friZ 4/2009

Eine kolumbianische stellt das Konzept so genannt «nachhaltiger Agrotreibstoffe» grundsätzlich in Frage. Von Johannes Pernsteiner

Biosprit gefährdet Mensch und Natur

Agrotreibstoffe aus Palmöl oder Zuckerrohr gefährden die Umwelt und bringen zahlreiche soziale Probleme mit sich. Das betont die Politologin Paula Alvarez, Expertin für Organisationen im Bereich Umwelt und ländlicher Raum bei der kolumbianischen Nichtregierungsorganisation «Grupo Semillas» (deutsch: Gruppe Samenkörner). Anlass zum Gespräch mit ihr gab der Österreich-Besuch der Expertin bei einer Veranstaltungsreihe der Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar*, welche den aktuellen Biosprit-Boom in Kolumbien kritisch beleuchtete. Kolumbiens Palmöl wird derzeit zu Kochöl, Margarine und Seife verarbeitet, für die Zukunft steuert man jedoch ein stärkeres Augenmerk auf die Erzeugung von Biodiesel an. Einen anderen biogenen Treibstoff gewinnt man schon bisher aus Zuckerrohr, das zu Ethanol verarbeitet werden kann. Bisher versorgen die Agrotreibstoffe erst den nationalen Markt Kolumbiens - zehn Prozent Biosprit werden hier dem Benzin beigemischt. Dieses Ziel peilt auch die EU bis 2020 an. Angetrieben von der weltweit steigenden Nachfrage und internationalen Subventionen, will Kolumbien in Zukunft Biosprit in grossem Stil exportieren, was aktuell eine rasante Zunahme der Energie-Monokulturen bedeutet.

Soziale und ökologische Katastrophe

Dieser Anbau habe hohe soziale Kosten, macht Alvarez klar. In Kolumbien gibt es aufgrund des seit mehr als vier Jahrzehnten anhaltenden Konflikts derzeit vier Millionen vertriebene Menschen im eigenen Land, für die bisher noch keine Lösung gefunden werden konnte. Gleichzeitig befänden sich fünf Millionen Hektar Land im Besitz weniger Agrosprit-Unternehmer, die es besonders auf die ertragreichsten Böden abgesehen haben. Der Druck auf die Bauern steige, ihre Gebiete aufzugeben oder Zuckerrohr und Palmen statt Lebensmittel anzubauen. «Wir glauben, dass durch den zunehmenden Anbau von Biotreibstoffen die Konflikte rund um den Landbesitz verschärft wurden, was auch zu einem Anstieg der Gewalt geführt hat», so Alvarez. Ein besonderes Anliegen ist der Politologin die Situation der Arbeiter auf den Zuckerrohr-Plantagen. Die Gewinne der Branche würden nicht an sie weitergegeben werden, vielmehr sei grosse Ausbeutung mit 14 Arbeitsstunden pro Tag bei Niedriglohn die Regel. Möglich sei dies durch die Ausgliederung der Arbeiter in Arbeitskooperativen, die ihnen auch Sozialleistungen verwehren. «Üblich ist auch die Verbrennung des grünen Zuckerrohrs, bei der das Saccharose-Produkt konzentriert wird und ein Drittel seines Gewichtes verliert. Dieser Vorgang sorgt dafür, dass Transport und Arbeitskraft billiger werden, da sich der Gehalt nach dem Produktgewicht richtet.» Die dabei erzeugten Abgase würden dafür sorgen, dass in den Plantagenregionen die meisten Atemwegserkrankungen Kolumbiens registriert werden.

«Es gibt keine grünen Biotreibstoffe»

Zudem sei der agroindustrielle Anbau von Palme und Zuckerrohr auch für die Umwelt schädlich. Beide seien sehr wasserintensive Pflanzen, betont die kolumbianische Politologin. «Eine Hektare Palmen oder Zuckerrohr benötigt jährlich über 10000 Kubikmeter Wasser, somit rund dreimal mehr als Tomate und Mais.» Wasser sei auch in Kolumbien zunehmend ein knappes Gut, das soziale Konflikte herbeiführen könne. Der Monokultur-Anbau erfordere hohen Einsatz von Pestiziden, welche die Böden langfristig belasten, zudem bedeute auch die Zerstörung des Regenwaldes zugunsten der Plantagen einen Verlust an Biodiversität.
«Weder Palmöl noch Biotreibstoffe sind als nachhaltige, grüne Produkte anzusehen», resümiert Alvarez. Es sei daher nicht sinnvoll, Agrotreibstoffen Nachhaltigkeits-Zertifikate zu erteilen. Als einzigen Ausweg sieht Alvarez ein globales Umdenken weg von Biotreibstoffen. «Es braucht mehr Bewusstsein dafür, wie problematisch diese Energieform für die Anbauländer und schliesslich auch für den gesamten Planeten ist. Weit günstiger und nachhaltiger wäre es, andere Formen der Energieerzeugung zu fördern.»

Paula Alvarez, lebt und arbeitet als Politologin in Kolumbien. Sie ist Expertin zum Thema Agrotreibstoffe, Beraterin der Zuckerrohrarbeiter, Autorin der Studie «soziale Schulden der Zuckerrohrwirtschaft in Kolumbien» und Mitarbeiterin beim Grupo Semillas. Diese Nichtregierungsorganisation arbeitet seit 1993 zu den Themen nachhaltige Produktionssysteme, Biodiversität, traditionelles Wissen, Eigentumsrechte, Freihandel und Grossprojekte. Ihre Ziele sind die Information und Ausbildung der betroffenen Bevölkerung, deren Begleitung bei konkreten Aktivitäten und das Aufmerksammachen von nationaler und internationaler Öffentlichkeit. Mehr Infos (auf Spanisch) im Internet: www.semillas.org.co Johannes Pernsteiner ist Redakteur bei pressetext.austria. Sein Text ist im Internet unter www.pressetext.ch abrufbar.

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