FriZ 1/2007

Seit Mitte des Jahres 2006 hat sich die Not der Bevölkerung Darfurs aufgrund der zunehmenden Sicherheitsprobleme und der Reduzierung internationaler Hilfe kontinuierlich vergrös-sert. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung ist heute vollständig von humanitärer Hilfe abhängig, derweil die zunehmende Gewalt neue Bedürfnisse schafft. Von Aurelie Gremaud

In Darfur geht das Leiden weiter

In Darfur sind die Teams von Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) täglich mit den Herausforderungen einer medizinisch-humanitären Organisation konfrontiert. Dilemmas offenbaren sich: Welches ist die Relevanz der Projekte von MSF, wenn es heute kaum möglich ist, die am meisten von der herrschenden Gewalt betroffenen Menschen zu begünstigen? Welches ist die Wirksamkeit unserer Einsätze, wenn unsere medizinischen Statistiken nur teilweise oder gar nicht die verübten Gewaltakte spiegeln? Auch wenn heute beträchtliche logistische und finanzielle Mittel für Darfur zur Verfügung gestellt werden, so bleibt der Zugang zu denjenigen Menschen, die am meisten Not leiden, beschränkt – zeitlich und räumlich. Trotz allem ist MSF heute davon überzeugt, dass die Hilfseinsätze für die Menschen in Darfur relevant und notwendig sind.

Unterschiedliche Bedürfnisse

MSF leitet medizinische Projekte in Darfur seit anfangs 2004. Heute ist dort die gesamte weltweite MSF-Bewegung im Einsatz. 123 internationale und 2233 lokale Mitarbeiter arbeiten in den drei Provinzen Darfurs. Mit einem Gesamtbudget von rund 30 Millionen Schweizer Franken jährlich gehört der Darfur zu den grössten MSF-Projekten weltweit .
Seit Mai 2006 wurden insgesamt zwölf Mitarbeiter humanitärer Organisationen in Darfur getötet. Seit Juli letzten Jahres sind die MSF-Teams kaum mehr auf den Strassen unterwegs und deshalb gezwungen, sich auf dem Luftweg zu verschieben. Flugzeuge sind nun aber teuer und limitieren unseren Aktionsradius, zumal nur wenige Städte und Dörfer über Landebahnen verfügen. Trotzdem: Der Darfur ist kein geopolitischer Monolith. Die Situation unterscheidet sich meist von Dorf zu Dorf. Verschiedene Faktoren sind dafür verantwortlich: die politische Zugehörigkeit der Machthaber oder der am meisten Not leidenden Bevölkerung, die gesundheitliche und medizinische Situation, die vorhandenen Gefahrenherde, die mehr oder minder grosse Schwierigkeit, Hilfe leisten zu können.
Unsere Arbeit orientiert sich in Darfur wie anderswo an den vorhandenen Bedürfnissen. So leisten wir seit 2004 denjenigen Menschen Hilfe, die von der grossen Gewaltwelle in den Jahren 2003 und 2004 getroffen wurden. Die meisten von ihnen haben Zuflucht in Vertriebenenlagern gefunden, die am Rande von Dörfern wie Habila, Kerenek, El Geneina, Mornay oder Zalingei errichtet wurden. Beispielsweise hat sich die Bevölkerung von Habila nach der erwähnten Gewaltwelle verdreifacht. Unser Gesundheitszentrum leistet dort medizinische Grundversorgung und behandelt hauptsächlich Infektionskrankheiten. Zudem werden mangelernährte Kinder und schwangere Frauen speziell betreut. MSF ermöglicht monatlich im Durchschnitt 35 schwierige Geburten. Rund 15% unserer Patientinnen und Patienten leiden an muskulären Schmerzen, an Kopfweh, an Schlafstörungen. Symptome, die – namentlich in Kriegssituationen – auf mentale Gesundheitsprobleme hinweisen. MSF wird deshalb in den kommenden Wochen ein psychologisches Hilfsprogramm starten.

In diesen mehr oder weniger stabilen Gegenden werden Gewaltakte mehrheitlich am Dorfrand verübt. Die Menschen wohnen so gleichsam in Gefängnissen unter freiem Himmel. Die Gewalt ist keineswegs omnipräsent, sie ist weder systematisch noch fortdauernd. Aber sie ist genügend präsent, um unter der Bevölkerung ein Klima der Angst zu schaffen und dieses ständig zu erneuern. Totale Perspektivlosigkeit ist allgegenwärtig, die Unfähigkeit auch, für die eigenen Bedürfnisse oder diejenigen der Familie aufzukommen. Das Überleben der Menschen hängt mehrheitlich von externer Hilfe ab: Nahrungsmittel, Wasserversorgung, Holz zum Heizen oder Decken für die Häuser.

Zugang nicht immer möglich

Die vom Konflikt direkt betroffenen Gebiete sind indes nicht zugänglich. Unsere Hilfe beschränkt sich deshalb auf die Randgebiete der kriegerischen Herde: für Menschen beispielsweise, denen es gelungen ist, bestehende Vertriebenenlager zu erreichen. So geschehen im Januar 2007, als 5000 Familien im Lager El Ge-neinas eintrafen, nachdem ihre Dörfer angegriffen worden waren. Wir leisten chirurgische Hilfe für diejenigen Verletzten, die ein Spital erreichen. Von Zeit zu Zeit aber gelingt es unseren Teams tatsächlich, in ein von Gewalt direkt betroffenes Gebiet vorzustossen, meist nur für die Dauer von ein paar Tagen, wie zum Beispiel kürzlich in Jebel Mara.
MSF versorgt zudem die Notfallabteilung des Hauptspitals von El Geneina, der Provinzhauptstadt, mit Warenspenden: Medikamente, medizinisches und technisches Material. Dieses staatliche Spital nimmt die grösste Anzahl Verletzter in der gesamten Provinz auf. Unsere Unterstützung besteht darin, die Versorgung mit sauberem Trinkwasser sicher zu stellen und technische Hilfe zu leisten (Hygienemassnahmen und Betreuung der Apotheke). 400 chirurgische Eingriffe werden dort jeden Monat vorgenommen. Gleichzeitig bemühen wir uns ständig, auf neue Bedürfnisse rasch zu reagieren. Heute ist ein MSF-Team in Seleia aktiv, einer Stadt mit 20000 Menschen nördlich von El Geneina. Die drei internationalen Mitarbeiter haben dort einen Operationssaal eingerichtet, um Kriegsverletzte zu behandeln.
Diejenigen Familien – hauptsächlich arabische Nomaden –, die sich in der weiteren Umgebung von Städten in provisorischen Zeltlagern niederlassen, sind heute grösstenteils von jeglicher Hilfe abgeschnitten, obwohl ihre Bedürfnisse bisweilen diejenigen von Vertriebenen übersteigen. Die Angriffe auf humanitäre Mitarbeiter hatten zur Folge, dass seit mehreren Monaten die zuvor regelmässig durchgeführten mobilen Gesundheitskontrollen ausgeblieben sind.

Das Leiden der Zivilbevölkerung

Der Darfur ist heute ein Ausbund heterogener Lebensumstände. Einziger gemeinsamer Nenner ist das Leiden der Zivilbevölkerung, ob es sich nun um Nomadenstämme oder sesshafte Völker handelt. Ort und Zeitpunkt sind mitbestimmende Faktoren für die Lebensbedingungen der Menschen. Diese sind Opfer der territorialen Feldzüge und der Machtspiele der sudanesischen Behörden, aber auch derjenigen des Tschad. Und dennoch: Die unterschiedlichen Lebenssituationen sollen nicht über die direkte Verantwortung der Machthaber hinwegtäuschen. Die steigende Anzahl von gewalttätigen Übergriffen oder Hinterhalten schaffen ein Umfeld wachsender Unsicherheit, in dem es zusehends schwieriger wird, Hilfe zu leisten. Die Arbeit in Darfur ist heute eine stete Herausforderung: logistisch, sicherheitsmässig und menschlich. Eine Herausforderung, ständig neue Lösungen für effiziente Hilfeleistung zu finden; eine Herausforderung aber auch, sich nicht entmutigen zu lassen.
Trotzdem ist uns allen klar: Die Anwesenheit von MSF direkt vor Ort ist notwendig, und die geleistete Hilfe – wenngleich sie nicht perfekt ist – bleibt wesentlich.

Aurelie Gremaud arbeitet als Kommunikationsbeauftragte und Darfur-Spezialistin bei Médecins Sans Frontières Schweiz (MSF).

Literatur zum Konflikt


MSF

Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF) wurde 1971 von Ärzten und Journalisten gegründet und ist heute eine der grössten unabhängigen medizinischen Hilfsorganisationen der Welt. Die MSF-Freiwilligen helfen weltweit in über 70 Ländern Menschen in Not und Opfern von Naturkatastrophen oder kriegerischen Auseinandersetzungen, ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft, religiösen oder politischen Überzeugung. MSF macht sich die öffentliche Berichterstattung über Missstände zur Pflicht, wenn es im Interesse der Opfer ist. Im Jahr 2006 waren mehr als 450 internationale Freiwillige und 2500 lokale Mitarbeiter/-innen in den 20 Einsatzländern von MSF Schweiz aktiv. Unsere moralische und finanzielle Unabhängigkeit verdanken wir den mehrheitlich privaten Spenden. Unsere Konten werden jährlich überprüft und die sorgfältige Verwendung unserer Mittel attestiert. MSF hat 1999 den Friedensnobelpreis erhalten.

Weitere Informationen finden Sie im Internet: www.msf.ch Postcheckkonto für Spenden: 12-200-2

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