FriZ 3/2004

Ein abenteuerlicher Roman über einen Strassenjungen und Kindersoldaten erzählt mehr über die politischen und wirtschaftlichen Mechanismen, welche die afrikanischen Bürgerkriege am Leben erhalten, als es viele Zeitungsartikel können. Von Peter Schneider

Birahima will Kindersoldat werden

Yacouba, humpelnder Bandit, Fetischpriester und Überlebenskünstler sowie der verwaiste Birahima, Strassenkind ohne Furcht und Tadel, machen sich vom guineischen Kaff Togobala an der Grenze zur Elfenbeinküste auf den Weg zu einer Tante in Liberia, die künftig für Birahima sorgen soll. Doch die Reise steht von Anfang an unter einem schlechten Stern. Sie gerät zu einer abenteuerlichen vierjährigen Odyssee durch vier westafrikanische Länder und zwei Bürgerkriege, in denen Birahima in insgesamt sechs verschiedenen Armeen Dienst als Kindersoldat leisten wird.

Birahima erzählt uns sein "chaotisches verdammtes Leben", bzw. schreibt es auf. Dazu verwendet er verschiedene Wörterbücher um die "schwierigen Wörter aus Frankreich" den afrikanischen Eingeborenen sowie die schwierigen afrikanischen Wörter den Weissen erklären zu können, denn von beiden soll das "Blabla" (so nennt der afrikanische Kindersoldat seine Geschichte) gelesen werden.

Ehemaliger Soldat und Ökonom

Die oft geschickte Auswahl und Plazierung dieser Erklärungen machen zusammen mit den durch Rückgriff auf Elemente afrikanischer Erzähltradition (Rhythmus, Wiederholung, direkte Hinwendung zum Publikum) erzielten Effekten einen Teil dessen aus, was andere Kommentatoren im Kindersoldatenroman "Allah muss nicht gerecht sein" als Sarkasmus oder Satire bezeichnet haben. Doch die Realität dieser Bürgerkriege ist viel zu grausam, um noch überspitzt zu werden, und ihre Absurdität ist nur die Kehrseite der messerscharfen Logik der grossen und auch der kleineren, selbst ohnmächtigen Gauner, die davon profitieren.

Der Autor Ahmadou Kourouma kennt den Dienst an der Front aus eigener Erfahrung und als ehemaliger Bank- und Versicherungsfachmann versteht er von Ökonomie ebenfalls eine ganze Menge. Die Innenansichten zweier Bürgerkriege, erzählt vom Kindersoldaten ohne Furcht und Tadel Birahima, verraten so mehr über die wirtschaftlichen und politischen Mechanismen, die diesen Kriegen zugrunde liegen und sie am Leben erhalten, als so mancher Zeitungsartikel. Für gewisse Absurditäten oder Grausamkeiten gibt es dann doch nur noch einen, dafür um so zwingenderen Grund: "Der Stammeskrieg will das so."

Wie Birahima an die Wörterbücher herangekommen ist, gibt er am Schluss, als Bestandteil der Geschichte preis. Wo der nach der zweiten Klasse von der Schule Gegangene hingegen gelernt hat, damit umzugehen, ist eine weniger bedeutsame Frage, denn diese vier Wörterbücher sind Programm für Ahmadou Kourouma, der sich schon bei seinen früheren Werken jeweils genau überlegt hat welche Sprache, resp. welches Sprachgemisch die beste Brücke sei zwischen seiner Erzählung und dem erhofften (und in der Tat zahlreichen) Publikum.

Und wenn der kleine Junge gegen Ende der Erzählung zwischen einem Schimpfwort und einem Fluch über die politische Entwicklung in Sierra Leone referiert, klingt das auch nicht mehr ganz authentisch. Doch es ordnet die einzelnen Kriegsepisoden in einen gewissen Rahmen ein und stellt den Wechsel her zwischen Nähe und Distanz, den die aufklärerische Zielsetzung des Werkes anstrebt.

Ahmadou Kourouma: "Allah muss nicht gerecht sein".

Gebundene Ausgabe: 2002, Albrecht Knaus Verlag München. 223 Seiten, Fr. 34.90 (ISBN 3-8135-0196-5)

Taschenbuch: 2004, Goldmann Taschenbuch Verlag München. 222 Seiten, Fr. 14.70 (ISBN 3-442-45732-7)

Die NZZ vom 13. Dezember 2003 enthält einen Nachruf auf den zwei Tage zuvor verstorbenen grossen westafrikanischen Erzähler mit Hinweisen auch auf seine anderen Werke: www.nzz.ch/2003/12/13/fe/page-article8BLGW.html


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