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friZ 3/2008

Die Afrikanische Union AU soll anders als die Vorgängerin, die Organisation der Afrikanischen Einheit OAU, die politische, soziale und wirtschaftliche Integration des afrikanischen Kontinents vorantreiben und durch gemeinsame Friedens- und Sicherheitsanstrengungen den Völkern Afrikas eine nachhaltige Entwicklung ermöglichen. Von Ruedi Küng

Politische Zusammenarbeit in Afrika

Mit der Schaffung der Afrikanischen Union AU bei der Jahrhundertwende haben die afrikanischen Staaten eine neue Phase der Zusammenarbeit auf dem Kontinent eingeleitet. Die Umsetzung ihrer hehren Ziele lässt allerdings zu wünschen übrig. Die Gründung der AU sollte einen Markstein in der Geschichte der afrikanischen Zusammenarbeit setzen. Am 9. Juli 2002 begrüsste Südafrikas damaliger Präsident Thabo Mbeki Afrikas Staats- und Regierungschefs in der südafrikanischen Hafenstadt Durban zum konstituierenden Gipfeltreffen der Afrikanischen Union. Aufgabe der AU sei es, sagte Mbeki, Einheit, Solidarität, Zusammenhalt und Zusammenarbeit aller Völker und Staaten Afrikas zu schaffen. Und er dankte «unserem Bruder und Führer Colonel Ghaddafi für die Bemühungen, die er in dieses Unterfangen gesteckt hat». 1999 hatte Ghaddafi die afrikanischen Führer zu einem Sondergipfel nach Sirte eingeladen, wo sie den Beschluss fassten, die AU zu gründen. Der libysche Revolutionsführer hatte allerdings mehr im Sinn als eine dem Vorbild der EU nachempfundene AU. Ihm schwebte von Anfang nichts Geringeres als die Schaffung der Vereinigten Staaten von Afrika vor. Er fand dafür jedoch keine Mehrheit unter seinen Amtskollegen, was ihn nicht daran hinderte, bei den AU-Gründungsfeierlichkeiten im Durban Sport-Stadium der versammelten Menge zuzurufen, «es lebe Afrika, es lebe die afrikanische Einheit. Es leben die Vereinigten Staaten von Afrika.»

United States of Africa

Und Ghaddafi lässt nicht locker. Immer wieder bringt er das Thema USA - United States of Africa - auf. Da er mit seinen Erdölmilliarden zahlreiche weniger begüterte Kollegen insbesondere in Westafrika beeinflussen kann, kommt die AU nicht darum herum, das Thema auch an ihren Gipfeltreffen, die alle sechs Monate stattfinden, zu diskutieren. Am 9. Gipfel in der ghanaischen Hauptstadt Accra stand die Frage, ob sich die 53 AU-Mitgliedsländer zu den Vereinigten Staaten von Afrika vereinigen sollen, sogar im Mittelpunkt. Sie wurde einmal mehr vertagt, jedoch nicht gänzlich zurückgewiesen.

Vom Pan-Afrikanismus zur OAU

Denn Einheit ist gewissermassen Afrikas Heilige Kuh, nicht erst seit der Gründerzeit der afrikanischen Unabhängigkeit in den späten 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Auf den Pan-Afrikanismus, diese afrikanische Einigungsbewegung, die die Nationalstaatlichkeit überwinden will, hatten sich insbesondere in den Subsahara-Staaten viele Vorkämpfer gegen koloniale Unterdrückung und Herrschaft berufen. Und dennoch scheiterte der Pan-Afrikanist par excellence, Kwame Nkrumah aus Ghana, 1963 mit seinem Vorhaben, eine bundesstaatliche Einheitsregierung (Union Government) für Afrika zu bilden. Stattdessen riefen Afrikas neue Leader 1963 die Organisation der Afrikanischen Einheit OAU ins Leben. Diese beschwor Einheit viel mehr, als dass sie solche wirklich geschaffen hätte, mit Ausnahme des Kampfes gegen das Apartheid-Regime Südafrikas und dessen Besetzung Südwestafrikas (Namibia), gegen Rhodesiens weisse Herrschaft, sowie gegen die portugiesische Kolonialherrschaft in Angola, Moçambique, Guinea-Bissau, Cabo Verde und São Tome und Principe. Schon die OAU aber schaffte es nicht, eine universelle afrikanische Organisation zu sein und sämtliche afrikanischen Staaten ohne Ausnahme zu vereinigen. Weil sie nämlich die Exilregierung der ehemals spanischen Westsahara, der Arabischen Sahraouischen Demokratischen Republik, anerkannte, trat Marokko 1984 unter Protest aus der OAU aus. Die AU hat diese Anerkennung und damit auch das Kooperationsdefizit von der OAU übernommen, weshalb sich auf ihrer Website Marokko als einziges von 54 Ländern nicht anklicken lässt.

AU mit Friedens- und Sicherheitsrat

Dennoch weist die AU bemerkenswerte Unterschiede zur OAU auf. So hat sie zahlreiche Organe neu geschaffen und nach dem Vorbild der Europäischen Union gestaltet, etwa die Kommissionen mit ihrem Vorsitzenden, oder auch das pan-afrikanische Parlament. In den AU-Gründungsdokumenten sind auch ein pan-afrikanischer Gerichtshof und eine Zentralbank vorgesehen, deren Schaffung jedoch bis heute auf sich warten lässt. Weiter hat die AU einen Friedens- und Sicherheitsrat mit der Aufgabe, «Frieden, Sicherheit und Stabilität in Afrika zu fördern» sowie «Konflikte vorauszusehen und zu verhindern» - vielleicht die markanteste Veränderung gegenüber früher. Denn mit ihm hat die AU das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der anderen Staaten, das fast vier Jahrzehnte lang das Verhalten der afrikanischen Leader geprägt hatte, aufgegeben. Eine AU-Intervention ist allerdings nur in schwer wiegenden Fällen wie Völkermord, schweren Menschenrechtsverletzungen und Staatsstreichen vorgesehen. Zur Anwendung kam diese neue Form der politischen Zusammenarbeit auf dem afrikanischen Kontinent zum Beispiel 2005 in Togo, als die Armee nach dem Tod von Präsident Gnassingbé Eyadéma dessen Sohn Faure Gnassingbé zum Nachfolger kürte. Die AU qualifizierte das Vorgehen als «kalten Staatsstreich», übte über die westafrikanische CEDEAO respektive Ecowas1 (vgl. Randspalte Afrikanische Regionalorganisationen) mit Sanktionen Druck auf Togos Führung aus und setzte Wahlen durch. Ein weiteres Beispiel ist die Verurteilung des Putsches auf der Komoren-Insel Anjouan anfangs dieses Jahres, die dazu führte, dass AU-Truppen die komorische Armee bei der Rückeroberung der abtrünnigen Insel unterstützten. Auch den jüngsten Putsch in Afrika gegen den gewählten Präsidenten Mauretaniens im August dieses Jahres verurteilt die AU unzweideutig und verlangt die Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse. Dazu kommen intensive, erfolgreiche Anstrengungen zur Friedensvermittlung etwa in Burundi und in der Demokratischen Republik Kongo.

Gute Instrumente, fehlende Kompetenzen

Doch die Grenzen der kollektiven politischen Einmischung zeichnen sich mit aller Deutlichkeit ab. So hat das pan-afrikanische Parlament vorerst noch kaum Kompetenzen, die Macht konzentriert sich nach wie vor bei den afrikanischen Staatschefs. Auch die Kompetenzen des Kommissionspräsidenten sind stark eingeschränkt. Das musste der erste Amtsinhaber, der engagierte und fortschrittliche Malier Alpha Oumar Konaré, verschiedentlich erfahren, wenn er in konkreten Situationen gestützt auf die Statuten der AU ein rigoroses Vorgehen forderte, die Staatschefs im AU-Exekutivrat ihm aber nicht folgten. Die Limiten der AU zeigten sich auch in Togo, wo die AU schliesslich den Wahlsieg von Faure Gnassingbé anerkannte, obwohl dessen mächtige Hintermänner in Armee und Polizei den Wahlgang erheblich verfälschten und die Sicherheitskräfte vor und nach den Wahlen mit massiver Gewalt und Repression gegen Oppositionelle vorgehen liessen.

Niederlagen und Herausforderungen

Die grösste Herausforderung der AU bisher aber sind die neueren, schweren Konflikte auf dem Kontinent, in der sudanesischen Westregion Darfur, in der Zentralafrikanischen Republik und in Tschad, in der Elfenbeinküste, in Somalia und in Zimbabwe. Und bislang hat die AU dabei auch ihre grössten Niederlagen einstecken müssen. Zwar hat sie sich durchaus um Friedensförderung bemüht und sich dabei auch auf die Vermittlungsarbeit regionaler Organisationen gestützt - die IGAD2 in Somalia, die SADC3 in Zimbabwe und ECOWAS in der Elfenbeinküste. Mehr noch hat sie in Darfur und Somalia auch friedenssichernde Militäreinsätze unternommen. Dennoch ist es der AU bisher nicht gelungen, einen dieser Konflikte einer Lösung auch nur näher zu bringen, geschweige denn zu lösen. Den einzigen viel versprechenden Fortschritt, nämlich den Friedensprozess in der Elfenbeinküste, verdanken wir der persönlichen Initiative des Präsidenten von Burkina Faso, Blaise Compaoré. Am Ende seiner Amtszeit als AU-Kommissionspräsident zeigte sich Alpha Oumar Konaré denn auch beunruhigt: «Diese Konflikte bestätigen, dass wir in Richtung verstärkter Integration gehen müssen. Wir müssen die Afrikanische Einheit stärken - sogar in der Perspektive der Vereinigten Staaten von Afrika, das ist der einzige gangbare Weg. Die afrikanischen Länder müssen die Fragen beantworten: haben wir wirklich den Willen, in Richtung Integration zu gehen? Sind wir bereit, die Mittel dafür bereit zu stellen und die notwendigen Strukturen zu schaffen? Wenn diese Fragen nicht mit Dringlichkeit behandelt werden, steht zu befürchten, dass wir statt einer Dynamik der Integration ins Unglück einer Dynamik der Desintegration geraten.»

Regionale Zusammenarbeit als erster Schritt

Die Integration Afrikas kann nur stufenweise erreicht werden, darüber sind sich Afrikas gegenwärtige Leader einig, sei es, weil sie Realisten sind, oder weil sie jeglichen Verlust von Souveränität und Macht fürchten und deshalb auf Verzögerung des Prozesses aus sind. Zum stufenweisen Vorgehen gehört, dass sich die AU auf die Regionalorganisationen der fünf afrikanische Hauptregionen, Nord, West, Ost, Zentral und Süd stützt (vgl. Randspalte). Die afrikanischen Regionalorganisationen wurden ursprünglich vor allem mit dem Ziel gegründet, die wirtschaftliche Zusammenarbeit der vielen, zum Teil kleinen Einzelstaaten mit relativ geringer Bevölkerung zu fördern. Durch verstärkten Handel und die Schaffung grösserer Märkte sollten sich die Wirtschaften der einzelnen Mitgliedsländer besser entwickeln können. Mehrere Faktoren haben jedoch bis heute die regionale Wirtschaftsintegration in Afrika stark behindert. So sind sich die Wirtschaftsstrukturen der afrikanischen Länder einer Region oft sehr ähnlich, z.B. auf den Export von Rohstoffen in die Industrieländer und auf die Produktion der selben Landwirtschaftsprodukte ausgerichtet. Auch herrscht bei den kleineren Staaten oft die Befürchtung vor, von der jeweiligen regionalen Grossmacht übervorteilt oder erdrückt zu werden. So scheiterte beispielsweise die Ostafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft EAC4 schon wenige Jahre nach ihrer Gründung im Jahr 1967, und auch ihre Wiederbelebung seit 1999 kommt aus den noch immer gleichen Gründen nur zögerlich voran. Ihre eigenen, ehrgeizigen Integrationsziele haben auch die anderen afrikanischen Regionalorganisationen bis heute nicht oder nur in ungenügendem Mass erreicht (vgl. Randspalte).

Neue Leader sind noch nicht in Sicht

Das hat unmittelbare Auswirkungen auch auf das erklärte Ziel der AU, Afrika durch (regionale) Zusammenarbeit zu entwickeln und seine Bevölkerung aus der Misere der Armut zu führen. Dem höchst bescheidenen Erfolg afrikanischer Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet aber entspricht auch der nur äusserst mässige Erfolg in Sachen Demokratisierung. Von Nigeria bis Äthiopien, von Kenia bis Zimbabwe werden Wahlen manipuliert und Oppositionelle drangsaliert, mitunter auch gefoltert und umgebracht. Konflikte, Korruption, autoritäre Herrscher mit schlechter Regierungs- und Wirtschaftsführung, Menschenrechtsverletzungen und mangelnde Freiheiten prägen nach wie vor einen beträchtlichen Teil der afrikanischen Staaten, trotz der Satzungen der Afrikanischen Union und den Deklarationen ihrer Leader, all diese Schwächen und Mängel bekämpfen zu wollen. Persönlichkeiten wie Thabo Mbeki, Olusegun Obasanjo und Alpha Oumar Konaré haben – ungeachtet ihrer zum Teil beträchtlichen persönlichen Schwächen – das Projekt einer durch Zusammenarbeit zu erwirkenden Renaissance Afrikas verfolgt und die AU zu der in ihren Prinzipien zukunftsweisenden Institution gemacht. Sie sind inzwischen jedoch alle abgetreten. Strukturen alleine aber, so zeigt es sich, bringen den Erfolg nicht. Doch die neuen Leader Afrikas sind auch noch nicht in Sicht.

Ruedi Küng ist Afrikakorrespondent bei Radio DRS.

Fussnoten

1 Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (fran.: La Communauté Economique Des Etats De l'Afrique De l'Ouest, kurz CEDEAO, engl.: Economic Community of West African States, kurz ECOWAS) ist eine regionale Wirtschaftsvereinigung von derzeit 15 Staaten.
2 Die IGAD (engl. Intergovernmental Authority on Development) ist eine regionale Organisation von Staaten in Nordostafrika mit Sitz in Dschibuti. Sie ist seit 1996 die Nachfolgeorganisation der IGADD (Intergovernmental Authority on Drought and Development), die 1986 als Initiative des dschibutischen Präsidenten Aptidon gegründet worden war.
3 Die Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft (engl. Southern African Development Community, Abkürzung SADC) ist eine regionale OrganisDation zur wirtschaftlichen und politischen Integration im südlichen Afrika.
4 Die Ostafrikanische Gemeinschaft (engl. East African Community, EAC) ist eine wirtschaftliche Integrationsform der ostafrikanischen Länder Kenia, Uganda, Tansania, Ruanda und Burundi mit dem Ziel einer Wirtschafts- und Zollunion.

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