War 2008 ein gutes Jahr für die Weltraumforschung und die Weltraumfahrt?
Men Jon Schmidt: Ja, sowohl in der bemannten wie auch unbemannten Raumfahrt. Es gab drei erfolgreiche Shuttle Missionen zur Internationalen Raumstation ISS, sechs Ariane-5 Starts, das Fortfahren der Marskartographie durch den «NASA Mars Reconnaissance Orbiter» sowie die erfolgreiche Weiterführung der Marsuntersuchungen durch die nach fünf Jahren immer noch funktionstüchtigen NASA-Roboter «Spirit» und «Opportunity», um nur einige Beispiele zu nennen.
Was ist heute das Hauptproblem der Weltraumforschung? Sind es eher technische oder biologische Probleme? Oder ist es der Geldmangel?
Men Jon Schmidt: Ich würde meinen, dass vor allem mit den finanziellen Mittel sparsamer als früher umgegangen wird. Dies weil ein Teil der vorhandenen Mittel für eine aufwendige Administration aufgewendet werden muss und so für die wissenschaftliche Forschung fehlen. Wegen Pannen bei früheren Missionen ist man zurzeit stärker auf Sicherheit bedacht, was sehr kostenintensiv ist und zum Teil fast in eine Art Hysterie ausartet. Auch die Medien tragen jeweils dazu bei, indem sie den Eindruck erwecken, eine Mission sei ein Flop oder zu risikoreich gewesen, obwohl sie in Wirklichkeit absolut erfolgreich war. Aber wegen der aktuellen Wirtschaftskrise werden die Weltraumetats in den nächsten Jahren wohl eher aufgestockt werden, sozusagen als Wirtschaftsspritze.
Mit dem Ende des Kalten Krieges ist so etwas wie die Raison d'Etre der Weltraumforschung weggefallen. Inwiefern ist das heute ein Nachteil? Machen private und kommerzielle Engagements im Weltraum Sinn?
Men Jon Schmidt: Dank der Zusammenarbeit der verschiedenen Raumfahrtnationen können heute auch grosse Projekte wie die Internationale Raumstation ISS realisiert werden, die von einer einzelnen Raumfahrtnation nicht getragen werden könnte. Ausserdem können die einzelnen an gemeinsamen Missionen beteiligten Nationen ihren Beitrag in den Bereichen ihrer Kernkompetenzen leisten. Zum Beispiel die USA mit dem Space Shuttle als Transportmittel für grosse Elemente, Wartungsmissionen, und bemannte Flüge allgemein; die europäische Raumfahrtagentur ESA mit ihrer Ariane 5-Rakete für kommerzielle unbemannte Nutzlasten; oder Russland mit seinem Sojuz/Progress Konzept für Nachschub und Besatzung beider ISS.
Private kommerzielle Konkurrenz schadet den etablierten klassischen Weltraumnationen nicht, sondern belebt eher den Mark und zwingt die staatlichen Organisationen, ihre eingeschlagene Strategie zu hinterfragen. Die Zusammenarbeit der Raumfahrtnationen ist ausserdem ein Instrument für politische Stabilität und wirtschaftliche Prosperität in der Welt.
Gibt es in der Weltraumforschung überhaupt noch einen Wettbewerb? Wenn ja, wo? Kann die ESA (und indirekt die Schweiz) mithalten?
Men Jon Schmidt: Wettbewerb gibt es immer, und dies ist auch gesund. Er animiert die beteiligten Nationen zu neuen Anstrengungen, um technisch mithalten zu können, und ermuntert zu neuen Investitionen bei der Erforschung des Weltraums. So zum Beispiel bei der Entwicklung neuer Trägersysteme, Forschungs-, Anwendungs- und Kommunikationssatelliten. Die ESA kann sehr wohl mit den beiden Grossen USA und Russland mithalten, in gewissen Bereichen (z.B. Ariane, interplanetare Raumsonden, Erdbeobachtung) hat sie sogar eine Führungsrolle übernommen.
Wie schätzen Sie die Mondinitiative der NASA ein? Ist sie eines der grössten Weltraumprojekte aller Zeiten? Weshalb werden vermutlich 48 Jahre vergehen, bis ein Mensch wieder einen Fuss auf den Mond setzen wird? Was versprechen Sie sich von den wissenschaftlichen Experimenten auf dem Mond?
Men Jon Schmidt: Die Mondinitiative kann wirklich als das ehrgeizigste Raumfahrtsprojekt der Gegenwart eingestuft werden. Die Möglichkeiten der bemannten Raumfahrt werden durch dieses neue modulare und ausbaubare Konzept enorm erweitert. Die Planung ist dabei schon bedeutend weiter, eine bemannte Marsmission soll erst als übernächster Schritt folgen. Der Mond wurde jahrzehntelang vernachlässigt, es gab auch keinen Bedarf für ein bemanntes Transportsystem zu unserem Erdtrabanten. Deshalb müssen diese Systeme neu entwickelt werden; dafür werden bewährte Technologien genutzt und weiter ausgebaut. Sie werden eines Tages nicht nur für den bemannten Mondflug eingesetzt werden, sondern auch als Transportmittel zur ISS oder gar zum Mars.
Der Mond als Zwischenetappe auf dem Weg zum Mars: Weshalb wählt die NASA diesen Weg?
Men Jon Schmidt: Vom Mond aus lässt sich ein Flug zum Mars mit weniger Energieaufwand bewerkstelligen als von der Erde, da der Mond nur ein Sechstel der Erdschwerkraft besitzt. Er ist also ein ideales Sprungbrett für Flüge zu den Planeten. Der Mars ist die erdähnlichste Welt im Sonnensystem und derjenige Himmelskörper, auf dem mit dem geringsten Aufwand Bedingungen für eine dauernd bemannte Basis geschaffen werden können. Ausser einer dünnen Atmosphäre besitzt er auch grosse Wasservorkommen, die zur Treibstoffgewinnung (Wasserstoff/Sauerstoff) oder als Trink- und Nutzwasser benötigt werden. Die bislang ungeklärte Frage, ob es Spuren von Leben auf dem Mars gibt oder gab, wird vermutlich erst durch die direkte Präsenz von Menschen auf dem roten Planeten geklärt werden können, da er einem noch so gut entwickelten Roboter immer überlegen ist.
Was bringt es der Menschheit, ausserhalb der Erde nach neuem Lebensraum zu suchen? Stehen kommerzielle oder menschliche existentielle Gründe im Vordergrund? Oder die Abenteuerlust? Wo liegen dabei die Chancen und Gefahren? Ist der anvisierte Weltraumtourismus realistisch?
Men Jon Schmidt: Sowohl als auch, in Zukunft wird die Menschheit auf die Gewinnung von Rohstoffen vom Mond oder anderen Planeten angewiesen sein. Einerseits zur Schonung unseres Heimatplaneten oder infolge Rohstoffknappheit. Somit wird einer der ersten Schritte bei der «Besiedlung» von Mond und Mars der Aufbau eines Bergwerks sein. In ferner Zukunft ist es durchaus denkbar und vielleicht sogar zwingend, dass sich Menschen im grossen Stil auf diesen Himmelskörpern niederlassen. Abenteuerlust und stetige Erweiterung unseres Wissens sind sicher auch Gründe für die Erforschung des Mondes und der Planeten.
Wenn die beschriebenen Schritte vollzogen sind, wird der Weltraumtourismus sicher eines Tages allgegenwärtig sein. Kurzfristig werden private Unternehmen wie Virgin Galactic mit SpaceShipTwo5 im grösseren Stil Menschen auf einen kurzen Weltraumtrip transportieren. Und vielleicht wird BigalowAerospace6 in etwa 15 Jahren das erste private Weltraumhotel in einer niederen Erdumlaufbahn einrichten. Vermutlich wird es aber noch 50 Jahre dauern, bis man von einem eigentlichen Weltraumtourismus sprechen kann.
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