FriZ - Kolumne aus Nr. 1/2009

Schwerter zu Pflugscharen

Zwischen meinen Büchern steht eine Bronzeglocke. Sie wurde aus überlagerten Rüstungsbeständen des Warschauer Paktes gegossen.

Der Klöppel ist ein Geschoss von einer überalterten Schusswaffe der Nato. Was dieser Glocke widerfahren ist, ist das genaue Gegenteil der Erfahrung der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. Glocken wurden im Laufe dieser Jahre zweimal aus ihren Türmen gerissen und zu Kanonen umgegossen. Bei dieser Glocke aber ist es anders, total anders. Sie dient uns bei den Treffen des Christlichen Friedensseminars als Pausenglocke. Aus Waffen wird ein Gerät, das zusammenruft zur Gemeinschaft und das zum Frieden mahnt bei hitziger Diskussion. Ihr geschah das, was auf ihr als Relief dargestellt ist. Ein Schmied schmiedet darauf ein Schwert zu einem Pflugschar um. Darunter steht: «Schwerter zu Pflugscharen» mit Bezug auf die Worte aus dem 4. Kapitel im Buch des Propheten Micha: «Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spiesse zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.»

«Schwerter zu Pflugscharen», eine dieser symbolträchtigen Aktionen, die zu Beginn der achtziger Jahre die unabhängige Friedensbewegung in der DDR stärkten und dabei den Boden mit auflockerten, in dem der Widerstand wuchs gegen dieses geist- und freiheitsverachtende Unterdrückungssystem in unserem Land.

Die Geschichte dieses Widerstands und der daraus wachsenden Friedlichen Revolution im Jahr 1989 hat eine lange Vorgeschichte. Eine ihrer Wurzeln liegt viele Jahre zurück, tief in den sechziger Jahren. Nach der Einführung der Wehrpflicht im Januar 1962 verweigerten schon im Frühjahr 231 junge Männer den Wehrdienst in der DDR, 1963 waren es 439 und im Jahre 1964 verweigerten 956. Es kam daraufhin zu Gesprächen zwischen der evangelischen Kirche und der Regierung und man einigte sich auf eine Möglichkeit des Wehrersatzdienstes: die Bausoldaten. Das war ein waffenloser Dienst in der Nationalen Volksarmee und in seiner Art einmalig im Warschauer Pakt. Für uns, die wir dort Dienst taten, war diese Alternative zum Wehrdienst umstritten, weil wir in die militärischen Strukturen eingebunden waren, weil wir ein Gelöbnis ablegen mussten (was wir verweigerten) und weil wir unter anderem an militärischen Objekten arbeiteten.

Aber wir waren als Gleichgesinnte aus allen Gegenden der DDR zusammengekommen, wir wurden gezwungen zusammenzukommen und das auf engstem Raum und für die Dauer von anderthalb Jahren. Unsere Motivation hätte unterschiedlicher nicht sein können: Christen aus den Landeskirchen, Freikirchen und der katholischen Kirche, Pazifisten, Linke und Anarchisten, dogmatisch und offen, verbissen und heiter, Akademiker und Arbeiter. In Einem nur einig: in der Ablehnung des Wehrdienstes in der DDR. Für viele von uns war klar, «Bausoldat ist man ein Leben lang». Das hiess: an der Friedensarbeit bleiben und sich Verbündete suchen, dranbleiben und sich und andere weiterbilden und dranbleiben und politisch aktiv werden. Und dadurch geschah das Paradoxe, dass der Machtapparat, der Zweifel und Kritik unterdrückte, der Andersdenkende, sobald sie aktiv wurden, weg sperrte, sich so seinen Widerstand selber organisierte, die Axt eigenhändig an seine Wurzeln legte, die Schlange an seiner Brust nährte. Viele von denen, die der Friedlichen Revolution den Weg bereiteten, die später politische Verantwortung übernahmen, waren ehemalige Bausoldaten.

Die Geschichte von «Schwerter zu Pflugscharen» begann aber erst richtig als Bild zum Kirchentag 1978 in Leipzig. Es war nur gedacht als ein Symbol zur Bibelarbeit über Micha 4, traf aber so genau die aktuelle Situation, dass dieses Bild überall auf den Strassen, in den Bussen und Strassenbahnen zu sehen war.

1980 bereiteten wir in Dresden die erste Friedensdekade im Raum der evangelischen Kirchen vor, suchten nach einem Symbol, entschieden uns für das vom Kirchentag, liessen es als Buchzeichen drucken und ein Jahr später als Aufnäher. Von da an war es als Zeichen der Friedensbewegung in der DDR nicht mehr wegzudenken. Auf diese Weise wurde eine biblische Vision, vor 2700 Jahren geträumt, zum Symbol für eine Gesellschaft, die sich auf den Weg in die Freiheit wagte.

Hansjörg Weigel verweigerte in der ehemaligen DDR den Waffendienst und gründete 1973 zusammen mit Freunden das «Christliche Friedensseminar Königswalde» bei Zwickau, das er seither mitleitet. Heute lebt und arbeitet der gelernte KfZ-Elektriker in Werdau, wo er Stadtrat ist.

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