FriZ 1/2004

Die Bereitschaft dreier renommierter Menschenrechts- und JustizaktivistInnen, unter ihnen Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú Tum, mit der neuen guatemaltekischen Regierung zusammenzuarbeiten, stösst auch auf Skepsis. Von Barbara Müller

Gratwanderung für Guatemalas AktivistInnen

Am 14. Januar 2004 hat in Guatemala eine neue Regierung ihr Amt angetreten. Aufgestellt von einer Drei-Parteien-Allianz haben Oscar Berger (ehemaliger Bürgermeister der Hauptstadt, der Wirtschaft nahestehend) und sein Vize Eduardo Stein (von links und rechts anerkannter Akademiker jesuitischer Bildung und Herkunft, Aussenminister unter Arzú 1996) im zweiten Wahlgang das Rennen gewonnen.

Die Praxis, Personen aus der Opposition in die Regierung einzubinden und so das Bild von Offenheit und Demokratie zu vermitteln, wurde bereits von der vorhergehenden FRG-Regierung unter Alfonso Portillo1 erfolgreich angewendet, der ehemalige Kommunisten, Ex-Guerilleros, ein paar Alibifrauen und -Indígenas zu seiner Entourage zählte. Nachdem in den vier Jahren unter Portillo (und mit Ex-General Efraín Ríos Montt als Kongresspräsident) eine Koordination bzw. eine Zusammenarbeit mit der Regierung für die verschiedenen Volks- und Menschenrechtsorganisationen immer weniger in Frage kam, begegnet die Opposition der neuen Regierung mit der Einstellung: "im Zweifel für den Angeklagten".

Im Zweifel für den Angeklagten?

Die Tatsache, dass gleich drei renommierte Menschenrechts- und JustizaktivistInnen, namentlich die Friedensnobelpreisträgerin von 1992, Rigoberta Menchú Tum, sowie Helen Mack und Frank LaRue, der bisherige Leiter des Menschenrechtszentrums CALDH2, das Angebot von Präsident Oscar Berger angenommen haben, löste jedoch in der Zivilgesellschaft manchen Zweifel aus. So erachtet es Sergio Morales, Ombudsmann für Menschenrechte, als durchaus positiv und wichtig, dass namhafte Persönlichkeiten, die sich für die Verteidigung der Menschenrechte und der Justizanwendung stark gemacht hätten, versuchten als Mitglieder in der Regierung eine Brücke zwischen Zivilgesellschaft und Staatsmacht zu schlagen. Gleichzeitig sei bei der Regierungsbeteiligung jedoch Vorsicht geboten, dass die Aufnahme gerade solcher Persönlichkeiten nicht zu einer Einschränkung oder gar Abschaffung der öffentlichen Beobachtung und Überprüfung von Regierungsvorgängen führe.

Rosalina Tuyuc von der Witwenvereinigung CONAVIGUA, dagegen ist der Auffassung, dass, solange die Machtstrukturen in den Händen von Militärs und von Personen verblieben, die das Land manipulierten, die AktivistInnen als Mitglieder der Regierung nur missbraucht würden, um das Image der aktuellen Staatsführung zu säubern. Sie befürchtet, dass sie nicht wie versprochen als Instrument für den Kampf gegen die Straflosigkeit eingesetzt werden. Auch Tuyuc betont die Bedeutung des Einbezugs der verschiedenen sozialen Organisationen, besonders im Bereich der Menschenrechte, um von innen heraus eine effiziente Arbeit der staatlichen Einrichtungen zu unterstützen.

Botschafterin des guten Willens

Rigoberta Menchú wird auf eigenen Vorschlag "Botschafterin des guten Willens der Friedensverträge": "Mir würde diese Rolle gefallen, um Guatemala all die Freundschaftskontakte anzubieten, die mir viele Völker übergeben haben, und um das Vertrauen zurück zu gewinnen, das wir verloren haben." In Koordination mit den (Vize-)Präsidentschaftsgattinnen Wendy de Berger und Myrna de Stein wird sich Rigoberta Menchú dem Kampf gegen den Hunger widmen und mittels einer gemeinsamen Agenda mit der aktuellen Regierungsführung Wege des Dialogs und der Versöhnung in der Gesellschaft suchen.

Helen Mack, Menschenrechtsaktivistin und Mitglied der Myrna-Mack-Stiftung, die sich unter anderem für die Rechtsprechung im Fall ihrer 1990 ermordeten Schwester Myrna engagiert, wird voraussichtlich den Posten einer Sicherheitsberaterin übernehmen. Als Bedingung für ihre Zustimmung fordert Mack allerdings eine öffentliche Wahl dieses Beratungsgremiums durch die Zivilgesellschaft.

Zusage unter Vorbehalt

Frank LaRue, der den Vorsitz der Präsidialen Menschenrechtskommission COPREDEH3 bereits akzeptiert hat, wandte sich in einem offenen Brief an die Zivilgesellschaft und seine SympathisantInnen im Ausland. Darin erklärt er, dass ihm die Entscheidung äusserst schwer gefallen sei: "Nach 30 Jahren, in denen ich als Exponent der Zivilgesellschaft den Respekt und die Förderung der Würde und der Menschenrechte vom Staat gefordert habe, präsentiert sich heute die Einladung, genau dafür auf der Seite der Regierung zu arbeiten. Das lässt mich die Verantwortung spüren, diese Einladung anzunehmen mit dem Ziel, die notwendige Politik in unserem Land in die Wege zu leiten, um der Immunität, der Diskriminierung, der Marginalisierung und der wachsenden extremen Armut entgegen zu treten. Es ist klar, dass ich das Amt nur so lange übernehmen werde, wie es den Raum gibt, diese gezeichnete Linie zu verfolgen. Doch sollte sich dieser Raum schliessen, werde ich am gleichen Tag kündigen und zum CALDH und zur Zivilgesellschaft mit demselben Engagement zurückkehren." Für ein Jahr wurde innerhalb des Teams des CALDH bereits ein neuer Vorstand gewählt.

Ähnlich wie LaRue sieht es auch Mario Polanco, Direktor der Menschenrechtsorganisation GAM4: "Während einer Konfrontation, welche die Gesellschaft polarisiert, sehen die Menschen nur noch schwarz oder weiss und fühlen sich gezwungen, sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen. Wenn aber die Spannung nachlässt, öffnet sich ein neues Spektrum, das alle Farben des Regenbogens enthält und die Möglichkeit bietet, sich im Farbenkreis dort zu positionieren, wo man es für richtig empfindet. Wenn sich nun dieser Regenbogen entfaltet und gleichzeitig eine Regierung an die Macht kommt (bezieht sich auf die FRG-Regierung Portillos, die Red.) die gespalten, korrupt, autoritär und aus ehemaligen Menschenrechtsverletzern zusammengesetzt ist, vereinen sich die Farben wieder und stellen sich gemeinsam gegen die Regierung. Kommt nun eine neue Regierung (gemeint sind Oscar Berger und Eduardo Stein, die Red.), die scheinbar bereit ist, die Probleme grundsätzlich anzugehen und sich für gewisse Leute die Möglichkeit eröffnet, an diesem Prozess teilzunehmen, ist es verlockend, der jahrelang aufrechterhaltenen Hoffnung auf Veränderung nachzugeben und mitzumachen." Auf die Frage, ob er ein solches Angebot annehmen würde, antwortete Polanco: "Ich respektiere den Entscheid von Frank und den anderen und bin bereit, sie bei ihrer schwierigen Aufgabe zu unterstützen, soweit ich kann. Ich selber würde es nie machen, mein Leben ist die Sozialarbeit und ich sehe meine Aufgabe innerhalb der Organisation. Von hier werde ich mich nicht fortbewegen, hier ist mein Platz."

Barbara Müller ist Co-Redaktorin der Zeitschrift ¡Fijáte!

Beim Text handelt es sich um die aktualisierte Fassung eines Artikels aus ¡Fijáte! No. 302. Kontakt: Verein ¡Fijáte!, 2502 Biel. E-Mail: barbara-m@bluewin.ch


Fussnoten

1 FRG: Frente Republicano Guatemalteco; Alfonso Portillo ist seit Ende Februar 2004 wegen Korruptionsverdacht auf der Flucht vor der Justiz

2 CALDH: Centro de Acción Legal de Derechos Humanos, unabhängiges Menschenrechtszentrum in Guatemala

3 COPREDEH: Comisión Presidencial de Derechos Humanos; Menschrechtskommission der guatemaltekischen Regierung.

4 GAM: Grupo de Apoyo Mutuo (Gruppe gegenseitige Hilfe), unabhängige guatemaltekische Menschenrechtsorganisation


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