friZ 2/2010

Über die SVP-Ausschaffungsinitiative und den Gegenvorschlag wird am 28. November 2010 abgestimmt. Die vorgängige Kampagne entwertet einmal mehr menschenrechtliche Prinzipien. Von Anni Lanz

Keine Sonderrechte für AusländerInnen

Im Ausschaffungsgefängnis habe ich verschiedene junge Männer kennen gelernt, die in der Schweiz (oder in Deutschland) mit einer festen Aufenthaltsbewilligung aufgewachsen sind. Wegen eines Delikts, für welches sie eine Strafhaft abgesessen haben, wurde ihnen die Aufenthaltsbewilligung entzogen und über sie die Ausschaffungshaft nach Haftverbüssung verhängt. Sali, der in der Schweiz mit einer Niederlassungsbewilligung aufgewachsene ist und mit einer Schweizerin liiert ist, hatte mit einer Jugendbande randaliert. In der Strafhaft wurde er resozialisiert. Er kann heute seine jugendlichen Missetaten nicht mehr verstehen. Doch für Ausländer gilt kein Pardon: So etwas wie Wiedergutmachung gibt es für sie nicht. Wer einmal strauchelt, wird definitiv ausgegrenzt. Abgeschoben in ein ihnen oft fremdes Land und getrennt von Freunden, Eltern und Geschwistern. Die Einreisesperre erlaubt kein Wiedersehen hier. Existentielle Beziehungen werden rücksichtslos getrennt. Ich erlebe im Ausschaffungsgefängnis junge Frauen, die von ihren Lebenspartnern, kleine Kinder, die von ihren Vätern, Geschwister, die von ihrem Bruder getrennt werden. In den Besuchsräumen spielen sich, von der Aussenwelt unbemerkt, unsägliche Trennungs-Tragödien ab. Als ob nur AusländerInnen ohne Fehl und Makel ein Recht auf Beziehungen hätten. Als ob wir unsere FreundInnen nur unter den Unfehlbaren suchen würden und sie fallen liessen, sobald sie fehlbar werden.

Kein Recht auf Fehler

Die Totalrevision des schweizerischen Ausländergesetzes (AuG), über das wir vor vier Jahren abgestimmt haben, zeichnet sich durch einen massiven Ausbau von Strafbestimmungen aus. So können Verstösse gegen Ein- und Ausgrenzungsverfügungen (so genannte Rayonverbote) mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft werden! Auch die Hürden für einen Aufenthaltsbewilligungsentzug sowie für Wegweisungsentscheide wurden gesenkt - bei Niedergelassenen jedoch sind sie höher als bei JahresaufenthalterInnen. Und sie müssen nicht zwingend erfolgen. Anders bei der anstehenden Ausschaffungsinitiative und deren Gegenvorschlag: Der Widerruf einer Bewilligung soll nun in die Verfassungsstufe eingeschrieben werden. Er erfolgt zwingend und unabhängig von der Art des Aufenthaltsstatus. Hier geborene Secondos und Secondas sind genau so betroffen wie erst kürzlich Zugewanderte.
Die Strafkataloge in Initiative und Gegenvorschlag, die zwingend zu einer Ausweisung führen, sind zwar verschieden, enthalten aber auch geringfügige Vergehen wie mehrere Geldstrafen innerhalb von zehn Jahren - summiert zu mindestens 720 Tagessätzen (Gegenvorschlag) - oder unrechtmässiger Sozialhilfebezug (Initiative und Gegenvorschlag, wobei letzterer eine Freiheitsstrafe von mindestens 18 Monaten voraussetzt). Solche Verfehlungen können leicht geschehen. Das Nichtanzeigen einer Mietzinssenkung bei der Sozialhilfebehörde oder das wiederholte Beherbergen von Sans-Papiers können das Bleiberecht gefährden. Rechtsunkundige MigrantInnen, die den Einspruch auf einen Strafbefehl unterlassen oder - was leider immer wieder vorkommt - eingeschüchtert einen Einspracheverzicht unterschreiben, riskieren rasch überhöhte Strafen.

Völkerrechtswidrig

Die Ausschaffungsinitiative passierte die Räte des Bundesparlaments, obwohl klar war, dass ihr Wortlaut Völkerrecht verletzt. Aber auch der Gegenvorschlag der bürgerlichen Parteien fand eine knappe Mehrheit. Er hält in einem Absatz fest, dass beim Entscheid einer Aus- und Wegweisung das übergeordnete Völkerrecht berücksichtigt werden muss. Dies gilt aber de facto auch bei Entscheiden gemäss Ausschaffungsinitiative, auch wenn der Initiativtext diesen Vorbehalt nicht erwähnt. Bei einem völkerrechtswidrigen Entscheid muss aber - ähnlich wie bei der Minarettverbotsinitiative - der ganze inländische Instanzenweg durchlaufen und dann an den Menschenrechtsgerichtshof gelangt werden. Dies trifft natürlich auch beim Gegenvorschlag zu.
Die SP-ParlamentarierInnen, die für den Gegenvorschlag gestimmt haben, standen in einem Gewissenskonflikt. Wie einige sagen, haben sie aus taktischen Überlegungen zugestimmt, um die Ausschaffungsinitiative zu verhindern. Der Gegenvorschlag war für sie gewissermassen das Gegengift zu dieser. Doch sowohl Initiative wie auch Gegenvorschlag verankern erneut eine Rechtsungleichheit - eine Diskriminierung nach Herkunft - in der Verfassung.

In der Falle

Die Frage, wie man sich angesichts fremdenfeindlicher Kampagnen taktisch am klügsten verhalten soll, wurde in den letzten 25 Jahren unter KritikerInnen der Asyl- und Migrationspolitik immer wieder in ähnlichen Kontroversen heftig diskutiert. Ist es unklug, für AusländerInnen nach gleichstellungspolitischen Prinzipien Stellung zu nehmen in einem Umfeld, das - juristische Finessen ignorierend -mehrheitlich pauschal gegen Ausländer und das Fremde optiert? Begibt man sich mit Zugeständnissen an fremdenfeindliche Postulate in eine Logik, aus deren Fängen es kein Entkommen mehr gibt?
Stereotypen sind pauschale Minderbewertungen von anderen im Vergleich zur Einschätzung der Wir-Gruppe. Sie sind Konstrukte, die das Eigene als das Reine vom Fremden als das Beschmutzende oder Bedrohliche abgrenzen. Wer auch nur ansatzweise beginnt, dieser Logik zu folgen, ist bereits in der Falle gefangen - aus der man sich auch nicht mit positiven Gegenstereotypen befreien kann. Bei Auseinandersetzungen mit fremdenfeindlich Gesinnten ist jeweils entscheidend, wer die Diskurslogik vorgeben kann. Wer seinem fremdenfeindlich gesinnten Gegenüber Verständnis signalisiert und sich auf seine Argumentationsweise einlässt, läuft Gefahr, seine eigene Überzeugung zu verraten. Beispielsweise diejenige, dass vor dem Strafgesetz alle Menschen, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, gleich sein müssen. Dass es also kein zusätzliches Sonderstrafrecht für AusländerInnen geben darf. Wer über die Höhe des Strafmasses zu feilschen beginnt, das zwingend zu einer Ausweisung einer Person ohne Schweizerpass führen muss - notabene zusätzlich zur strafrechtlichen Ahndung -, hat bereits das Prinzip der Rechtsgleichheit verlassen. Wer auf menschenrechtlichen Grundprinzipien besteht, wird in den Medien rasch als «polarisierend» bezeichnet. Alle Abstimmungskampagnen gegen Asyl- und Ausländerinitiativen der SVP waren schon immer Anti-Menschenrechtskampagnen. Die Menschenrechte haben jedes Mal an Terrain eingebüsst.

Noch mehr Ausschaffungsgefängnisse?

Die bestehenden Platzverhältnisse in den Ausschaffungsgefängnissen genügen den laufend neu angeordneten Ausschaffungshaften nicht. Als Mitarbeiterin des Solinetzes Basel besuche ich fast täglich Ausschaffungshäftlinge und beobachte, dass Insassen, die lange in der Schweiz gelebt haben, sich einer Wegweisung nicht fügen. Aber auch die Herkunftsländer bieten für Rückübernahmen nach so langen Auslandaufenthalten kaum mehr Hand. So wird denn immer häufiger Beugehaft angeordnet und diese verlängert. Wer dabei psychisch erkrankt, wird im Ausschaffungsgefängnis mit Tabletten abgespiesen. Es gibt keine reintegrativen oder therapeutischen Massnahmen. Insofern ist diese Art der Haft schwieriger zu ertragen als eine Strafhaft. Und dennoch will die Schweiz, das Land mit der grössten Dichte an Ausschaffungsgefängnissen in ganz Europa, die Zwangsausschaffungspraxis gegenüber AusländerInnen noch einmal ausweiten.

Anni Lanz lebt in Basel und ist aktiv bei Solidarité sans frontières. 2007 wurde sie mit dem Fischhof-Preis von der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) und der Gesellschaft Minderheiten in Schweiz (GMS) ausgezeichnet.

Mehr zur Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative der SVP und den Gegenvorschlag gibt's im Internet unter: www.ausschaffungsinitiative-2xnein.ch

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