FriZ 3/2004

Bashir Gobdon war 1988 der erste Somalier, der in der Schweiz Asyl suchte. Heute ist er einer von fast 5000 Somalierinnen und Somaliern, die in der Schweiz leben. Die Mehrheit von ihnen besitzt nur einen vorläufigen Aufenthaltsstatus. Mit Bashir Gobdon unterhielt sich Heiri Frei.

"Wie lebt man Ðvorläufigð hier?"

Weshalb sind Sie aus Somalia geflüchtet?

Bashir Gobdon: Das war 1988, ich war damals achtzehneinhalb Jahre alt und stand kurz vor dem Schulabschluss. 1987, nach dem Krieg gegen Äthiopien wurde die Opposition immer stärker, die Macht der somalischen Regierung begann zu bröckeln. Sie verlor Schritt für Schritt die Fähigkeit, Gesamt-Somalia zu kontrollieren. 1988 kam es zu einem Krieg im heutigen Somaliland gegen die Regierung von M. Siyaad Barre. Die Regierung bekämpfte die Opposition militärisch, was misslang. Es kam zu vielen Verlusten auf beiden Seiten. Deshalb begann die Regierung, immer mehr Studenten an die Front zu schicken. Dies hätte auch mich und meine Schulkollegen betroffen. Ich hatte keine Ahnung, was Krieg heisst und wie man Krieg führt. Meine Familie hat mich dabei unterstützt fort zu gehen.

Zuerst war ich in Kenia, in Nairobi. Dort habe ich einige Monate gelebt und bekam dann die Möglichkeit nach Italien zu reisen. Dann habe ich mich entschlossen in die Schweiz zu gehen. Damals war ich alleine. 1988 suchte ich in der Schweiz um Asyl nach. Seither lebe ich hier. Meine Frau habe ich hier kennen gelernt. Heute bin ich Vater von drei Kindern und berufstätig. Eigentlich lebe ich hier recht gut, aber am Anfang war es für mich sehr schwierig. Ich war der erste Somalier, der als Flüchtling in die Schweiz kam.

Wo leben die anderen SomalierInnen, die vor dem Bürgerkrieg geflüchtet sind?

Bashir Gobdon: Die meisten somalischen Flüchtlinge leben heute in Kenia und Äthiopien; die Mehrheit der Somalier in Europa lebt in England, fast 100000. In den USA leben noch einmal etwa 80000 Somalier. Vor drei Jahren habe ich Minneapolis im US-Staat Minnesota besucht, das ist heute eine kleine somalische Stadt. Dort leben 50000 Somalier. In Restaurants, an Tankstellen, in Banken, Büros, überall triffst Du Somalier. Aber seit dem 11. September 2001 ist das Leben für die Somalier in den USA schwierig geworden.

Auch in der Schweiz leben zurzeit fast 5000 Somalier. Die Mehrheit von ihnen ist hier nur so genannt "vorläufig" aufgenommen.

Wurden Sie selbst in der Schweiz gut aufgenommen? War das Asylverfahren damals kompliziert?

Bashir Gobdon: Es war sehr kompliziert. Die Schweiz ist noch immer kein Einwanderungsland. Man verglich uns Kriegsflüchtlinge aus Afrika damals mit Osteuropäern, die hier Arbeit suchten. Mein eigenes Anerkennungsverfahren hat acht Jahre gedauert. Ich habe schliesslich die Aufenthaltsbewilligung B bekommen, nachdem ich hier acht Jahre lang ohne Probleme gearbeitet habe, ohne straffällig zu werden.

Sie arbeiten heute im Blindenheim Zürich. Wie war das am Anfang?

Bashir Gobdon: Zuerst habe ich sechs Monate lang in Wädenswil im Durchgangszentrum für Flüchtlinge gewohnt. Der Leiter des Durchgangszentrum, Hr. Gutmann, war sehr nett. Er hat mich sehr unterstützt. Ich bekam dann im Bahnhofbuffet Zürich eine Stelle, das war 1989. Dort habe ich fünf Jahre lang gearbeitet. Dann habe ich mich entschlossen einen neuen Weg zu gehen. Ich bekam eine Stelle im Blindenheim in Zürich. Seit elf Jahren arbeite ich jetzt dort. Ich habe dort als Hilfskoch gearbeitet und betreue die jetzt die blinden BewohnerInnen.

Finden alle Somalier in der Schweiz Arbeit?

Bashir Gobdon: Diejenigen, die eine vorläufige Aufnahme haben und alleine leben, ja. Zwar haben viele somalische Familien Probleme mit der Arbeit, aber die meisten haben eine Stelle. Die Beschäftigung ist jedoch nicht gesichert. Mit dem vorläufigen Aufenthaltsstatus ist dies einfach problematisch. Vorläufig heisst zwei Jahre, drei Jahre... Aber meine Familie zum Beispiel, wir leben schon acht Jahre lang "vorläufig" hier. Das ist schwierig. Wie lebe ich "vorläufig" hier? Ich lebe schon so lange hier, aber immer noch "vorläufig": Du lebst immer "vorläufig" - aber du bleibst hier. Du lebst "vorläufig" und trotzdem lebst du in dieser Gesellschaft, in der die Regierung, die Gemeinde, die Kantone fordern, man müsse die Ausländer integrieren. Aber wie kann man sich integrieren, wenn man hier "vorläufig" lebt?

Sie selbst haben in Somalia das Gymnasium besucht?

Bashir Gobdon: Ja, aber ein Studium war in der Schweiz für mich nicht möglich. Bürgerkriegsflüchtlinge wurden hier nicht anerkannt. Damals hatte ich nur die vorläufige Aufnahme bekam erst acht Jahre später die Aufenthaltsbewilligung B.

Haben Sie heute den Wunsch noch ein Studium zu beginnen?

Bashir Gobdon: Inzwischen bin ich ein Familienvater, da ist das schwierig: Ich muss arbeiten, um die Miete bezahlen, die Krankenkasse, das ist nicht einfach. In der Zeit als ich alleine lebte, wäre ein Studium vielleicht möglich gewesen. Aber ich fühle mich wohl, statt zu studieren habe ich eine Familie gegründet.

Nach wie vor sind die meisten Berichte aus Somalia beunruhigend. Aber die jüngsten Friedensgespräche in Nairobi (Kenia) sowie die Bemühungen, ein Parlament und eine Regierung zu bilden, sollen erfolgreich verlaufen sein.

Bashir Gobdon: Seit 1992 herrscht in Somalia Bürgerkrieg. Das Land steckt im Elend, die Menschen hungern. Seit die USA und die Uno sich 1993 aus Somalia zurückzogen, ist Somalia in den Medien kein Thema mehr. Es fehlte in den letzten Jahren die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und der Hilfswerke. Die meisten Uno-Mitarbeiter für Somalia haben heute ihr Hauptquartier in Nairobi.

Wir schöpfen trotzdem neue Hoffnung, denn die Somalier wissen heute, was ein Krieg mit Stammesfehden bedeutet. Der Bürgerkrieg hat dem Land nur Verluste an Menschenleben gebracht, traumatisierte Menschen, vergewaltigte Frauen. Wir hoffen und wünschen, dass jetzt ein neues Parlament gegründet und eine neue Regierung gebildet werden kann. Und dann hoffen wir auch, dass die Weltgemeinschaft, die Europäer, die afrikanischen Gemeinschaften, diese Regierung voll unterstützen werden.

Aber was vor allem fehlt, ist die Unterstützung der Amerikaner. Für Somalia ist es ein grosser Nachteil, dass es noch immer nicht möglich ist, mit den USA zusammenzuarbeiten. (Eine Folge des 13. August 1993, als nach der Uno-Intervention in Somalia fünf amerikanische Soldaten in Mogadischu von einer wütenden Menge ermordet wurden.)

Haben Sie selbst noch Verwandte in Somalia, Eltern, Geschwister?

Bashir Gobdon: Nein, wir waren acht in unserer Familie, heute leben alle im Ausland. Ich war der Erste, der flüchtete. Mein Wunsch wäre es jedoch, eines Tages nach Somalia zurückzukehren. Aber solange die Kinder klein sind und die Schule besuchen, liegt es nicht in meiner Hand zurück zu gehen.

Lernen Ihre Kinder somalisch?

Bashir Gobdon: Ja, in der Freizeit. Jeden Mittwochnachmittag erteilt ein somalischer Lehrer Unterricht.


Neue Wege in Somalia

Bashir Gobdon ist auch Vorstandsmitglied des Fördervereins "Neue Wege in Somalia". Der Verein führt das Spital- und Schulprojekt in Merka weiter, das von der im Februar 2002 in Somalia ermordeten Schweizerin Vre Karrer gegründet wurde.

Bashir Gobdon über Vre Karrer: "Als wir von ihrem erfuhren, waren wir Somalier in Zürich alle sehr betroffen. Wir schämten uns als Somalier. Aber einen Banditen, der solche Taten verübt, kann es überall geben. Wir schämten uns aber auch, weil wir Vre Karrer seit neun Jahren persönlich kannten. Wenn sie jeweils in die Schweiz kam, informierte sie uns, wie es in Merka mit der Schule und dem Gesundheitswesen lief." Und über sein Engagement im Förderverein: "Ich habe mich entschlossen die Arbeit, die Vre Karrer in Merka begonnen hat, weiter zu unterstützen. Wir Somalier interessieren uns für diese Arbeit, wir wollen sie unterstützen, soweit uns dies möglich ist. Wir haben auch Kontakt aufgenommen mit den Menschen in Merka, damit die Arbeit von Vre Karrer weitergehen kann. Mit Jenny Heeb, Maya Joos und dem Arzt Dr. Schubarth sind wir nach Somalia geflogen, um zu sehen, wie die Sache dort läuft. Ich habe bei der Lösung der aufgetretenen Probleme mitgeholfen, denn man kann die Probleme in Somalia nicht gleich lösen wie in der Schweiz." Auch diesen Sommer reiste Bashir Gobdon wieder kurzfristig nach Somalia, um den Förderverein bei schwierigen Verhandlungen in Merka zu unterstützen.

Kontaktadresse: Jenny Heeb, Greifenseestrasse 30, 8050 Zürich. Telefon 01 312 12 67, E-Mail: merka02@bluewin.ch. Spendenkonto: PC 80-53042-7, Hilfe für Somalia, 8000 Zürich.

Literatur

Elisabeth Bäschlin (Hrsg): "Und grüsse euch mit dem Lied des Regenvogels", Briefe von Vre Karrer aus Somalia. 2003, eFeF-Verlag Bern/Wettingen. 351 Seiten, Preis Fr. 35.- (ISBN 3-905561-50-6)


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