friZ – Kolumne aus Nr. 2/2009

Was bleibt?

Vor 20 Jahren, am 30. April 1989, erlebte der Konziliare Prozess1 in der DDR mit der Schlusserklärung der Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in Dresden seinen vorläufigen Höhepunkt. Schon dass 147 Vertreter aller Kirchen, 27 Berater und 22 Gäste über einen Zeitraum von einem reichlichen Jahr zusammengefunden, ernsthaft miteinander gearbeitet und gestritten hatten und trotzdem zu einem Ergebnispapier gekommen waren, war erstaunlich. Aber eine ganz neue Erfahrung war, dass dies ohne Einladung und Organisation von Partei und Regierung geschah und dass eine breite Basisbewegung diese Versammlung mit mehr als tausend Eingaben vorbereitet und begleitet hatte. Die Delegierten waren eine bunte Mischung von Vertretern der kirchlichen Hierarchie, der Basis und der Friedens-, Umwelt- und Gerechtigkeitsgruppen. Alles eher unnormal, auch der gegenseitige Respekt bei den doch manchmal sehr harten Auseinandersetzungen. Die Versammlung begann im Februar 1988 mit «Zeugnissen der Betroffenheit». Spätestens da wurde auch der Öffentlichkeit klar, dass es nicht um kircheninterne Zustände, sondern um die gesellschaftspolitischen, friedensethischen und umweltbelastenden Defizite im Lande ging, die bis dato ganz erfolgreich unter den Teppich gekehrt worden waren. Ich meine, die Ökumenische Versammlung und der damit verbunden Prozess wären ohne die Erfahrung und Bedrückung der DDR-Wirklichkeit in dieser Form nicht zustande gekommen. Wie das die damals Herrschenden sahen, wird an einer Äusserung des Staatssekretärs für Kirchenfragen Löffler gegenüber dem Sächsischen Landesbischof Hempel deutlich: «(Die Ökumenische Versammlung und ihre Ergebnispapiere sind) eine Plattform für eine Reform der gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR und eine Oppositionspartei.»
Sie begriffen, ihre Macht zerbröselt, sobald welche den Mut haben, über die Zustände auch nur zu reden.
Ich arbeitete in der Gruppe «Wehrdienste und vormilitärische Ausbildung» mit. Der Knackpunkt hier war die Meinung vor allem aus den Friedensgruppen, dass Wehrdienstverweigerung und Bausoldatendienst das «deutlichere Zeichen christlichen Friedenshandelns» sei. Diese Formulierung haben wir bei härtesten Auseinandersetzungen nicht in das Papier gebracht. Dafür aber den Begriff der «gewaltlosen sozialen Verteidigung», was uns noch einen Tag vor Ende der Versammlung keiner zutraute. «Unsere Hoffnung ist, dass in Zukunft auch Elemente von gewaltloser, sozialer Verteidigung als Mittel von Friedenssicherung möglich werden». Da bin ich heute noch stolz drauf, dass das in den Papieren steht, obwohl das wohl weniger unserer Argumentationskunst als vielmehr der Übermüdung der Gegner zuzuschreiben war. Das wurde dann auch vor der Sächsischen Landessynode als Beispiel genannt, dass in das Papier auch wirklichkeitsferne und träumerische Ideen Einzug gehalten hätten.
Warum schreibe ich das alles? Weil ich glaube, dass diese Versammlung vor zwanzig Jahren mit ihrer Schlusserklärung am Vorabend des 1. Mai 1989 ganz entscheidend dazu beigetragen hat, dass das autoritäre und diktatorische Regime in unserem Land zusammenbrach und dass es friedlich geschah. Was bleibt von alldem? Ist alles nur Asche, die es zu bewahren gilt? Oder können wir etwas von dem Feuer, das damals in uns brannte, weitertragen? Drei friedenspolitische Aussagen von damals, sind heute noch genauso aktuell:

Hansjörg Weigel verweigerte in der ehemaligen DDR den Waffendienst und gründete 1973 zusammen mit Freunden das «Christliche Friedensseminar Königswalde» bei Zwickau, das er seither mitleitet. Heute lebt und arbeitet der gelernte KfZ-Elektriker in Werdau, wo er Stadtrat ist.

Fussnote

  1. «Konziliarer Prozess» ist die Bezeichnung für den gemeinsamen Lernweg christlicher Kirchen zu Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Begonnen hat diese Bewegung auf der VI. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Vancouver (Kanada) 1983. Auf der Vollversammlung in Vancouver wurde die Stationierung von Massenvernichtungswaffen diskutiert und als Verbrechen gegen die Menschheit bezeichnet. Die Kirchen sollten für Frieden gemeinsam eintreten, um etwas bewirken zu können. (aus: Wikipedia)
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