FriZ - Kolumne aus Nr. 1/2007

Arne Engeli: Mein Friedenstagebuch 2007

14. Jan: Jahresauftakt GFS in St. Gallen

Seit 19 Jahren lädt die damals von mir initiierte ökumenische Kommission «Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung» zu diesem Anlass ein. Es ist ein Treffen von Engagierten. Thema dieses Jahr: «Strukturelle Gewalt – die unsichtbaren Mauern». Das St. Galler Tagblatt berichtet darüber unter dem Titel «Das linke Kirchen-Gewissen» und zitiert die Referentin Dorothee Wilhelm: «Solange Menschen ohne Perspektiven leben, unterdrückt und getötet werden, sind wir alle Feinde Gottes. Zwar sind wir selten direkt Handelnde, aber wir profitieren von der Ungerechtigkeit.» Es gelte, das «11. Gebot» (Dorothee Sölle) zu beherzigen: «Du sollst dich nicht gewöhnen.»

20. Jan: HEKS-Osteuropa-Tag in Bern

Was heisst Solidarität? Kirchenratspräsidentin Silvia Pfeiffer bringt es auf den Punkt: Solidarität heisst, sich für das Recht des Benachteiligten einzusetzen. Das ist mehr als Barmherzigkeit. Ich denke an Pestalozzis Wort: «Wohltätigkeit ersäuft das Recht im Mistloch der Gnade.»

22. Jan: Abbé Pierre (95) in Paris gestorben

Abbé Pierre hat sein langes Leben in den Dienst der Armen gestellt. Wie Franziskus hatte er das beachtliche Vermögen seines Vaters an Arme verschenkt. Mit seinem Werk «Emmaus» hat er sich für die Obdachlosen und Ausgestossenen eingesetzt. Zum Gewissen der Nation wurde er am 1. Februar 1954, als er übers Radio einen Hilferuf ausstrahlte, weil in dieser kalten Nacht eine obdachlose Frau erfroren war, in der Hand noch den Räumungsbefehl. «Seitdem hat mich die Wut der Liebe nie mehr verlassen», sagte er an seinem 90. Geburtstag, wütend, dass mehrere Hunderttausend Wohnungen leer stehen, während die Obdachlosen auf der Strasse hausen. Kritisch hinterfragt der Sozialphilosoph Roland Barthes, ob die Heiligenverehrung des Abbé Pierre nicht auch ein Alibi sein kann, wenn ein guter Teil der Nation daraus das Recht für sich ableitet, Zeichen der Nächstenliebe an die Stelle der Gerechtigkeit zu setzen.

2. Feb: Klimabericht 2007

Alle Medien berichten darüber. Der Mensch sei der Hauptschuldige am Klimawandel – und die Lage sei ernster als angenommen. Ich erinnere mich, wie uns damals 1992 der Bericht des Club of Rome «Grenzen des Wachstums» aufrüttelte. Ich gab die Warnungen in Vorträgen und Tagungen weiter. Bald merkte ich, dass die Zuhörenden sich so nur ohnmächtig fühlen. Um Veränderungen herbei zu führen, ist Lust an einem gemeinschaftlicheren, menschlicheren Lebensstil zu wecken. Der Ausspruch von Georg Malin, einem Künstler aus dem Fürstentum Lichtenstein, gefällt mir noch heute: «Wer Bescheid weiss, lebt bescheiden.» 35 Jahre sind seither ins Land gezogen, die Lebensstil-Diskussionen sind schon lange verklungen. Ob wir jetzt wieder einem neuen Aufbruch entgegen gehen?

14. Feb: 25 Jahre «Fridesziit am See»

Zu sechst treffen wir uns in der Stube von Christina in Rorschach, wo wir über Jahre hin verschiedene öffentliche Aktivitäten ausgeheckt hatten: Von 1982 bis 1988 allwöchentliche Schweigen für den Frieden in der Passions- und in der Adventszeit samt Veranstaltungen zu aktuellen Themen; ab 1989 jeweils am Bettag ein regionales Treffen für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Es entstand ein lokaler Naturschutzverein, der heute noch aktiv ist. Ab Mitte der 90er Jahre flaute das Interesse an unseren Treffen so ab, dass wir sie einstellten. Einige Male trafen wir uns noch in kleinem Kreis vor dem WEF in Davos. Wir fragen uns jetzt: Was ist heute in unserer Gesellschaft anders als damals vor 25 Jahren? Sind die Mitmenschen so eingedeckt von täglichen Negativmeldungen, dass sie keinen Glauben mehr an mögliche Veränderungen haben? Müssen viele um einen Platz im Leben, in der Arbeitswelt kämpfen, dass darüber hinaus keine Energie mehr da ist? Fliehen sie vor dem Alltagsstress in Wellness und Konsum? Oder sind heute andere Formen des Widerstandes und der Solidarisierung in? Wir werden weiter an einem Netzwerk wacher Menschen knüpfen.

Arne Engeli (a.engeli@switzerland.org) ist ehrenamtlich Geschäftsführer der Stiftung Kriegstrauma-Therapie (Einzahlungsscheine für die beiden Bosnien-Projekte werden gerne zugestellt) und war bis zu seiner Pensionierung beim Heks Programmbeauftragter für das ehemalige Jugoslawien.


Abschied

Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns die traurige Nachricht vom Tod des Schriftstellers Manfred Züfle, der im Jahr 2004 die Kolumnen an dieser Stelle für die friZ schrieb.

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