FriZ - Kolumne aus Nr. 3/2007

Arne Engeli: Mein Friedenstagebuch 2007

8. Juli: Mit Jugendlichen aus dem ehemaligen Jugoslawien unterwegs

Mit 60 Jugendlichen und ihren 10 BegleiterInnen aus Serbien, Kroatien und Bosnien wandere ich heute zum Gäbris. Ich hatte dieses 14-tägige Sommercamp seinerzeit angeregt und es findet bereits zum vierten Mal im Kinderdorf Pestalozzi in Trogen statt. Mein Beitrag ist die Organisation der beiden Sonntagsausflüge. Unterwegs ergeben sich aufschlussreiche Gespräche. Ein Ziel des Camps ist es, die durch den Krieg geschaffenen Gräben durch persönliches Kennenlernen, Zusammenleben und Zusammenarbeiten zu überbrücken. Diese Möglichkeit der grenzüberschreitenden Kooperation wurde letztes Jahr von den Jugendlichen hoch bewertet (9,88 Punkte auf der 10er Skala). Einige dauerhafte Freundschaften sind entstanden – so wird die Gruppe aus Bosnien die Serben im Herbst wieder besuchen. Sie haben erlebt, was in Christa Wolfs Erzählung «Kassandra» (1983) die Seherin zu Beginn des trojanischen Krieges auf ihren Erkundigungen über das feindliche Land erkannte: «Sie sind wie wir.» Die Jugendlichen kommen alle aus Gemeinden mit fragiler multikultureller Kultur. Zuhause werden sie ihre Erfahrungen auswerten und weitergeben können.

6. August: Hiroshima-Gedenktag

Am 6. August 1945 warf ein amerikanischer B-29-Bomber die erste Atombombe ab. Rund 90 000 Menschen starben sofort, 50 000 fielen Jahre bis Jahrzehnte später der Strahlenkrankheit zum Opfer. Im Tages-Anzeiger ist heute zu lesen, dass auf Befehl von General MacArthur die Reportage des amerikanischen Journalisten George Well, vier Wochen nach dem Abwurf entstanden, zensuriert worden ist. Die Welt sollte nicht erfahren, wie die angebliche Wunderwaffe die Menschen langsam niederringt und wie die Ärzte nicht wussten, was sie tun sollten. Erst kürzlich ist sie aufgefunden und veröffentlicht worden. «Als ich aus dem Bahnhof von Nagasaki trat, dessen Dach verschwunden war, sah ich eine Stadt, gebraten wie ein gebackener Apfel.»
Ich habe Hiroshima vor genau 20 Jahren mit einer ökumenischen Gruppe besucht. Überlebende, von den Folgen der tödlichen Waffe gezeichnet, berichteten uns vom schrecklichen Feuersturm. Schockierende Bilder im Museum liessen uns das grauenvolle Leiden und Sterben erahnen. Ein von Kinderhand gefalteter Kranich erinnert mich seither daran und ermahnt mich, Frieden zu machen und der Gewalt abzuschwören.
Ich erinnere mich auch an das Schicksal von Major Eatherly, der den Einsatz geflogen hatte und nachher von den Furien so heimgesucht worden war, dass er sich in psychiatrische Behandlung begeben musste. In einem bewegenden Briefwechsel mit ihm schrieb der österreichische Schriftsteller Günter Anders, gerade in seinem Unvermögen, je über dieses grauenhafte Geschehen hinwegzukommen, zeige sich seine Menschlichkeit. Das gebe auch Hoffnung, dass so etwas sich nicht wiederholen werde. Schlimm sei, wenn jemand dieses einfach so wegstecken könne.

24. August: Vom Umgang mit schwarzen Schafen

Bis zu den Parlamentswahlen wird von den Plakatwänden gepredigt: «Schwarze Schafe gehören aus der Schweiz hinausgeworfen!» Wer sind denn diese schwarzen Schafe? Die Abzocker? Die Steu-erhinterzieher? Die Schieber und Panscher? Alle Kriminellen? Heute hat der Regierungsrat des Kantons Genf dieses Plakat an den Pranger gestellt. Endlich regt sich jemand auf, denke ich. Von den Kirchen z.B. habe ich noch keine Distanzierung gelesen – obwohl in ihnen gepredigt wird, dass es nämlich gut sei, den verlorenen Schafen nachzusteigen und sie zurückzubringen.
Es ist eine unselige pauschale Hetzerei, die da die SVP wieder betreibt. Wer ist gemeint? Raus, wer sich als Ausländer unserem Städtlileben nicht anpasst? Ausländische Eltern, wenn eines ihrer Kinder straffällig wird? Von Fritz Wartenweiler, dem grossen Pädagogen und Menschenfreund, habe ich vor 50 Jahren gelernt: «Du sollst nicht aufhetzen gegen andere» ist das erste Gebot, wenn du Frieden willst.

Arne Engeli engagiert sich seit vielen Jahren in der Friedenspolitik, in den 90er Jahren auch als Präsident des Friedensrates. Bis 2001 arbeitete er beim Schweizer Hilfswerk HEKS als Programmbeauftragter für das ehemalige Jugoslawien. Seither im beruflichen Ruhestand, lebt er am Bodensee. Arne Engeli (a.engeli@switzerland.org) führt an dieser Stelle ein Jahr lang
ein Friedenstagebuch für die friZ.

Das Erlebnis des Atombombenabwurfs liess Robert Jungk zum lebenslangen Kämpfer gegen zerstörerische Technik werden: «Mindestens so gross wie das Erschrecken über den Massentod von zehntausenden Japanern war mein Schock, dass 'unsere Seite' zu solcher monströsen Unmenschlichkeit imstande gewesen war. Nie mehr würde ich ihnen, den Machthabern, vertrauen können, wenn sie sich noch so sehr als Bewahrer der Humanität und Verteidiger der Freiheit aufspielen sollten.» (aus: «Trotzdem. Mein Leben für die Zukunft», Hanser 1993, S. 209)


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