FriZ 4/2004

Obwohl sich James Allridge während seiner Haft veränderte und rehabilitierte, wurde er Ende August hingerichtet. Neben Verfahrensfehlern und Diskriminierung von Minoritäten erschreckt die gnadenlose Härte des amerikanischen Vollzugssystems - Recht vor Gerechtigkeit. Von Christa Dold

Todesstrafe in den USA: HinRECHTungen

"Ich möchte nicht einfach nur leben, ich möchte lebendig sein." Mit diesen Worten richtete sich der zum Tod verurteilte James Allridge an Charles Aycock, Mitglied des texanischen Begnadigungsausschusses. Zu diesem Zeitpunkt hatte der 41-jährige James noch sechs Tage zu leben. Seine Hinrichtung war auf den 26. August 2004 festgesetzt worden. Ich reiste nach Texas, um meinen langjährigen Freund auf seinem letzten schweren Gang zu begleiten. "Aycock hat auf die Uhr geschaut, während ich mit ihm sprach", erzählte James nach der Anhörung mit dem Vertreter des Begnadigungsausschusses.

Gefangen im "Gürtel des Todes"

Durch das Magazin von Amnesty International wurde ich vor zehn Jahren auf James Allridge aufmerksam. In einem Interview berichtete er damals: "Das Sterben ist nicht wichtig, es geht so schnell. Alles, was ich tun kann, ist jeden Tag so zu nehmen, wie er kommt, und das Beste daraus zu machen." In wenigen Zeilen drückte ich ihm damals meine Bewunderung für seine Haltung und meine Abscheu gegen die Todesstrafe aus. Es entstand ein reger Briefwechsel. Ein Jahr später besuchte ich James zum ersten Mal im Todestrakt und kehrte darauf fast jährlich nach Texas zurück.

Nicht umsonst bezeichnet man die Südstaaten der USA als "Death Belt" (Gürtel des Todes). Dort werden durchschnittlich 80 Prozent der Todesurteile im Land vollstreckt. Texas ist Spitzenreiter: fast die Hälfte der jährlichen Hinrichtungen gehen auf sein Konto. Die USA sind die einzige Demokratie des Westens, die weiterhin im Namen des Gesetzes StraftäterInnen tötet. Zusammen mit China und Iran verantworten sie jedes Jahr über 70 Prozent aller bekannt gewordenen Hinrichtungen. Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass die Anwendung dieser archaischsten Strafe der Menschheit überproportional häufig Angehörige von Minderheiten trifft. Eine Studie in Texas zeigte auf, dass bei Mordfällen mit weissen Opfern die TäterInnen mit fünf mal höherer Wahrscheinlichkeit zum Tod verurteilt werden, als wenn die Opfer schwarz sind. Geisteskranke aber auch Minderjährige sind in den USA noch immer nicht vor der Anwendung der Todesstrafe geschützt. Sie ist ein "Privileg" der Armen und Benachteiligten.

Neue Beweise für die Unschuld eines Verurteilten müssen nach texanischem Recht bis spätestens dreissig Tage nach dem erstinstanzlichen Urteil vorgelegt werden. "Wir können nicht feststellen, dass die Weigerung der unteren Instanzen, neues Beweismaterial zu berücksichtigen, das Prinzip der grundlegenden Fairness verletzt", urteilte 1993 der Oberste Gerichtshof und besiegelte damit das Schicksal von Leonel Herrera. Für Herrera kam ein Geständnis des tatsächlichen Mörders zu spät. Die damalige texanische Gouverneurin lehnte eine Begnadigung ab und liess den Verurteilten 1993 hinrichten.

Seit 1973 wurden zudem 117 us-amerikanische TodestraktinsassInnen wegen Unschuldsnachweisen freigelassen.

Recht auf Besserung

Hinrichtungen berauben die Verurteilten jeder Möglichkeit zur Besserung. Dies ist einer der Gründe, weshalb Organisationen wie Amnesty International für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe kämpfen. James Allridge bewies in eindrücklicher Weise, dass auf ihre Hinrichtung wartende Gefangene ihr Leben radikal ändern können. "Mit nichts als Zeit in meinen Händen begann ich zu schreiben und zu zeichnen", erinnerte sich James. Rund 150 Bilder wurden in der ganzen Welt ausgestellt, verkauft und einzelne sogar mit Preisen ausgezeichnet. Seine Artikel erschienen in zahlreichen Zeitschriften, eine Reihe von Gedichten publizierte er zur Erinnerung an seine exekutierten Freunde in einem Lyrikband.

Letzte Hoffnung

Nach Ausschöpfung des Berufungsprozesses und Festsetzung eines Hinrichtungstermins blieb eine letzte Hoffnung: Der texanische Begnadigungsausschuss. Nach 19 Jahren im Gefängnis sei James nicht mehr derjenige, der im Alter von 22 Jahren einen Raubmord begangen hatte, argumentierte das Anwaltsteam. James hatte die volle Verantwortung für seine Tat übernommen und bereute sie aufrichtig. Er bat um die Umwandlung des Urteils in eine lebenslängliche Haftstrafe.

Ein pensioniertes Führungsmitglied des texanischen Vollzugssystems bezeugte nach Durchsicht sämtlicher Unterlagen das überzeugende Potenzial zur gesellschaftlichen Wiedereingliederung: "Es gibt wirklich keinen Grund, die Strafe nicht in lebenslängliche Haft umzuwandeln. Mit den heute vorliegenden Informationen müssen wir uns fragen, ob Allridge eine weitere Bedrohung für die Gesellschaft darstellt, wie zur Zeit der Verurteilung vermutet wurde." Auch vier Mitglieder der Jury, die James zum Tod verurteilt hatte, unterstützten eine Umwandlung des Todesurteils aufgrund der Rehabilitationsbemühungen. Eine Geschworene ging noch weiter: "Schon damals hielt ich die Todesstrafe in diesem Fall für nicht angebracht, doch ich war zu jung und beeinflussbar, als dass ich für meine Überzeugung eingestanden wäre." Zwei ehemalige Wärter beschrieben, wie James "durch sein vermittelndes Eingreifen in Konfliktsituationen wahrscheinlich Leben gerettet hat." Und ein Mitgefangener berichtete: "Er war immer bereit auszuhelfen. Viele inspirierte er, ihren eigenen künstlerischen Ausdruck zu verwirklichen und so ihrem unproduktiven Alltag zu entfliehen."

Weltweiter Protest

Verschiedene Menschenrechtsorganisationen wie ACAT oder Lifespark setzten sich für das Leben von James Allridge ein. Amnesty International (AI) lancierte eine Eilbriefaktion, eine so genannte "Urgent Action" (www.amnesty-ua.ch). Dem weltweiten Unterstützungsnetz sind Mitglieder angeschlossen, die im Falle drohender Hinrichtungen Protestschreiben an die betreffenden Behörden schreiben. Angesichts der hohen Exekutionszahl wählt AI die Fälle, in denen sie mit einer "Urgent Action" interveniert, nach bestimmten Kriterien aus. Oft handelt es sich um minderjährige StraftäterInnen. Ebenso protestiert die Organisation in Fällen, die klar auf rassistische Diskriminierung hinweisen. Dies normalerweise bei AfroamerikanerInnen, die von einer ausschliesslich weissen Jury verurteilt wurden, oder bei geisteskranken Verurteilten und ausländischen Staatsangehörigen, denen das Recht auf Kontaktaufnahme mit ihrer Botschaft vorenthalten wurde.

Keine Gnade

Seit Wiedereinführung der Todesstrafe 1976 in Texas wurde in keinem einzigen Fall das Urteil wegen Aussicht auf Rehabilitation umgewandelt. Keine Gnade auch für James Allridge: der Ausschuss stimmte mit sechs zu null Stimmen gegen eine Umwandlung der Todesstrafe oder einen Vollstreckungsaufschub.

Hinrichtungen sind oft von Rachegefühlen bestimmt. In Texas können die Angehörigen des Opfers der Vollstreckung beiwohnen. Dabei werden die Angehörigen des Opfers und des Täters akustisch und visuell sorgfältig voneinander getrennt. Es wird zudem peinlich genau darauf geachtet, dass sich die beiden Parteien beim Hin- und Rückweg nicht begegnen. "Wir sind da, um Sie zu schützen", versicherte uns ein uniformierter Wärter, bevor wir in den Raum geführt wurden, wo James mit einer Kanüle im Arm aufgebahrt lag. Der Wärter war ein Mitglied des Vollzugspersonals. Ein kleines Rädchen in einer Maschinerie, die routinemässig Menschenleben auslöscht, im Namen des Volkes, der Gerechtigkeit und oft sogar im Namen Gottes.

Am 26. August um 18.22 Uhr Ortszeit wurde James Allridge für tot erklärt. Nun haben zwei Familien ihre Söhne verloren. Alle stehen auf der Verliererseite.

Christa Dold leitet die Koordinationsgruppe gegen die Todesstrafe von Amnesty International Sektion Schweiz.


Organisationen in der Schweiz, die sich gegen die Todesstrafe einsetzen:

Amnesty International

Postfach

3001 Bern

Tel: (031) 307 22 22

info@amnesty.ch

www.amnesty.ch

ACAT Schweiz

Aktion der Christen gegen die Folter

Postfach 5011

CH-3001 Bern

Tel: (031) 312 20 44

info@acat.ch

www.acat.ch

Lifespark

Vermittlung von Brieffreundschaften mit zu Tode Verurteilten in den USA

Postfach

4002 Basel

contactus@lifespark.org

www.lifespark.org


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