beispiel Planktonorganismen und Korallenriffe und damit ganze Nahrungsketten.

Arbeitsgruppe II: Auswirkungen, Anpassung, Gefährdung

Hunderte von Wissenschaftern haben rund 30000 Datensätze aus über 70 internationalen Studien aus den letzten Jahrzehnten überprüft und ausgewertet. Diese Daten beschreiben Vergangenheit (z.B. Eisbohrkerne) und Gegenwart und dienen als Basis für Computermodelle und Voraussagen.
1. Klimawandel heute – beobachtete Folgen: Bereits heute sind manche Veränderungen als Auswirkungen der globalen Erwärmung auszumachen, zu diesen gehören der Rückgang der Eis- und Schneedecke in den kalten Regionen der Erde, was zu mehr Überschwemmungen führt. Der Frühling (und mit ihm Ereignisse wie Blattentfaltung und Vogelzug) beginnt immer früher; die Verbreitungsgebiete von Tier- und Pflanzenarten verschieben sich polwärts. Der Permafrost taut weiter auf; Hitzewellen erhöhen Sterblichkeit und Infektionspotential. 2. Klimawandel in Zukunft – absehbare Folgen: Gegenüber dem Dritten Sachstandsbericht (TAR3) hat auch das Wissen um künftige Auswirkungen des Klimawandels zugenommen. Erwartet wird, dass es in den hohen Breitengraden und in den feuchten tropischen Gebieten mehr Niederschläge geben wird (in trockenen Regionen dagegen noch weniger!). Sowohl Überschwemmungen durch Starkregen als auch Dürreperioden werden zunehmen und vor allem in den niedrigen Breitengraden die Nahrungsmittelproduktion und Wasserversorgung zunehmend gefährden; dadurch wird es in Afrika und in manchen Regionen Asiens vermehrt zu Hungersnöten kommen.
Besonderen Risiken werden auch die Küsten ausgesetzt sein. Von Fluten aufgrund des ansteigenden Meeresspiegels werden Millionen Menschen betroffen sein, insbesondere in den grossen Flussdeltas Afrikas und Asiens und auf den kleinen Inseln. Die Gesundheit wird durch zunehmende Durchfallserkrankungen und erleichterte Ausbreitung von Krankheitserregern zusätzlich gefährdet. Der Meeresspiegel wird bis ins Jahr 2100 im besten Fall um 18 bis 37 Zentimeter, im schlimmsten Fall um 26 bis 59 Zentimeter steigen.
3. Hinsichtlich Temperaturanstieg ist mit folgenden Auswirkungen zu rechnen:
• Erwärmung um weniger als 1,5° C: Stürme und Hochwassersituationen treten häufiger auf, die Gesundheit wird durch Hitzewellen wie jene im Sommer 2003 beeinträchtigt, als auch in der Schweiz fast 1000 Menschen starben. In südlichen Ländern treten vermehrt Mangelernährung, Durchfall und Infektionskrankheiten auf.
• Erwärmung um 1,5 – 3,5° C: Die Folgen sind in jeder Hinsicht gravierend: Abschmelzprozess der polaren Eisschilde; viele Millionen KüstenbewohnerInnen werden durch den Anstieg des Meeresspiegels vertrieben; weitgehender Verlust der biologischen Artenvielfalt.
• Erwärmung um mehr als 3,5 °C: Alle Systeme, und insbesondere die menschlichen Gesellschaften, sind überfordert mit der Anpassung an eine solche Erwärmung; regional können die Auswirkungen dramatisch sein. Vom Klimawandel besonders betroffen wären Afrika (südlich der Sahelzone), kleine Inseln, die Arktis sowie die dicht bevölkerten Flussmündungen, etwa in Asien. Die Flüchtlingsströme könnten ungeahnte Ausmasse annehmen.

Auch wenn der Weg von den atmosphärenphysikalischen Hochrechnungen zu den Klimamodellen des IPCC sogar Fachleuten als lang erscheinen mag, zeigen die modulierten Daten in der Vergangenheitsbetrachtung mit den gemessenen Daten eine eindrückliche Übereinstimmung. Und noch etwas: Schon allein wegen der drohenden Ressourcenknappheit und wegen der irreversiblen Umweltzerstörung gibt es nur einen Weg in die Zukunft – den der Nachhaltigkeit.

* Der Einfluss von so genannten «Feedback Mechanismen» wurde bei diesen Modellen aus Komplexitätsgründen nicht berücksichtigt (zum Beispiel kann frei gelegter schwarzer Schiefer unter dem schmelzenden Gletscher den Erwärmungsprozess zusätzlich beschleunigen). Diese sind aber in hohem Masse relevant, so dass die errechneten Erwärmungswerte eindeutig noch nach oben korrigiert werden müssten!


Stern-Bericht

Neben dem IPCC-Bericht 2007 liess auch der Report des ehemaligen Chefökonomen der Weltbank Nicholas Stern, der im Auftrag der britischen Regierung 2006 publiziert wurde, aufhorchen: Danach fallen die volkswirtschaftlichen Kosten des Nichthandelns (520 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts BIP) um ein mehrfaches höher aus, als Investitionen in die Stabilisierung der CO2-Konzentrationen kosten würden (bloss 1–2 Prozent des weltweiten BIP). Es geht deshalb beim Klimaschutz laut Stern nicht um eine Wahl zwischen der Vermeidung des Klimawandels und der Förderung von Wachstum und Entwicklung. Die Bekämpfung des Klimawandels sei vielmehr langfristig gesehen eine Strategie für die Beibehaltung von Wachstum, auch weil damit neue Märkte, zum Beispiel für Technologien zur CO2-neutralen Energieerzeugung und für CO2-effizientere Waren und Dienstleistungen geschaffen werden.

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